Bands:

Chris Cornell
Location: Columbia Club Berlin

Datum:

27.02.2009

 

Eine Woche bevor sein neues Studioalbum „Scream“ erscheint, spielt die Ausnahmeröhre CHRIS CORNELL handverlesene, exklusive Clubshows in europäischen Hauptstädten. Eines dieser raren und in programmtechnischer Hinsicht einmaligen Konzerte bekam dabei auch die deutsche Bundeshauptstadt ab, zu welchem sich Fans aus Deutschland, Schottland und Polen ankündigten, weshalb es schon gut 2 Wochen vor diesem Freitagabend offiziell „ausverkauft!“ hieß.

Dass zeitgleich die Gothic Rock Legende Sisters of Mercy in der benachbarten Columbiahalle aufspielt, führt kurz vor der leicht verspäteten Hallenöffnung zu kuriosen Szenen. Ups, falsche Halle. Nix war’s mit Reihe 1. Dumm gelaufen. Oder um es kurz zu machen: Gothen und andere schwarze Seelen nach rechts, alle anderen nach links. Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn Chris Cornell vereint in seinem Publikum besonders an diesem Abend einen bunten Mix aus Alt-Grungern, Metalheads, Motorrad-Rockern, Audioslave-Jüngern, Normalos und vereinzelten Timbaland-Neuinteressierten. Doch zunächst einmal hat der in Paris lebende Ami die Ruhe weg. Zum Setlist auslegen, Line-Check und Drumkit justieren hat man während des restlichen Tages wohl keine Zeit gehabt, weshalb den tapfer ausharrenden, aber zunehmend ungeduldiger werdenden Fans mal eben 45 zusätzliche Minuten Wartezeit zugemutet werden, bevor die Show eröffnet werden kann. Oder stand der Laudator im Stau? Den Sänger und seine bewegungsfreudige Band sagt heuer nämlich dessen neuer Busenkumpel Wladimir Klitschko an, der auch im aktuellen Clip zu „Part of me“ auftaucht. Besagte Nummer ist dann auch direkt der Einstieg in „Scream“, das Chris Cornell im Anschluss in voller Länge und am Stück runterzockt. Ansagen gibt es währenddessen fast keine, stattdessen wird in einer knappen Stunde das unveröffentlichte Material konsequent durchgezogen. Meine schlimmsten Befürchtungen werden währenddessen glücklicherweise nicht bestätigt, denn zumindest in der Live-Umsetzung groovt das neue Liedgut bisweilen gar vorzüglich und auch die Gitarren kommen immer mal wieder etwas präsenter zum Zuge, ebenso wie das markante Knarzen in der Stimme Cornells, wofür ihn seine Fans seit jeher lieben. Der Rest des Publikums sieht es ähnlich und feiert den Gastgeber des Abends zwischen den Stücken noch nicht überschwänglich, aber durchaus wohlwollend. Im Gegensatz zu den wohl von Natur aus skeptischen Besuchern der bereits absolvierten Shows in London, Paris und Amsterdam. Dort, so erzählen zumindest einige Besucher der entsprechenden Shows, sollen vereinzelte Zuhörer noch in der ersten halben Stunde die Halle bis zu den Zugaben verlassen haben und vor allem in London gab es wohl deutlich hörbare Buhrufe zu vernehmen. Im Gegensatz zu den Rüpeln von der Insel weiß man sich in good old Germany aber zu benehmen und so hat auch der Maestro sichtlich Spaß an der Show, die vor allem die vordere Hälfte der kargen Halle zunehmend in Feierlaune versetzt. Diese positive Grundstimmung steigt exponential an, als „Watch Out“ den „Scream“-Block beendet und mit „Black Hole Sun“ eine Soundgarden-Hymne für die Ewigkeit folgt.

