Bands:

We Are The Fallen + Telegraphs, Slaves to Gravity
Location: King’s College London

Datum:

23.03.2010
Tour: One Night in London – (Weltpremiere)

 

Darf es etwas exklusiver sein? Ja? Dann ist die pulsierende Metropole London an diesem für britische Verhältnisse fast durchgehend frühlingshaften Wochenende genau der richtige Aufenthaltsort. Auf der noblen (und völlig überlaufenen) Oxford Street reiht sich ein Modelabel an das nächste und auch sonst ist dem Konsumwahn keine Grenze gesetzt. Auf der Suche nach harten Riffs wird man hingegen entweder im saftigen Preisen ausgestatteten Hard Rock Cafe fündig (Burger + Fritten 13 GBP), oder man ergattert zum gleichen Preis ein Ticket für die weltexklusive Bühnenpremiere von We Are the Fallen. Diese vor nicht all zu langer Zeit formierte fünfköpfige Truppe, die neben drei ehemaligen Evanescence-Mitgliedern (darunter Ben Moody, der für einen Großteil der Hits vom Multi-Platin-Debüt seiner inzwischen ehemaligen Band verantwortlich war) aus Bassist Marty O’Brien (Disturbed, Static-X) und der irischen Rockröhre Carly Smithson, vor wenigen Jahren für einen Anflug von Niveau bei „American Idol“ verantwortlich, besteht, hat bis zu diesem Tag noch kein vollwertiges Konzert vor Publikum gespielt. Wer heute vor Ort ist, der will es absolut wissen und ist kopfüber ins Ungewisse gesprungen, denn abgesehen von zwei Songs auf der Bandwebsite gab es bisher nicht einmal etwas zu hören. Das Debüt „Tear the World Down“ erscheint nämlich erst Mitte Mai.

Für den zähen Informationsfluss vor dem Venue – die eingespannten Studenten im Eingangsbereich haben unübersehbar große Fragezeichen über ihren Köpfen schweben, keiner weiß so recht was Sache ist und aufkommende Fragen seitens der Besucher werden überwiegend mit einem netten, aber ahnungslosen Achselzucken beantwortet - entschädigt später der Blick auf die Themse und einige der zugkräftigsten Wahrzeichen der Stadt. Das Konzert findet nämlich im vierten Stock eines Studentengebäudes statt und kann dadurch mit einem atemberaubenden Panoramablick über die englische Hauptstadt punkten. Allerdings nur so lange, bis die Scheiben von innen nach und nach durch das Schweißtreiben innerhalb des Raums vollständig beschlagen sind. Dazu tragen SLAVES TO GRAVITY, die erste Band des Abends allerdings nur wenig bei. Ihr schrammeliger und schon tausendmal gehörter Garagen Rock klingt so britisch wie beliebig und wird selbst hier in London, wo dieser Sound nie aus der Mode zu kommen scheint, in dieser Form keine Bäume ausreißen. Da sind TELEGRAPHS schon von einem anderen Kaliber. Genau genommen haben wir es hier mit der klassischen positiven Überraschung zu tun. Denn obwohl die Burschen und das Mädel auf der Insel im letzten Jahr über 100 Shows gespielt haben, kennt sie auf dem Festland bestenfalls der eine oder andere Besucher der letzten Rival Schools-Tour oder die absoluten Frühaufsteher der letztjährigen Festivalsaison. Ein absoluter Missstand wie sich schnell herausstellen soll, denn Telegraphs haben das Herz musikalisch am rechten Fleck und bieten eine zeitlos wirkende Melanche aus Post-Rock und Screamo, mischen dem Ganzen hin und wieder ein paar geschmackvolle, leicht symphonisch anmutende Elemente bei („Forever Never“) und verlassen sich abgesehen davon vor allem auf die stimmliche Ausstrahlung von Frontmann Darcy Harrison und Bassistin Hattie Williams. Einwandfreie Kost.

