Southside Festival 2004 / Festivalbericht

 

Freitag, 25.06.2004

Passend zum Festivalbeginn meldet sich der Sommer zurück. Wir können von Glück sagen, dass wir uns in Tuttlingen bei Neuhausen ob Eck verfahren haben und so noch die Chance hatten Sonnencreme zu kaufen. Endlich auf dem Gelände angekommen tauschen wir das Computerticket in ein Hardticket und dieses endlich in ein Bändchen. Bei gefühlten 50°C im Schatten bauen wir unser Zelt auf und richten uns häuslich ein. Im Gegensatz zum letzten Jahr liegen die Wege zwischen Parkplatz, Campingplatz und Festivalgelände nicht weiter auseinander, so dass wir wirklich alles im Auto befindliche zum Platz tragen können. Ja, selbst an dekadente Klappstühle haben wir dieses Jahr gedacht und ziehen den ein oder anderen neidischen Blick unserer Campingnachbarn auf uns.

Genug Zeit im Zelt tot geschlagen. Das erste Konzert ruft schon! Wir sitzen kurz von der Second Stage und schon trifft man das erste bekannte Gesicht. Es wäre ja auch zu schön 400km weit weg der Heimat ein mal wirklich entfernt zu sein. Es bleibt nicht viel Zeit zum Reden, schon stehen die charismatischen Tomte auf der Bühne. Sänger Thees Uhlmann erzählt bewegend und immer grundehrlich von Liebe, Tieren und anderen Geschichten direkt aus dem Leben. Ein Festivalbeginn wie er schöner nicht hätte sein können. Weiter geht's zum Black Rebel Motorcycle Club, der live viel viel leiser und ruhiger zu überzeugen weiß, als auf CD.

Die Mainstage steht heute vollkommen im Zeichen des Hip Hop. Bei Gentleman & the Far East Band gibt es passend zum Wetter Reggae vom Feinsten. Klischeehafte Haschisch-Schwaden ziehen an uns vorbei. Die Sonne sticht. Gentleman scheint auf Grund der Hitze die deutsche Sprache verlernt zu haben - Dass er in der jamaikanischen Landessprache Patois singt ist allbekannt, aber dass er jetzt auch nur noch so spricht ist neu. Auf Dauer nervt dieses Poser-Gehabe und wir ziehen weiter zu den Spaniern Ill Nino. Hier passt das Posing wenigstens auch zur Musik. Bei ihrer Definition von NuMetal gibt's gehörig was aufs Maul.

Danach besteigen Die Fantastischen Vier die Bühne. Ein grundsolider Auftritt, der uns nicht bewegen kann, bis zum Ende zu bleiben. Nach ihren Unplugged-Auftritten im letzten Sommer hat man irgendwie mehr erwartet. Teetrinken, um die doch sehr kühle Nacht zu überstehen, scheint um einiges interessanter.

 

Samstag, 26.06.2004

Gegen Mittag erheben wir uns endlich. Es ist mittlerweile zu warm, um auch nur den kleinen Finger zu rühren. Unser Frühstück ist längst geschmolzen. Höchste Zeit um den Händlern auf dem Festivalgelände einen Besuch ab zu statten, Sonnenbrille und Hut werden dringend benötigt! Aber auch diese Utensilien bieten nicht genug Kühle und Schatten, so dass wir nach dem gelungenen Auftritt der Backyard Babies schnell wieder in Richtung Zelt verschwinden.

Zu Ash zwinge ich mich dann doch wieder aufzustehen. Auf dem Weg dort hin bekomme ich eine kalte Super-Socer-Dusche ab. Man kann sich nicht vorstellen, wie gut das getan hat. Ash legen mit dem Eröffnugssong "Girl from Mars" ein ordentliches Brett vor, das 45Minuten gehalten wird. Material vom neuen Album „Meltdown“ wird gekonnt mit Klassikern wie „Oh Yeah“ vermischt. Sänger Tim Wheeler trifft zwar schon auf CD fast keinen Ton, aber bei solch einer energiegeladenen Show zieht man da leicht drüber hinweg.

