Vorab gehört: Atrocity „Okkult“

 

Non-konform und scheinbar nahezu resistent gegen etwaige Erwartungshaltung von außen. Atrocity sind schon immer ihren ganz eigenen Weg gegangen. Wo Death Metaller-Kreise angesichts des bärenstarken, endlich wieder schön harten Albums „Atlantis“ die Herzen aufgingen, wurde direkt mit dem Nachfolger der Weg (mal wieder) radikal geändert. Statt Aggressionsgranaten wie „Reich of Phenomena“ und bombastischen Großartigkeiten wie „Enigma“ setzte es bereits zum zweiten Mal in der Geschichte der Ludwigsburger eine Huldigung an das goldene Jahrzehnt des Pop – abermals einzig und ausschließlich gespickt mit  Coverversionen, prominent dekoriert von Dita von Teese. „Werk 80 II“ stieß, von Hoffnungen auf eine Fortsetzung des „Atlantis“-Weges unberührt, trotzdem fast überall auf offene Ohren, die nächste Metalsause war jedenfalls gesichert. Nur wenige Jahre später: das nächste Album, die nächste Richtungsänderung. Diesmal heißt die musikalische Unabhängigkeitserklärung „After the Storm“, wieder greift man die eigene Vergangenheit auf und bietet den Quasi-Nachfolger zu „Calling the Rain“. Der Untergrund schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, der Ethno Sound ist nicht wirklich jedermanns Geschmack, und auch die handwerkliche wie künstlerische Finesse stößt eher selten auf ungeteilte Gegenliebe. Das Ende harter Riffs bei Atrocity? Mitnichten, denn in Kürze starten die Schwaben mit einer neuen Albentrilogie durch, die – zu erwartenden stilistischen Schlenkern zum Trotz – Balsam auf der Seele vieler Riff-Fanatiker sein wird.

 

 

Listening „Okkult“ (VÖ 26.04.):

 

Pandaemonium:

 

Soundtrack-mäßiger Beginn, man beginnt verschiedene Stimmen zu hören, die aber irgendwie doch nicht da sind. Die Spannung steigt, die Atmosphäre hätte beispielsweise zum Scifi-Blockbuster „Prometheus“ von „Alien“-Regisseur Ridley Scott gepasst. Und plötzlich bricht doch die Hölle los, die Double-Base wird durchgetreten, die Riffs rattern im Stile einer Nähmaschine. Kurzer Break, dann wieder Todesstahl, Alex Krull spuckt Gift und Galle, der dezent miteinbezogene soprane Gegenpol stammt unverkennbar von Liv Kristine. Hier treffen die ungestümen alten Tage auf die brachiale Epik von „Atlantis“, hinten raus wird noch mal ordentlich geschrotet.

 

Death by Metal:

 

Der Titel klingt nach Manowar, der Rest eher nach angepunktem Thrash der alten Schule. Spröde wie alte Sodom, in der Mitte ein grooviger „Uffta“-Teil, der an die Referenzen aus Florida denken lässt. Die aufheulende Leadgitarre kommt gut und erfüllt tadellos ihren Zweck als Auflockerung in diesem Dreieinhalbminüter.

 

March of the Undying:

 

Zu Beginn wieder ein Hauch von Soundtrack, böse und beschwörerisch, dann läuten Glockenschläge sprichwörtlich die erste rassige Breitseite ein. In der Strophe stehen vor allem die kehligen Vocals von Alex Krull im Fokus, den bombastischen Blast im Chorus hätten Cradle of Filth kaum besser machen können. Wieder buhlt ein schönes, aber recht kurzes Solo um Aufmerksamkeit. Als grobe Orientierungshilfe könnten „Apocalypse“ und „Reich of Phenomena“ (beide von „Atlantis“) herangezogen werden. Vom Tempo her die bis dato vielseitigste Nummer. Die „March!“-Rufe im Chorus verlangen geradezu nach einer Live-Umsetzung.

