Open Flair 2010 – Festivalbericht

 

Zurückhaltender Start ins Open Flair 2010. Am Donnerstag, dem ersten Festivaltag, sind im Großen und Ganzen für Musikliebhaber nur MR. IRISH BASTARD – Brüder im Geiste der ungleich größeren Dropkick Murphys – und die giftgrünen Ska-Punks SONDASCHULE von Interesse, wobei vor allem letztere exzellent ankommen.

 

Der richtige Startschuss fällt jedoch eigentlich erst am Freitag mit Programm schon ab dem frühen Nachmittag. Wer zuerst eine kleine Ehrenrunde auf dem Gelände dreht und nach dem Einlass zielsicher die Allee der diversen Stände ansteuert, fühlt sich wie beim „Politischen Freitag“. Linkes und Alternatives Gedankengut und dessen Verfechter arbeiten hier an der Basis, sprich den jungen Festivalbersuchern. Und alle sind gekommen: Die Jusos, Greenpeace, die IG Metal und die ideologisch schon radikalere Antifa – alle sind sie da, die ganz engagierten werben mit Slogans wie „Deutschland halt’s Maul“. Aha. Freunde des bissigen Humors werden jetzt breit grinsend fragen wo bei so viel Rot eigentlich die SED geblieben ist. „Na da vorn, die heißen jetzt ‚Die Linke’ und haben auch einen Stand“. Jetzt ist es aber gut mit politischem Kabarett, weiter zum Wesentlichen – nämlich der Musik!


Dass die Skaterpunk-Ikonen NO USE FOR A NAME und LAGWAGON („Ace of Spades“-Tribute anyone?) um kurz nach Vier bereits beide ihren Auftritt absolviert haben werden, überraschte schon im Vorfeld nicht wenige Besucher. Eigentlich Verschwendung, der harte Kern feiert seine Helden trotzdem. THERAPY? dürfen etwas später auf die Bretter, fallen aber bei weiten Teilen des Publikums durch. Das sehr junge Publikum scheint offensichtlich keinen Bezug mehr zu den Nordiren zu haben, die, und das sagen leider auch viele Fans, ungeachtet dessen ihre goldenen Jahre wohl schon eine Zeit lang hinter sich haben. Völlig anderer Sound und völlig andere Reaktionen: SKINDRED kennt im wenig metallisch-bewanderten Publikum fast niemand, was die Briten nicht daran hindert, den Überraschungssieg des Tages einzufahren. Mit ihrem hin und wieder etwas kruden, aber live exzellent funktionierenden Gemisch aus Thrash Metal, Reggae und Crossover räumen Benji Webbe und seine drei aktiven Kollegen ordentlich ab. Und wieder dreht man sich um 180° (musikalisch sowie zur anderen Bühne), wo es mit astreinem deutschem Hip Hop weiter geht, genauer gesagt mit den „WM Rappern“ aus dem öffentlich-rechtlichen – BLUMENTOPF. Für Rocker eigentlich ungefähr so etwas wie für den Teufel das Weihwasser also, und trotzdem ist es mächtig voll vor der großen Bühne, vor allem Studenten und Alternative lassen sich von den teils überaus faden deutschen Texten verzücken und fressen dem Kollektiv aus dem Stand aus der Hand. Nach einer Stunde hüpfen, mit dem Kopf nicken und den Armen wedeln ist Schicht und die recht sympathische Truppe nur wenig später am Autogrammstand fleißig am signieren. Nette Jungs, aber musikalisch kommen wir eher nicht zusammen.  

