Festivalbericht zum Wacken Open Air 2010

 

Das diesjährige Wacken Open Air stand für mich unter keinem guten Stern. Mangels Urlaubsgenehmigung konnte ich erst Donnerstagabend anreisen. Zudem hatte ich leichte gesundheitliche Probleme, die mir das in Wacken nötige Marathon-Laufen und Stehen erschwerte. Beide Handicaps bildeten eine unheilige Allianz in der Tatsache, dass ich durch die späte Anreise nur noch auf einem weit entlegenen V.I.P. Parkplatz residieren durfte (irgendwie muss sich die Anzahl der Backstage-Camper seit dem vergangenen Jahr vervierfacht haben). Lange Rede, kurzer Sinn: Aufgrund der oben genannten Gründe musste ich mir meinen Wacken-Plan diesmal wesentlich gründlicher zurecht legen (mal eben zum Auto und wieder zurück war nicht drin) und auch längere Pausen einplanen. Daher blieben einige Bands auf der Strecke, die ich sonst sicher gerne gesehen hätte (zur Wikinger-Bühne und in den Metal-Markt habe ich es z.B. überhaupt nicht geschafft.)
 


Lizzy Borden
 

Los ging es für mich am Donnerstagabend mit Iron Maiden. Die britische Metal-Legende lockte erwartungsgemäß die größte Zuschauermenge des gesamten Festivals vor die Bühne. Doch im Gegensatz zu vor zwei Jahren gab es diesmal keine Probleme bei den Einlässen. Man hat halt aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Musikalisch hat mir der Auftritt von 2008 dagegen wesentlich besser gefallen. Das lag einerseits an der Songauswahl (mit den neueren Alben der Band bin ich nicht so vertraut), anderseits aber auch an Bruce Dickinson, der nicht besonders gut bei Stimme war. Außerdem nervte es, dass er in jeder zweiten Ansage den Titel des neuen Albums „The Final Frontier“ unterbringen musste. Das Ende des Sets stimmte mit Hits wie „Iron Maiden“, Hallowed be thy Name“, „Running Free“ und natürlich „Number of the Beast“ aber versöhnlich, so dass ich den ersten Festivaltag beruhigt beschließen konnte. Da die besten Tage von Amorphis schon lange vorbei sind und die Finnen viel zu früh auf die Bühne mussten, setzte ich die Band auf Lücke. Doch vielleicht habe ich Esa Holopainen und Co. doch etwas zu früh abgeschrieben. Was ich auf dem langen Fußmarsch zum Gelände gehört habe, klang jedenfalls ganz ordentlich. Und mit „Black Winter Day“, „Against Widows“ und „My Kantele“ gab es auch einige Klassiker zu hören. Im Anschluss wurde es dann multikulturell. ORPHANED LAND aus Israel gaben sich die Ehre. Die Band verbindet ihren sehr progressiven Metal mit orientalischen Einflüssen. Auch eine Bauchtänzerin kam zum Einsatz. Sänger Kobi sah mit seinem Gewand und Vollbart aus wie Jesus Christus persönlich (auch wenn er mehrmals ausdrücklich abstritt, eben jener zu sein), und die Stimmung war trotz früher Stunde recht ordentlich. Mir persönlich war das Ganze aber zu sperrig. Nach einer Pause machte ich mich dann zu ENDSTILLE auf zur Black Stage. Die norddeutschen Extrem-Metaller hatten mal wieder einen neuen Sänger zu bieten (die beiden vorherigen wurden aber auch für einzelne Songs als Gäste auf der Bühne begrüßt). Leider wirkt der Endstille-Sound bei Tageslicht und Open Air bei weitem nicht so intensiv wie in einem Club. Dennoch bekam man die Black-Metal-Vollbedienung mit Songs wie „Frühlingserwachen“, „Navigator“ oder „Verführer“. Auffällig war, dass der Sound vorne deutlich besser war als weiter hinten, wohin ich mich zurückzog, als gegen Ende des Auftritts Sänger Zingultus ein kleines (Kunstblut)Bad in der Menge nahm.

