Bands: |
Coheed and Cambria + State Radio, Björn Berge (Reeperbahn Festival 2007) |
Location: | Übel und Gefährlich Hamburg |
Datum: |
29.09.2007 |
Hamburg, Reeperbahn. Die berühmt berüchtigte sündige Meile. Um 11:00 Uhr Vormittags ist davon noch nicht (oder nicht mehr) wirklich viel zu sehen. Wären da nicht im regelmäßigem Abstand großzügig dekorierte und beschilderte Schaufenster, die eindeutig mit dem ältesten Gewerbe der Welt in Verbindung stehen – man würde sich wie auf einer gewöhnlichen Trink- und Feierstraße irgendwo in Deutschland fühlen. Während eine älter Frau mit südeuropäischem Dialekt die letzten Spuren der vergangenen Nacht in einer offenbar beliebten Ausschankstelle kehrt, erinnert nur noch ein krakeelender, vollbärtiger Zeitgenosse mit Seemannsmütze (Klischee Ole) an die bierseelige Nacht. Zu diesem Zeitpunkt sind zwei von drei Tagen des Reeperbahn Festivals 2007 bereits Geschichte und Bands wie die irischen Rocker ASH oder aber die derzeit mächtig angesagten Aufsteiger HARD-FI konnten bereits einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Bis es im Tagesprogramm weitergeht, hat Hamburg natürlich nicht wenige Sehenswürdigkeiten für seine zahlreichen Besucher parat. Am Hafen die großen Schiffe aus aller Herren Länder bestaunen, durch Altona flanieren, einen Einkaufsbummel in der Fußgängerzone einschieben oder aber in der Speicherstadt Miniatur Wunderland, Hamburg Dungeons oder Spielzeugmuseum bewundern. Auch abseits des Reeperbahn Festivals hat Hamburg nicht wenig zu bieten, selbst wenn man sich als Auswärtiger erst an die lokale Mentalität und das mitunter hektische Flair der Weltstadt gewöhnen muss. An den allgegenwärtig wirkenden Regen hingegen muss man sich weniger gewöhnen, denn den hatte vermutlich jeder angereiste Gast aus Nah und Fern ohnehin selbst im Handgepäck. Und wer Hamburg sagt, der meint für gewöhnlich auch „verregnetes Hamburg“. Das klingt jetzt erst einmal nach Klischeereiterei, erwies sich aber zumindest an diesen Tagen als nicht gerade realitätsfremd. Etwas befremdlicher erscheint da schon der alte Hochbunker, ein Koloss von einem Gebäude, welches direkt am Heiligengeistfeld gelegen ist und die Festivallocation „Übel und Gefährlich“ beheimatet. Die erste Überraschung gibt es hier schon am Eingang, denn es geht nicht wie für viele Konzertsäle üblich ins Untergeschoss, sondern hoch hinaus in die 4. Etage, wo sich ein großzügig dimensionierter, verwinkelter Konzertsaal mit schmückenden Wandverzierungen befindet. Hier versucht zur Prime-Time der Norweger BJÖRN BERGE als erster Interpret des Tages sein Glück und ist dabei nur mit einer Akustikgitarre bewaffnet. Klingt nach langweiligem Fußgängerzonengeklimper? Ist es aber glücklicherweise nicht, was auch erklärt, warum der Mann offensichtlich einige Fans im Saal auf seiner Seite weiß. Was der freundliche Bartträger verlauten lässt hat durchaus eine gewisse Wucht und auch Ecken und Kanten zu bieten. Nicht überragend, aber vor allem in Kontext der akustischen Musik überraschend interessant. Mit dem Trio STATE RADIO wird das Programm dann wilder und steht deutlich mehr im Zeichen der Stromgitarren. Und auch diese vermeindlich eher unbekannte Band hat ihre Anhängerschaft, zumindest in Hamburg. Der politisch ambitionierte Mix aus Punk, Reggae und Garagenrock traf genau den Geschmack des recht jungen Publikums, das die Steilvorlagen der Jungs aus Cambridge, USA dankbar annahm. Doch warum auch nicht? Schließlich eignen sich vor allem die neueren Stücke wie „CIA“ und „Guantanamo“ hervorragend zum hüpfen, tanzen und mitsingen. Derart aufgewärmt wurde der Matchball für die vier Jungs von COHEED AND CAMBRIA zur reinen Formsache. Trotz zweier personeller Ab- bzw. Zugänge präsentierten sich die New Yorker in hervorragender Form, nachdem sie von den Fans offen, lautstark und euphorisch begrüßt wurden. Die US-Rocker bedankten sich auf ihr eigene schlagkräftige Art, nämlich mit „Welcome Home“ (Überhit!) und „Ten Speed“ vom noch aktuellen Album „Good Apollo, I’m burning Star IV“. Was für ein Einstieg! Als nur Minuten später mit „The Suffering“ die nächste Hit-Granate detoniert, wird auch der Bunker in seinen Grundfesten erschüttert. Es folgt ein bunter Reigen aus alten und neuen Hits, gespickt mit handwerklichen Darbietungen erster Kajüte und Stilwechseln, die beweisen, warum sich die Anhängerschaft dieser Herren sowohl aus Metallern, als auch Alternative und Prog-Fans rekrutiert. Erstere reißen nach etwas über einer halben Stunde überrascht und zugleich begeistert die Arme in die Höhe, als Coheed and Cambria mitten in einem ihrer Songs für 2 Minuten „The Trooper“ von Iron Maiden intonieren und der Mob vor der Bühne aus vollem Hals mitgrölt. Wer so früh seine (und anderer Leute) Hits verpulvert hat, der kommt natürlich gegen Ende in eine Zwickmühle. Starke Songs haben die New Yorker zwar genug, aber stattdessen zogen sie sich mit einer knapp 15-minütigen Instrumentalzugabe noch einmal gekonnt aus der Affäre, in der Sänger Claudio Sanchez seine Soli etwa hinter dem Kopf und mitten in seiner wuchtigen Frisur zu besten gab oder der Mann sich an einer Hommage an die Klassik versucht, in dem er seine E-Gitarre mit einem Geigenbogen (!) spielte. Wirklich gut funktionieren kann dieses Unterfangen aus technischer Sicht natürlich nicht, aber als Showelement der besonderen Sorte taugt’s allemal. Nach 75 Minuten hatten Coheed and Cambria es dann geschafft – der Bunker war gefallen und auch der letzte im Saal hatte verstanden, warum diese Band trotz ihrer erst sechsjährigen Bandgeschichte schon einen gewissen Kultstatus inne hat. Einzig das zu lange Schlagzeugsolo gegen Ende der Show hätte man sich getrost sparen können. Wer immer noch hungrig auf Action war, der musste sich sputen, wenn er noch JULIETTE AND THE LICKS in den Docks sehen wollte. Die Sängerin und Schauspielerin rockte den alteingesessenen Club mitten auf dem Kiez noch einmal, bevor die Live-Shows des Reeperbahn Festivals sich dem Ende zu neigten. Der feierwütige Mob aus den vielen kleinen und großen Spielstädten musste im Anschluss natürlich noch nicht nach Hause gehen, sondern verteilte sich auf die unzähligen Kneipen und sonstigen Amüsierbetriebe auf der sündigen Meile. Nur die alte Frau mit dem südländischen Dialekt lag zu diesem Zeitpunkt vermutlich schon seit ein paar Stunden in ihrem heimischen Bett. Denn morgen muss die Reeperbahn wieder rausgeputzt und die Spuren der Nacht beseitigt werden, vermutlich gar noch mehr als sonst. Markus Rutten – www.sounds2move.de |
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