 

 

Nächste Band, nächste Überraschung: 3 FEET SMALLER, immerhin aus Österreich nach Eschwege gereist, haben im Prinzip nur angepunkten Alternative Rock dabei, der weder sonderlich innovativ, noch überragend gut gemacht ist. Interessiert aber irgendwie keinen, denn das Trio kommt exzellent an. Da bedarf es eigentlich nicht mal der geäußerten Lobeshymne auf die Lokalhelden The Bates, denn die Kids machen auch so jeden Schabernack mit. Hier wird mit Stroh geworfen, das T-Shirt im Propellerstil über dem Kopf geschwungen oder einfach mal ein Song im Sitzen genossen. Läuft. Daraufhin darf das geistige Niveau schon mal schlafen gehen. Den verstrahlten Herren von NOFX ist nämlich kein Tiefschlag zu tief, kein Kommentar unverschämt genug. Auf einmal stehen die Burschen auf der Bühne, empfangen von Sprechchören, welche Fat Mike sogleich mit „Wir sind doch schon da, ihr müsst nicht nach uns rufen“ zum Verstummen bringt. Ob NOFX jetzt die beste oder schlechteste Live-Band des Planeten sind, muss jeder selbst entscheiden. Fakt ist hingegen, dass der Unterhaltungswert und die Klasse der Situationskomik nur schwer zu toppen sind. Da werden Einsätze verpasst, ganze Songtexte vergessen, die eigene Unfähigkeit offensiv zur Schau getragen und trotzdem haben vor allem Eingeweihte 90 fröhliche Minuten. Mehrfach werden die ersten Reihen nach Pillen und anderen Drogen angehauen, einem Mädel, das freudestrahlend blank zieht wird an den Kopf geworfen, dass ihre sekundären Geschlechtsorgane optische Parallelen zu Hundezitzen aufweisen – wer von den Mitvierzigern gutes Benehmen und gediegene Unterhaltung erwartet hat, der wohnt entweder hinterm Mond oder hat die unschlagbare „Backstage Passport“-DVD nicht gesehen. Ach so, ein paar Songs gab es zwischendurch auch noch: „Franco Un-American“, „Kill all the White Men“, „Murder the Government“ und „Bob“ sorgen dabei für die größte Euphorie, außerdem wird mit „Punk in Drublic“ das populärste (aber nicht beste) Album der Discografie in voller Pracht präsentiert. Frei nach dem Motto „die halbe Stunde haben wir!“; und „Don’t call me white“ geht sowieso immer. Vom aktuellen Dreher „Coasters“ hat es unter anderem das zum brüllen komische „Creeping out Sara“ ins Set geschafft, „It’s my Job to keep Punk Rock elite“, „All his suits are torn“ und „The Idiots are taking over“ fehlen zum Bedauern des Autors leider. Ok, NOFX sind eine beschissene Live-Band, aber wer auf den schrägen Humor der Truppe steht, freut sich trotzdem wie Graf Koks. Dass das Quartett an diesem Tag noch erfahren hat wo es sich gerade überhaupt aufhält („Is this Frankfurt or Freiburg?!“) darf ungeachtet dessen bezweifelt werden. Mit den LEVELLERS (O-Ton Fat Mike „Die einzige Band auf die Festival, die noch älter ist als wir“) halten kurze Zeit später Dudelsäcke Einzug in Eschwege, bevor im Anschluss Kermit der F… äh… JAN DELAY an der Reihe ist. Achtung, es wird ultra-subjektiv: Dann lieber nix zu Weihnachten! Liedermacher GÖTZ WIDMANN und die MAD CADDIES retten da für viele, die ähnlicher Meinung, sind noch den Abend.

 

