Festivalbericht zum Taubertal Festival 2008

 

Das Taubertal-Festival ist zum 11. Mal in Folge ausverkauft. Wen wundert es noch? Beweisen die Macher doch Jahr für Jahr, dass sie ein gutes Händchen beim Zusammenstellen des formvollendeten Line-Ups haben. Waren die letzten Jahre auf der Eiswiese überwiegend von heimischen Bands geprägt, spielen 2008 die Skandinavier ganz oben mit. Auch mit dem fantastischen Blick auf die historische Stadt Rothenburg kann kaum ein anderes Festival mithalten. Hier zeigt sich endlich einmal mehr, dass Musik ein Stück Kulturgut ist und ein Festival nicht nur aus Saufen, schlechtem Fast-Food (nein, beim Taubertal gibt es auch leckere, heimische Küche!) und Sex im viel zu kleinen Zelt besteht. – Die Bewohner der pittoresken Altstadt haben die Festivalbesucher lieb gewonnen. Hier rennen keine pöbelnden Horden durch die Stadt, vielmehr werden Musikgenuss und Sightseeing miteinander verwoben. Es ist gar durchaus möglich, dass man Langhaarige in Turbojugend-Kluft in Cafés sitzen sieht, auf deren Schildern groß prangt: „Draußen nur Kännchen.“ Ein herrliches Bild. Das i-Tüpfelchen in diesem Jahr, und wohl auch ein Novum in der gesamten Taubertal-Geschichte, gibt es in diesem Jahr noch oben drauf: Wo wir in letzten Jahren mit Gummistiefeln durch knietiefen Matsch wateten, zeigt sich endlich einmal grüne Wiese. Drei Tage Dauer-Sonnenschein lassen die ohnehin lockere Atmosphäre noch heimelicher scheinen.

 

 

Freitag, 08. August

 

Nachdem sich NAVEL viel zu laut um Kopf und Kragen geschrien haben, kündigt Marta Jandová (Die Happy) bereits BLACKMAIL an. Das Publikum sitzt auf den grünen Hängen. – „Gemütlichkeitsfaktor A“, wie Sänger Aydo Abay es nennt. Weniger gemütlich geht es auf der Bühne zu, gespannt wird beobachtet, wie Abay versucht aus einer Wall of Death ein „Cross (!) of Death“ zu formen. Abay scheint selbst überrascht, dass dieses Unterfangen nach unzähligen Festivalgigs endlich mal von Erfolg gekrönt ist. Er taucht lange Zeit in der johlenden Menge unter, so dass Kurt Ebelhäuser den Gesang übernehmen muss. Zurück auf die Bühne gekehrt, steht dort noch ein verdattertes Mädel, das aus dem Pit gefischt wurde und nun „Moonpigs“ tänzerisch untermalen soll. Rasant geht es mit „(Feel It) Day By Day“ weiter. Alle sollen bitte mitklatschen, wir sind ja nicht zum Spaß hier. Mit „The Good Part“ will Abay, der sich ob der malerischen Kulisse wie Rapunzel fühlt, gebrochene Herzen heilen, „It could be yours“ wird mit einem lauten Schrei des Publikums der kürzlich verstorbenen Mutter des Sängers gewidmet. Schließlich bildet „It's Always A Fuse To Live At Full Blast“ das fulminante Ende eines musikalisch wie auch menschlich absolut überzeugenden Festival-Gigs.

Weniger überzeugend: ADAM GREEN, der zu „Carolina“ verpeilt und sichtlich desorientiert auf die Stage getänzelt kommt. Mit zwei Background-Sängerinnen im Schlepptau werden Songs wie „Cannot Get Sicker“, zu dem gemeinsam geschnipst wird, zum holperigen R’n’B-Blues-Erlebnis der unmotiviert-monotonen Art. Höhepunkt des Konzerts: Green, der sich Bananen aus der Unterhose zieht und beherzt zu beißt (mit Schale! Iiih!), wird mit Kondomen beworfen. Alles lächelt kurz beschämt. Man hat Mitleid mit dem Anti-Folker, der erzählt, dass er in Vorbereitung fürs Taubertal nicht nur getrunken, sonder extra bunte Pillen geschmissen hat. Man möchte es ihm auf Anhieb glauben. Eine solch abstruse Show inklusive wirrem Spontan-Poertry-Slam über Pferdescheiße, Schlösser und Stadtausweisungen muss man ihm erst mal nachmachen. – Während Green noch Faxen macht, holen TURBOSTAAT ihren Gig vom letzten Jahr nach. Hier geht es mit weitaus mehr Begeisterung und vor allem Qualität zur Sache. Die Flensburger haben die wenigen Leute, die den Weg zur Nebenbühne gefunden haben, fest im Griff. Wir vermissen fast schon ein wenig den Matsch, in den die pogende Masse fallen könnte. Als im Song „Ja, roducheln!!“ dann noch das Wort Rothenburg fällt, wird gejubelt als stünde schon der Headliner dort oben. Auch wenn man, weiß dass hier ein anderes Rothenburg gemeint ist, nämlich das mit dem „Kannibalenvorfall“, kann man sich ja mal freuen. Rothenburg findet sich sonst wohl nicht in vielen Songs wieder.