 

Noch mehr Showeinlagen gab es im Anschluss auf der W.E.T. Stage. US-Metal Legende LIZZY BORDEN gab sich ein Stelldichein im Partyzelt. Und die Kalifornier zündeten ein wahres Feuerwerk. War die „Murderess Metal Roadshow“ schon Mitte der 80er berüchtigt, so wurde man auch anno 2010 nicht enttäuscht. Ständig wechselnde Maskeraden des Meisters, halbnackte Tänzerinnen und ein paar nette Geschmacklosigkeiten sorgten für Unterhaltung. Auch musikalisch muss sich die Band nicht verstecken. Vor allem die alten Hits des 85er Albums „Love you to Pieces“ brachten das Zelt zum Kochen. Ganz ohne Blut und Titten (zumindest das Zeigen derselbigen) kam im Anschluss Tarja Turunen auf der Party Stage aus. Positiv anrechnen muss man der finnischen Ausnahmesängerin auf jeden Fall, dass sie nicht der Versuchung erliegt, quasi der weibliche Udo Dirkschneider zu werden und sich live hauptsächlich mit Hits der Ex-Band über Wasser zu halten. Tarja präsentierte in erster Linie Songs ihres Soloalbums „My Winter Storm“ sowie zwei Stücke des zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlichten Nachfolgers. Klar, dass es nicht ganz ohne Nightwish geht. Klar auch, dass bei „Wishmaster“ die Publikumsreaktionen größer waren als bei „I Walk Alone“ oder „Die Alive“ (die aber auch ordentlich abgefeiert wurden). Doch man nimmt der Finnin ab, dass sie wirklich ihren eigenen Weg gehen will. Geschickt gewählt war auch die Gary Moore Coverversion „Over the Hills and Far away“. Und mit „Sleeping Sun“ endeten dann auch schon die Nightwish-Anleihen. Wobei für mich diese Gänsehautballade von Tarja vorgetragen schon allein mehr Wert hat als ein ganzer 90-Minuten-Set von Nightwish in der aktuellen Besetzung. Da im Anschluss EQUILIBRIUM auf der Wikinger-Bühne für meine müden Knochen außer Reichweite lagen, überbrückte ich die Zeit bis Slayer mit GRAVE DIGGER. Die deutschen Alt-Metaller spielten einen Special-Gig, der das gesamte „Tunes of War“-Album umfasste. Zum Ende gab es dann noch ein paar Zugaben wie „Excalibur“ oder „Heavy Metal Breakdown“. Da ich kein Fan der Band bin, enthalte ich mich eines Urteils.

 


Tarja

Vor SLAYER dann die Sorge, ob es wieder zu einem Sounddebakel wie 2003 kommen würde, als die Totschläger in etwas besserer Zimmerlautstärke zu hören waren. Doch die Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Der Sound war nicht perfekt, aber akzeptabel. Gleiches gilt für die Songauswahl. Neben neuen Krachern wie „World Painted Blood“ oder „Beauty Through Order“ und den unverzichtbaren Klassikern wie „Hell Awaits“, „Angel of Death“ oder „South of Heaven“ gab es mit „Aggressive Perfector“ und „Expendable Youth“ auch einige Raritäten zu hören. Ansagen waren zwar mal wieder Mangelware, dennoch wirkte die Band nicht unmotiviert. Mit IMPERIUM DEKADENZ ging es dann im Partyzelt altrömisch weiter. Die deutschen Black Metal brachten zu später Stunde einen wirklich gediegenen Sound auf die Bühne. Mal melodisch-atmosphärisch, mal kalt-rasend hat mich die Band aus dem Schwarzwald wirklich positiv überrascht. Gleiches kann man von ATROCITY leider nicht sagen. Die Schwaben lieferten zum Abschluss des Wacken-Freitags die Enttäuschung des Tages. Zwar hatte sich die Band zu ihrem 25. Jubiläum einiges vorgenommen, doch war schon der relativ geringe Zuschauerzuspruch ein erster Dämpfer. Der zweite folgte mit dem Beginn der Musik. Da ein Special-Gig geboten wurde, der alle Schaffensphase umfasste, gab es erst einmal Geknüppel zu hören. An und für sich lobenswert. Doch leider klang der Sound dermaßen schwach und drucklos aus den Boxen, dass die Wirkung verpuffte. Außerdem hatten die meisten der Zuschauer damit nicht gerechnet und guckten recht ratlos aus der Wäsche. Selbst Songs wie „B.L.U.T.“ und „Die Totgeweihten“ schienen keinen so recht zu interessieren. Stimmung kam erst gegen Ende auf, als die üblichen Werk 80-Hits zum Einsatz kamen. Schade eigentlich, denn am Engagement der Band und der gebotenen Show (u.a. die bewährten Gogo-Tänzerinnen) hat es nicht gelegen, dass der Freitag eher mau zu Ende gegangen ist.
 