 

Ob man die auch von WE ARE THE FALLEN erwarten kann (oder besser gesagt zu diesem Zeitpunkt schon darf) weiß noch niemand. Klar ist, dass wir es mit Bühnenprofis zu tun haben, die optisch jedoch kein Feuerwerk abbrennen werden. Ein Backdrop oder sonstige Bühnendeko fällt aus, stattdessen gibt es nackige Wände, Verstärker, Boxen und einen nicht mal kniehohen Drumraiser auf der hüfthohen Bühne zu sehen. Das Intro erklingt dennoch bedeutungsschwanger und We Are The Fallen werden nach wenigen Augenblicken wohlwollend, aber noch nicht euphorisch empfangen. Gitarrist John LeCompt macht gleich zu Beginn einen auf dicke Hose und stapft mit einer edlen 8-String auf die Bretter – hier wird rangeklotzt. Überhaupt merkt man schnell, dass die beiden Gitarristen im Team das Heft in der Hand haben, denn die Axt steht klanglich im Mittelpunkt (aber noch hinter der Stimme) und die Songs sind nicht selten sehr gitarrendominiert. Vor der Bühne bestimmt erst einmal gespanntes Zuhören bei leichtem Mitwippen das Bild, wobei wenigstens die Madonna-Coverversion „Like a Prayer“ zumindest theoretisch jeder textsicher mitschmettern können sollte. Zum ersten Mal ausgelassen ist die Stimmung etwa zur Mitte des Sets mit dem allseits bereits bekannten „Bury me Alive“, das wie die anderen Songs sicher vorgetragen wird. Bandgründer Ben Moody ist dennoch scheinbar zu konzentriert um wirklich Meter zu machen und bleibt deshalb den kompletten Auftritt über ausschließlich auf seiner linken Seite und erlaubt sich nur zu „Flight of Icarus“ (Iron Maiden) einen wirklichen emotionalen Ausbruch – der Mann steht wohl einfach lieber etwas im Hintergrund. Viersaiter Marty hingegen hat den größten Bewegungsradius aller Musiker, John gibt mit betont selbstsicheren Posen den unnahbaren Rockstar, der wie seine Kollegen vom guten und allgemein ziemlich unterschätzen Rocky Gray eine präzise Rhythmusvorlage zurechtgeschustert bekommt. Die Irin zwischen all den US-Boys (die als Britin eigentlich wissen müsste, dass man guten Tee nicht aus 0,5er Plastikbechern trinkt) kann sich nach dem ersten Eindruck dennoch gegen ihre abgebrühten Kollegen durchsetzen, punktet die Schwarzhaarige doch mit ihrer kraftvollen Stimme und freundlichen Art.

Zu 100% selbstsicher bewegt sich wohl auch angesichts des noch frischen Songmaterials keiner der Akteure (mit Ausnahme von Rocky), aber dafür kommen die Zuschauer noch vor allen anderen in den Genuss des kompletten Debütalbums und besagter Coversongs, die mutmaßlich zukünftig keine Rolle mehr im Set der Band spielen werden. So fern man das in der Kürze der Zeit einschätzen kann, wird „Tear the World down“ ein ziemlich viel versprechendes Stück Musik, das nicht nur härter als Evanescence ausfällt, sondern mit dem bärenstarken Titeltrack (O-Ton Carly: „Unser derzeitiger Lieblingssong“), dem stimmungsvollen „Don’t leave me behind“, der Düsterrock-Perle „Samhain“ und der bereits erwähnten ersten Single aus dem Stand zu überzeugen weiß. Eine endgültige Einschätzung von We Are The Fallen kann und will ich erst abgeben, wenn das Debüt in ein paar Wochen offiziell vorliegt. Dass man sich in Anbetracht der Eckdaten zur Band durchaus Hoffnungen auf eine Bereicherung im modernen Düsterrock-Sektor machen darf, ist dem Londoner Publikum aber natürlich klar. Wäre sonst auch nur ein Schwein auf Verdacht zu dieser Premierenvorstellung erschienen? Wohl kaum.

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

Setlist We Are The Fallen:

Burn
Without You
Like a Prayer (Madonna Cover)
D
on’t leave me behind
St. John
I will stay
Bury me Alive
Paradigm
Samhain
I am only One
Flight of Icarus (Iron Maiden Cover)
Through Hell
Tear the World down 

 

Setlist Telegraphs:

Your first love is dead
Broken Tapes
I don’t navigate by you
Someone’s at the door
Forever Never
Bobby
I’ll make a home for you