 

Haunted by Demons:

 

Gaukelt uns die einsame Gitarre zu Beginn etwa einen Anflug von Rock ´n´ Roll vor? Von wegen, zur richtigen Begrüßung gibt es nämlich schöne Doppel-Leads aus dem Lehrbuch für klassischen Heavy Metal. Mit der Zeit entpuppt sich „Haunted by Demons“ dann tatsächlich als bisher rockigstes Stück, zudem darf sich die Sologitarre diesmal endlich so richtig austoben. Damit man den Rest des Albums nicht aus den Augen verliert, bleibt der Gesang schön dreckig. Stilistisch trotzdem der erste kleine Ausreißer.

 

Murder Blood Assassination:

 

Gespenstischer Beginn, Glockenspiel, dann abgehacktes Riffing. Sobald das Schlagzeug anfängt mehr nach vorne zu gehen, nimmt das Ganze mehr Fahrt auf und huldigt erst dem Midtempo-Death, nur um dann zusehends an der Temposchraube zu drehen, dabei aber auch immer wieder mit dezentem Bombast aufwartet. Der Refrain wiederholt den Titel immer wieder, was live sicher kein Nachteil sein wird. Mittendrin ein schönes Solo, das für einen kleinen Höhepunkt sorgt. Nach fünf Minuten ist der Spuk schlagartig vorbei und „Murder Blood Assassination“ verschwindet wie es gekommen ist mit einer Priese Horror-Sounds.

 

Necromancy Divine:

 

Weiter geht es mit einem Siebenminüter, der sich die Zeit nimmt, um richtig Spannung aufzubauen. Danach gibt es erst mal aufs Mett, Alex Krull klingt nach wie vor mächtig angepisst und brüllt uns kehlig seine Vocals entgegen. Die Riffs stampfen, die Batterie bollert auf Anschlag, während epische Chöre immer mal wieder für Erhabenheit sorgen. Zur Halbzeit dann ein Break der krassen Sorte – von 100 auf 0 binnen einer Sekunde. Aus der Stille erhebt sich die Klangkulisse eines kaum definierbaren Stimmengewirrs, bevor sich irgendwann von weit hinten der Song zurückmeldet und Atrocity erneut die Hölle lostreten. Wer bis jetzt immer noch gemeckert hat, man solle endlich wieder Death Metal spielen, hat spätestens nach diesem Stück Sendepause.

 

Satans Braut:

 

Der deutsche Titel lässt aufhorchen, geht es ab sofort in der Muttersprache weiter? Ja, geht es! Und zwar mit viel Groove in den abgehakten Riffs, die vom stampfenden Schlagzeug noch unterstrichen werden. Oben drauf ein Text über Hexen, serviert an großzügigen Synthieflächen. Zeitlich im Singleformat und damit wohl prädestiniert für die dunklen Tanztempel der Republik – definitiv die Gothic Nummer des Albums.

 

Todesstimmen:

 

Und weiter geht es mit dem nächsten deutschen Titel, diesmal allerdings ohne textliche Relevanz, denn es handelt sich um ein Instrumental. Dieses fügt sich stimmig ins Gesamtbild ein, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

 

Masaya (Boca Del Infierno):

 

Nächster Song, neue Sprache. Der „Untertitel“ Boca Del Inferno bezieht sich wohl auf eine Schlucht nahe der portugiesischen Küstenstadt Cascais, unweit von Lissabon. Übersetzt bedeutet der Name „Höllenschlund“, was ziemlich gut zu Death Metal im Allgemeinen und „Okkult“ im Speziellen passt. Zudem besitzt die Felsspalte bis heute scheinbar eine magische Anziehungskraft auf Selbstmörder. Eine kurze Recherche ergibt außerdem, dass niemand geringerer als Dichter und – natürlich – Okkultist Aleister Crowley an diesem Ort einst seinen Selbstmord vorgetäuscht hat. Von romantisierten oder melancholischen Geschichten ist beim Song allerdings wenig zu hören. Atrocity setzen lieber auf stampfende Härte, hysterisch aufheulende Gitarren und donnernde Drums.