Crucified Barbara
 

Was macht man, wenn man die Wahl zwischen Old-School-Death-Metal (Unleashed) und Pagan-Black-Metal (Kampfar) hat? Na klar, man schaut sich schwedischen Girl-Rotzrock an! Mit Crucified Barbara begann ich den Festival-Samstag im Partyzelt. Und die Mädels aus Stockholm enttäuschten mich nicht. Trotz verhältnismäßig früher Stunde war man sowohl auf als auch vor der Bühne in Party-Laune. Und auch wenn die postulierte „Sex Action“ nicht über die verbale Form hinaus zum Einsatz kam, so gab es für den männlichen Fan doch Einiges fürs Auge. Sex pur auch bei DEN KASSIERERN. Die ersten Songs bestritt Sänger Wölfi komplett nackt. Ob das allerdings für die weiblichen Fans der angemessene Ausgleich war, mag bezweifelt werden. Dennoch waren einige Zuschauerinnen regelrecht enthemmt. Der Aufforderung „Macht die Titten frei, ich will wichsen“ kamen tatsächlich einige Mädels nach. Zum Glück löste Wölfi seinen Teil des Songtitels nicht ein... Ansonsten verbreiteten die Kassierer die üblichen unschlagbaren Weisheiten wie „Arbeit ist scheiße“ oder „Am schlimmsten ist, wenn das Bier alle ist“. Das Ganze unterlegt von minimalistischem aber effektiven Punk-Rock. Ein brechend volles Zelt und eine exstatische Stimmung geben den Wattenscheidern Recht und zeigen, dass auch so eine Band auf dem Wacken seine Berechtigung hat.

 


Endstille

Wesentlich traditioneller ging es im Anschluss mit Metsatöll weiter. Die Pagan Metaller aus Estland reichern ihren Sound mit einigen folkloristischen Instrumenten an und haben eigentlich auch einige Stimmungshits in petto. Doch das Level der Kassierer konnten sie keinesfalls halten. Die suboptimale Songauswahl trug das ihrige dazu bei. Dennoch kein schlechter Auftritt im halbwegs gefüllten Zelt. Letzteres füllte sich wieder sichtlich als Bayerns Skandal-Paganer VARG die Bühne enterten. Sänger Freki schien die Diskussion über seine Person völlig kalt zu lassen und grinste angesichts der überwältigenden Publikumsresonanz wie ein Honigkuchenpferd (was etwas kontraproduktiv zu seinem schwarz-roten corpse- oder warpaint wirkte). Musikalisch ist die Band sowieso über jeden Zweifel erhaben. Songs wie „Schildfront“, „Wolfszeit“ oder das neue „Blutaar“ bewiesen, dass sich die Band nicht vor der thüringischen Konkurrenz verstecken muss. Die Farbe Rot, die schon das Bühnenbild bei VARG beherrscht hatte, dominierte auch den Auftritt von DEBAUCHERY. Der Blutgott und seine Mannen hatten sich reichlich künstlichen Lebenssaft auf die Leiber geschmiert. Musikalisch gab es mal schnellen, mal groovigen Death Metal auf die Ohren. Das Zelt war gut gefüllt, und das obwohl zeitgleich Cannibal Corpse auf der Black Stage spielten. Die Zuschauer wurden noch mit dem Striptease einer Blondine belohnt, die sich zum Abschluss ordentlich Kunstblut auf die Plastiktitten schmierte. Etwas ruhiger wurde es danach bei Sólstafir. Die Isländer zelebrierten ihren progressiven Psycho-Black-Metal mit einer außergewöhnlichen Intensität. Die teils überlangen Songs haben nahezu hypnotische Ausstrahlung. Da hat es Sänger Aðalbjörn Tryggvason eigentlich gar nicht nötig, seltsame Witze zu machen und die Fans zu fragen, ob sie nicht lieber Kreator-Songs hören wollen.