Die schlechte Nachricht des Tages erreicht die Festivalbesucher mitten im Gig vom Ash: David Bowie muss seinen Auftritt wegen Krankheit kurzfristig absagen! Tagszuvor trat er noch beim Schwesternfestival Hurricane im hohen Norden auf und musste anschließend ins Krankenhaus gebracht werden... Sehr schade für alle die nur wegen ihm gekommen sind, denn Tagesticktes wurden nicht zurück erstattet. Wie immer heißt es: „Änderungen vorbehalten“.

Die Reunion-Tour der New Yorker Hardcore-Ikonen Life of Agony war allerorten ausverkauft. Aushängeschild Keith Caputo gibt auch auf dem Southside alles. Allerdings entsteht trotz der enormen Spielfreude der Eindruck, dass Life of Agony nicht fähig sind mehr als drei Riffs zu spielen. Die Messages gehen im Einheitsbrei unter. Bis auf wenige Ausnahmen stammt das komplette Set vom Kultalbum "River Runs Red". Enttäuschend.

Bei Sportfreunde Stiller bricht die Hölle los. Ich hätte nie gedacht, dass die Sporties eine Band zum Pogen sind. Was da abgeht, ist mit keinem Metallkonzert zu vergleichen. Stagediver und Mülltonnen fliegen durch die Masse. Ich habe irgendwann aufgehört die Kinnhaken zu zählen, ganz zu Schweigen von den Schuhen, die den ein oder anderen blauen Fleck im Gesicht hinterlassen haben. Sänger Peter spricht mir aus der Seele: "Menschen, die Flaschen werfen, sind irgendwie blöd". Ja, genau! Ich wäre wegen so einer verdammten Flasche fast zu Boden gegangen. Nichtsdestotrotz macht der Auftritt der Sporties richtig Spaß. Sie sind nie „die 1. Wahl“ gewesen; keine Band der großen Experimente oder musikalischen Fähigkeiten, aber das, was sie machen, machen sie mit 100% Herzblut. Und das kommt beim Publikum an.

So gerne ich die Pixies sehen würde, es geht nicht. Irgendwo im Getümmel treffe ich eine Freundin wieder, wir gehen versalzene Nudeln essen und trinken erst einmal an die hundert Liter Wasser. Die Pixies sehen wir nur von Weitem und teilweise über die Leinwand. Später im Zelt sind wir uns alle sehr uneinig über den Auftritt: M. ist begeistert, J. und ich sind der festen Überzeugung, dass Sänger Frank Black wahnsinnig ist und Bassistin Kim Deal zu viel raucht. Wer auf kryptische Texte und minutenlanges Vogelgezwitscher steht, hatte hier aber mit Sicherheit viel Spaß.

Da durch den Ausfall David Bowies nun der Auftritt Placebos das Ende auf der Mainstage bildet, stellt sich die große Gewissensfrage: "Wen sehen wir uns an? Placebo? Oder doch die Beatsteaks? Beide sind live so was von geil. Hm." Die Entscheidung fällt nach einigem Hin und Her zu Gunsten Placebos. Schnell haben wir uns in die vorderen Reihen gekämpft. Placebo wirken etwas lustlos und wortkarg, was nach einem Jahr auf ausgedehnter Worldtour aber verzeihbar ist. Von Nahem sieht man dann doch ab und zu ein Lächeln über Brian Molkos Lippen huschen. Das Set bietet keine großen Überraschungen: von Liedern des aktuellen Albums bis hin zu Songs des Debüts ist alles vertreten. Nach einer kurzen Zugabe sind die drei und ihr Tour-Keyboarder schnell wieder von der Bühne verschwunden. Ein wenig enttäuscht sind wir schon - Wir haben gedacht, dass sie noch zusammen mit den Pixies "Where is my mind?" spielen würden. Da haben wir uns wohl kräftig geirrt.