 

When Empires fall to Dust:

 

Mal wieder ein Ausreißer. Die Gitarre lässt anfangs an Alternative Rock denken, bevor das Drumming dazu stößt und für etwas mehr Härte sorgt. Alex Krull shoutet seine Lyrics, doch obwohl Schlagzeug und Bass auch mal schön die Magengrube zum Vibrieren bringen, geht das hier nicht durchgängig als Metal durch, was nicht negativ gemeint sein soll. Es tauchen darüber hinaus bereits bekannte Markenzeichen der anderen Songs auf, etwa der unterschwellige Sopran von Liv Kristine und ein schönes Gitarrensolo. Etwas rockiger und nicht so hart wie manch andere Nummer, aber gelungen und eine willkommene Abwechslung.

 

Beyond perpetual Ice:

 

Und weil es so schön ist, schiebt man uns gleich die nächste kleine Überraschung hinterher. „Beyond perpetual Ice“ tönt ganz schön modern, nicht nur für Atrocity-Verhältnisse, sondern generell im Vergleich zum Rest der Scheibe. Würde der Gesang anders klingen, könnte dieser Song auch einer skandinavischen Düstertruppe wie Insomnium exzellent zu Gesicht stehen. Mit Derartigem war ganz bestimmt nicht zu rechnen, umso mehr verzückt bereits das erste Hören. Mutige, aber geile Nummer. Ein unbestrittenes Highlight, das unbedingt ins Live-Set MUSS!

 

La Voisine:

 

Für das achtminütige Finale geht es zurück zur bedrohlichen Atmosphäre mit ordentlich Spannung. Der französische Titel heißt „Die Nachbarin“ (?), nicht ausgeschlossen, dass es noch eine weitere Bedeutung gibt, die sich den mauen Kenntnissen des Autors aber entzieht. Musikalisch irgendwo zwischen Primordial und Cradle of Filth angesiedelt, bekommt „Okkult“ hier ein musikalisch passendes finales Kapitel mit einem vielfältigen, nie zur Ruhe kommenden Schlagzeug und einem wahnwitzigen Ausbruch der Sechssaitigen. Die letzten zwei Minuten sind verstörende Klangcollage und Outro in einem, möglicherweise auch der Übergang zum nächsten Album, denn „Okkult“ ist wie erwähnt als Auftakt zu einer Albentrilogie angekündigt worden.

 

 

Fazit:

 

Schon beim ersten vorsichtigen Herantasten an diese Platte wird deutlich, dass die knapp 55 Minuten Gesamtspielzeit (verteilt auf zwölf Stücke) erst mal ein ziemlicher Brocken sind. Da ist es sicher von Vorteil, dass viele Songs unterhalb von 5 Minuten bleiben, selbst wenn „Okkult“ beim Durchhören durchaus als großes Ganzes wahrgenommen wird. Anfangs legen Atrocity den Schwerpunkt noch auf old-schoolig angehauchten Death Metal, es kracht und blastet allenthalben. In der zweiten Hälfte schimmert dann wieder die gewohnte Experimentierlust der Schwaben durch, wobei all zu extreme Stilbrüche nicht auszumachen sind und alles homogen bleibt. Wer die 80er-Huldigungen zuletzt verschmäht und „After the Storm“ als Baumkuschler-Metal abgetan hat, wird jetzt wieder ein Ohr (oder auch zwei) riskieren müssen, denn das hier ist nicht nur die härteste Platte seit langem, sondern noch dazu ein ambitioniertes Unterfangen, das zu entdecken den Hörer eine zeitlang beschäftigen dürfte. Man darf gespannt sein, wie sich das neue Material auf die nächste Toursetlist auswirken wird und welche Blüten diese Trilogie auf den kommenden beiden Platten noch treiben wird. Jetzt freuen wir uns aber erst mal, dass Atrocity den Pfad der Härte für sich zurück entdeckt haben. Einen Pfad, von dem man eigentlich gar nicht weiß, ob er überhaupt jemals richtig verlassen wurde.


Alles Fotos: (c) Atrocity

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

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Mehr zu "Okkult" erfahrt ihr demnächst in unserem großen Interview zum Album - stay tuned!

 

 

Link: www.atrocity.de