Neben dem neuen Scheibchen in voller Länge kommt nun das zweite Unikum dieses Konzertes, denn die Grunge-Legende, deren leicht glasiger Blick verrät, dass Mann sich vor der Show bereits am Weine gelabt haben dürfte, lässt ein gut 70-minütiges Improvisations-Wünsch-dir-was-Set folgen, dessen Setlist nicht nur zu großen Teilen durch Zurufen aus dem Publikum bestimmt wird, sondern auch sonst absolut spontan abläuft. Quasi die Rock N Roll Schillerstraße. Eben dieses Spielchen befördert dann sogleich die eine oder andere Uraltnummer und auch ein paar längst vergessen geglaubte Schätzchen ans Tageslicht. So darf zum Beispiel „Call me a dog“ vom 1991er Allstar-Album „Temple of the Dog“ gleichnamiger Band gelauscht werden, bei der im Original u.a. auch Pearl Jams Eddie Vedder mit von der Partie war. Ebenfalls von jenem Album stammt „Hunger Strike“, das genauso gewünscht wird wie „Gun“ vom 2. Soundgarden Album „Louder than Love“, einer immerhin schon fast 20 Jahre alten Nummer. Nur wenig jüngst: „Jesus Christ Pose“ von 1991, das seinen Weg ins Set findet, nachdem ein Fan sein nicht mehr ganz so frisches Shirt mit dem Schriftzug des Songs auf die Bühne beförderte. Cornells Mitmusiker durften sich im Voraus anscheinend den kompletten Backkatalog des US-Amerikaners draufschaffen. Und wenn doch mal eine Nummer nicht einstudiert ist, kann der 44-jährige natürlich auch im Alleingang für Gänsehaut sorgen, so etwa bei der akustisch vorgetragenen Version von Audioslaves „Be Yourself“, dessen Chorus vom Publikum begeistert mitgeschmettert wird. Während die Uhr langsam gen Mitternacht wandert, kommen endlich noch ein paar Nummern vom meiner Meinung nach ziemlich unterbewerteten letzten Solodreher „Carry on“ zum Zuge, nämlich die tolle Akustikversion von Jackos „Billie Jean“ und der famose 007-Titeltrack „You know my Name“, bei dem sich Ehrengast Klitschko mal eben auf der Bühne unfreiwillig zum Vollhonk machen darf, der mit hängenden Schultern und wippenden Knien auch als Prototyp des Vorzeige Rock-Nerd durchgehen würde. So beeindruckend der Ukrainer im Ring auch auftreten mag, so unbeholfen fehlplaziert zeigt sich der Ironman an diesem Tag auf der Bühne. Zum Glück bleibt dies der einzige Fremdschämmoment des Abends, der mit „No such Thing“ - abermals von „Carry on“ - ein schwer rockendes Ende findet, bevor Cornell, der sich während des Auftritts noch mehrfach in den Fotograben gestürzt, vom Boxenturm aus Hände geschüttelt und Geschenke entgegen genommen hatte, etwas fluchtartig und plötzlich von der Bühne verabschiedet. Böse sein kann ihm nach satten 135 Minuten natürlich niemand mehr und auch die beachtliche Verspätung zuvor ist längst vergessen. Der Autor hat übrigens seine ganz eigene Theorie wie es zum Verzug kommen konnte: Wohlmöglich hat unser Held mit der großartigen Stimme (an diesem Abend traf der Mann wirklich jeden (!!!) noch so hohen oder rauen Ton!) noch schnell einen Obdachlosen überfallen oder einen Altkleidercontainer vom Roten Kreuz ausgeräumt. Von dem gewissen Glamour, den seiner Ehe mit der in Paris lebenden Vicky Karayiannis bisweilen zu umgeben scheint, war an diesem Abend jedenfalls rein gar nichts zu sehen, setzte sich das Bühnenoutfit des Protagonisten doch aus einem betagten, zerrissenen weißen T-Shirt, einer ziemlich mitgenommenen und aufgescheuerten Jeans und einem paar halbhoher brauner Stiefel ohne Schnürsenkel zusammen. Zum Soundgarden anno ´89 Look hätte eigentlich nur noch das stilprägende Holzfällerhemd gefehlt. Aber ein Chris Cornell darf sich so etwas durchaus einmal leisten, immerhin steckt der Sänger mit seinem Charisma selbst im siffigsten Outfit noch 90% seiner Konkurrenten in die Tasche.

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

Setlist Chris Cornell:

Part of me
Time
Sweet Revenge
Get Up
Ground Zero
Never far away
Take me alive
Long Gone

Scream
Enemy
Other side of Town
Climbing up the Walls
Watch out
---

(Reihenfolge evtl. minimal abweichend)


Black Hole Sun
Hunger Strike
Gun
Call me a dog
Jesus Christ Pose
Getaway Car
Like A Stone
Be Yourself
You Know My Name
Billy Jean
Immigrant Song

No Such Thing

 

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