 

Sonntag, 27.06.2004

Die ehemaligen Straßenmuiker von I am Kloot aus Manchester sind für uns die erste Band des noch jungen Tages. Wow! Mir fehlen die Worte für diesen Auftritt. Emotionaler Indie-Rock, wie man ihn lange nicht mehr gehört hat. Leider muss ich nach zwanzig Minuten das Feld räumen, da ich unbedingt noch ein mal Billy Talent sehen will. Energiebündel Benjamin Kowalewicz rast wieder über die Bühne, bespuckt sich, zieht sich aus. Billy Talent sind wohl die agilste Band dieser Tage. Aber auch hier wird man wieder eines besseren belehrt: Ihre Ansagen sind doch auswendig gelernt! Bis auf das kleinste Wort stimmen sie mit den Ansagen vom letzten Frankfurt-Konzert überein. Aber egal, die meisten werden dies sowieso nicht bemerkt haben, besonders nicht der Stagediver, der sich doch tatsächlich auf die Bühne verirrt hat. Wie er das geschafft hat, wird allen für ewig ein Rätsel bleiben. Einige Sekunden darf er mit der Band rocken, bis ein Security kommt und ihn davon trägt.

Nach diesem Energie-Overkill geht es wieder ruhiger weiter. Der Auftritt der Bright Eyes hat Seltenheitswert. Songwriter-Genie Conor Oberst ist als extrem menschenscheu bekannt. Staub weht über die Wege des Festivalgeländes, es ist mucksmäuschenstill, Haare stehen zu Berge. Wenn es nach diesem Auftritt nicht die ein oder andere Träne gab, weiß ich auch nicht.

Die Suche nach Tabak hält mich davon ab den Hype des Jahres - Franz Ferdinand - zu sehen. Irgendwie würde ich das sogar „Glück gehabt“ nennen. Passend zum aufziehenden Unwetter sitze ich wieder im Zelt und drehe und drehe und drehe.

„Who stopped the rain?“ – „The Hives!“ – „I asked: Who stopped the rain?“ – „The Hiiiiiiiiives!“
Die Hives sind mittlerweile Superstars und sie benehmen sich auch so. Manche sind genervt davon, verstehen den Witz an der Sache nicht. Denn die Hives waren schon so, als sie noch niemand kannte. Sänger Howlin‘ Pelle Almquist redet das Publikum tot. Zeit genug hat er ja - Kein Lied der fünf Schweden dauert länger als zwei Minuten, so auch die Songs vom bald erscheinenden Album „Tyrannosaurus Hives“, die sehr vielversprechend klingen.

Schnell bewegen wir uns Richtung 1. Reihe. The Cure auf deutschen Bühnen, das kommt so schnell nicht wieder. Selbst andere Musiker lassen sich diesen Auftritt nicht entgehen; so entdeckt man z.B. Jon Gallant und Ian D'Sa von Billy Talent im Publikum. The Cure - das ist Robert Smith und Robert Smith ist ein Gott. Zumindst wird er von seinen Fans als ein solcher behandelt. Er schreitet über die Bühne, sagt über das komplette Konzert hinweg nicht mehr als einen Satz, will nicht mit Blitzlicht fotografiert werden. Eine gelungene, aber irgendwie gewzungen wirkende Show.

 


Zum ersten mal ist das Southside Festival in Neuhausen ob Eck mit knapp 40.000 Besuchern komplett ausverkauft! Kein Wunder bei der tollen Atmosphäre auf dem Hochplateu zwischen Wald und freien Wiesen. So kurze Wege und eine einwandfreie Organisation findet man nicht auf jeden Festival. Das einzige kleine Manko: Da die Flugzeughangars als Bühnenhinterbau genutzt werden, ist der Platz direkt vor den Bühnen etwas zu klein. Und die Kontrollen nach Kameras könnten auch ein bisschen weniger streng sein!

Vom 24.-26.06.2005 findet das nächste SOUTHSIDE-Festival in Neuhausen ob Eck statt! Und ich werde bestimmt wieder dort sein! Einmal Southside, immer Southside!

 

Katrin Reichwein - sounds2move.de