 

Danach verließ ich erstmals an diesem Tag das Partyzelt und machte mich auf den Weg zu IMMORTAL. Irgendwie wiederholen sich die Ereignisse. Musste ich 2008 beim Warten auf Grogoroth (oder dem, was damals unter diesem Namen aufgetreten ist) Tobias Sammet und Avantasia ertragen, waren es diesmal EDGUY, die meine Nerven strapazierten. Als dann endlich Abbath und Co. die Bühne enterten, war die Enttäuschung groß. Der Sound klang wirklich mies aus den Boxen. Auch der zweite Song „Sons of Northern Darkness“ war kaum wiederzuerkennen. Erst langsam besserte sich Sound. Die Songauswahl war recht stark auf das neue Album „All Shall Fall“ zugeschnitten. Daher mussten viele Klassiker weichen. Songs von den Alben vor „At the Heart of Winter“ kamen gar nicht zum Einsatz. Vor allem „Blashyrkh (Mighty Ravendark)“ hätte eigentlich nicht fehlen dürfen. Zumal auch die vorgesehene Spielzeit von der Band gar nicht komplett genutzt wurde. Zwar gab es mit „One by One“ und dem überragenden „Beyond the North Waves“ noch zwei echte Schmankerl, doch änderte dies nichts mehr an dem sehr durchwachsenen Eindruck, den die Norweger hinterlassen haben. Auch wenn im Anschluss TIAMAT und UDO (oder wahlweise THE DEVIL'S BLOOD) sicher noch Wert gewesen wären, ein Ohr zu riskieren, beendete ich an diesem Punkt mein Wacken 2010 und machte mich auf den Heimweg.
 


Varg

 

Als Fazit bleibt mal wieder ein perfekt organisiertes Festival, das im Gegensatz zum Vorjahr auch echte Headliner zu bieten hatte. Dafür fehlten meines Erachtens ein paar Bands aus der Kategorie „Ausgebuddelte Thrash-Helden“ wie Possessed, Sacred Reich oder Whiplash in den Vorjahren. Außerdem stört mich die Tendenz, auch den Mittwoch immer weiter mit ins Festivalgeschehen einzubeziehen. Die ganzen Metal-Battle-Nachwuchsbands (die 2009 noch für einige positiven Überraschungen gesorgt hatten) waren somit für mich außen vor. Generell über die Entwicklung des Festivals, was zum Beispiel Größe und Preise angeht, möchte ich mich an dieser Stelle nicht auslassen, da sich an meiner Einschätzung zum Vorjahr nichts geändert hat. Ein weiteres Kuriosum ist allerdings der ebenso alberne wie aussichtslose Versuch der Veranstalter, Circle Pits verbieten zu wollen. Insbesondere wenn man Bilder eben dieser Circle Pits als Werbung für die 2009er Wacken-DVD ständig über die Video-Wände laufen lässt... Ohne Worte!

 

Alexander Dontscheff – www.sounds2move.de