Ein erstes Warmschunkeln am Samstag geht passabel mit STREETLIGHT MAINFESTO, bevor es gleichermaßen melodisch wie räudig mit den BROILERS weitergeht. Die haben zwar garantiert nicht den besten Sänger unter der Sonne, dafür aber zu Recht den Ruf vor so ziemlich jedem Publikum bestehen zu können. AGAINST ME und die Norddeutschen TURBOSTAAT sind dem Autor danach zu alternativ, landen aber beim restlichen Publikum einen Volltreffer. Die fleißigen THE GASLIGHT ANTHEM haben anschließend einen Ruf zu verlieren und geben sich trotz nach wie vor brutzelnder Sonne keine Blöße mit einem bunten Mix aus neuen und alten Songs bei denen zudem der Mitsingfaktor stimmt. So richtig schön durchgeknallt sind die Sicherungen bei den spanischen Ska-Chaoten SKA-P, die ihren ganz eigenen Charme auch auf dem Flair versprühen und die riesige Menschentraube konstant in Bewegung halten und sich damit zum Tagessieg aufschwingen. Dem haben THE HIVES zu später Stunde nicht mehr viel entgegen zu setzen, denn die Herren mögen zwar auch hier im hessischen Randgebiet ihre Die-Hard-Fans haben, aber mindestens genauso viele Besucher lassen sich vom überheblichen Gehabe der Ikea-Boys nicht wirklich überzeugen. Da helfen nur noch MONSTERS OF LIEDERMACHING mit ihrer Humor-Dominanz, allerdings erst um Mitternacht, dafür mit 90 Minuten Zeit und unter anderem dem relaxten „Blues“ im Gepäck.


Endspurt, Sonntag, Regen: In der Breite ist der letzte Festivaltag nicht mehr all zu gut besetzt, dafür punkten die wenigen Highlights. Zum Mittagstee wären da zum Beispiel die Multikultirocker LIVINGSTON, die sich nicht nur schon ein treues Publikum erspielen (etwa als Support für die Koblenzer Modern Rock-Hopefulls Blind), sondern mit „Broken“ in diesem Jahr gar einen medial beachtlich präsenten Hit landen konnten. Witzigerweise ist dieser Song schon mehrere Jahr alt, stellt also einen waschechten Spätstarter dar. Wer stilvoll schwelgen will, ist hier jedenfalls absolut richtig. Und sieht im Anschluss jegliche Zurückhaltung verpuffen, denn PAPA ROACH schicken sich an dem Publikum und den Regenwolken in den Arsch zu treten und ballern sich durch ein mit 60-Minuten deutlich zu kurzes Set aus alten Hits und neuen Glanztaten. Eschwege geht noch mal steil, selbst das recht alternative Publikum kann nicht anders als mitzugehen und die jüngeren Rocker (und davon gibt’s hier viele), die „Infest“ nur noch aus Erzählungen kennen, lernen heute, wie eine Rockshow auszusehen hat. Ein würdiger Abschluss der diesjährigen Sommertour, bevor man sich im Herbst auf der Tour mit Disturbed wieder sieht. BELA B hingegen würde ich liebend gern in naher Zukunft wieder mit seinen beiden kongenialen Partnern bei den Ärzten sehen, denn wenn man ehrlich ist kann der Der Graf mit seinem Solo-Repertoire nur bedingt überzeugen. Sicher, die beiden bisherigen Scheiben hatten unbestritten ihre Momente, aber vor allem live ist das alles kein Vergleich zur Hauptband des Berliners. Da vielen Besuchern ohnehin schon mehrere Tage Festival in den Knochen steckten, muss sich auch ein Chart-Dauergast wie der Ärzte-Drummer deutliche Abwanderungen gefallen lassen. Für viele eher ernüchternd.

 

 

„Alten Helden“ und „unkaputtbar“ treffen bei BAD RELIGION den Nagel auf den Kopf. Greg Graffin wird zwar zusehends kahler auf dem Schädel, weiß aber natürlich nach wie vor wie der Hase zu laufen hat. Und zwar am besten im Kreis, und so stachelt der große Mann des US-Punkrock zum einen oder anderen (Circle-)Pit an und findet damit schnell Gehör. Endlich fühlt man sich nicht mehr alt und kann sich an Hits wie „Generator“, „American Jesus“, dem immergrünen „Punk Rock Song“ und „Heroes and Martyrs“ gütlich tun. Hut ab, meine Herren. Wer danach noch stehen kann lässt sich von den Studenten-Rockern WIR SIND HELDEN oder der Hamburger Schule von FETTES BROT und ihren „Mädels“ (Emanuela, Bettina…) die letzte Ölung verpassen, bevor auf dem wirklich schön gelegenen Festivalgelände der finale Kehraus erfolgt.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 


NOFX 

 

Link: www.openflair.de