 

Mit NEPHEW steht der dann schon der erste große Act des diesjährigen Dänemark-Specials auf der Bühne. Nachdem sich die Band nach dem Taubertal-Festival 2001 eigentlich auflösen wollte, ist inzwischen die erfolgreichste dänische Band aller Zeiten aus ihnen geworden. Nephew machen nicht viele Worte darum, danken dem Taubertal nur schlicht dafür, dass hier immer an sie geglaubt wurde. Songs wie „Movie Klip“, das abschließende „Igen & Igen &“ oder die Zugabe „Bazooka“ hinterlassen allerdings einen etwas schalen Nachgeschmack. Haben die frühen Nephew wirklich noch gerockt, sind die Herren mittlerweile bei der Beschallung von Stadien angekommen: Immer etwas zu glatt, immer etwas zu perfekt.

Zu DIE FANTASTISCHEN VIER hat sich eine große Menge vor der Bühne versammelt. Der Umbau dauert eine halbe Ewigkeit. Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Bunt und blinkend präsentiert sich ein riesiges Bühnenbild. Das Augenmerk der Stuttgarter Vorzeiger-Rapper liegt heute auf das Album „Viel“. Es werden lediglich eine Hand voll Klassiker, darunter „MfG“, „Sie ist weg“ oder Thomas D.s „Krieger“ gespielt. Viele hier sind in den 90igern mit diesen Songs groß geworden, wollen natürlich nur diese hören, dementsprechend gehen die neuen Lieder unter Anstandsapplaus eher unter. Der Platz leert sich zusehends. Die Fantastischen Vier können die Massen heute nicht zum „immer locker bleiben“ überreden.

Bei KAIZERS ORCHESTRA finden sich dann auch nur noch wenige Verstreute auf dem Gelände. Zu Verlockend scheint der Auftritt von Jupiter Jones im „Red-Bull After-Show“-Bus oder aber das kuschelige Plätzchen im Zelt. Nichtsdestotrotz geben die Norweger alles. Sie wissen, dass Deutsche gerne singen, tanzen und dazu klatschen und genau darum haben sie sich heute 24 Stunden in den Bus gesetzt, um zum Taubertal zu kommen. Ein Mädchen in der ersten Reihe schwingt hysterisch die Norwegen-Flagge, die Fotografen im Graben tanzen, die Security bestaunt die großen Öl-Fässer auf der Bühne, während Sänger Janove Ottesen und Gitarrist Geir Zahl aus Schmusekurs gehen. „KGB“, „Blitzregn Baby“ und „Resistansen“ werden abgefeiert wie sonst was. Nicht umsonst ist das Sextett als eine der besten Livebands überhaupt verschrien. Die „Hallelujah“-Rufe hallen noch durch die Nacht, als wir uns schon längst auf den Weg in die Stadt gemacht haben – und doch noch ein kleiner Regenguss auf das Gelände platzt.

 

 

Samstag, 09. August

 

Samstag. Die Sonne strahlt noch immer. Irgendwie geht das hier doch nicht mit rechten Dingen zu, denken sich die eingeschworenen Taubertäler, die sich pünktlich zu SLUT aus den Schlafsäcken gequält haben. Die Ingolstädter schwächeln dank Technikproblemen etwas in der ersten Hälfte des Sets. Das bis dahin von „Still No. 1“ geprägte Set kommt im zweiten Teil dann aber um so heftiger zum Zünden. Der Klassiker „Mecki Messer“ oder auch „Easy To Love“ werden abgefeiert. Es wird gesungen, getanzt und viel gelächelt. Sonne macht also doch albern. Und experimentierfreudig: So präsentieren Slut neben einem brandneuen Lied auch einen alten, kaum bekannten Song, der in wahren Instrumentalkaskaden gipfelt. Als mit den Zugaben „Wednesday“ und „Why Pourquoi (I Think I Like You)“ klar wird, dass gleich Schluss mit Schlampen ist, werden Zugaberufe laut. Aber nein, mehr gibt es heute nicht, denn PANTEÓN ROCOCÓ stehen schon in den Startlöchern. Die mexikanische Skaband braucht nicht mal eine Minute, bis sich das Publikum in einen springenden Flummi verwandelt – auf und ab, recht und links. Individuen werden zu einem einzigen Meer aus Armen und klatschenden Händen. Die Stimmung auf dem Siedepunkt. Auf den Boden der Tatsachen werden wir danach schnell von den EDITORS geholt. Ohne große Überraschungen oder Ausreißer bieten Tom Smith und Co. eine melodieverliebte wie auch melancholische Show. Ein Gig, der gut war, aber genauso schnell vergessen sein wird, wie er gespielt wurde. Grundsolide.

 

FETTES BROT sind wohl der Headliner des diesjährigen Festivals schlechthin. Kaum ein Mund in Sicht, der nicht die aktuellen Songs mitsingt. „Tage wie dieser“ mit Pascal Finkenauer oder Erdbeben (Was geht’n?) entwickeln sich zum reinsten Publikumsmagneten. Zum ersten Mal sitzt wirklich niemand mehr am Hang. Zu „Jein“ oder „Schwule Mädchen“ kann man einfach nicht stillhalten. Und wer bis dahin noch die Klappe halten konnte, singt spätesten beim Brote-internen Kinderlied-Contest mit: Zehntausend Kehlen, die „Alle Vöglein sind schon da“ trällern. Ein Schmaus für Augen und Ohren. Gute Laune steht auch bei THE HIVES auf dem Plan. Das HB-Männchen Pelle Almqvist rast nur so über die Bühne und hat dabei immer noch genug Atem um wirklich alle Hits auf die pogende Menge los zu lassen. Obwohl schon seit Längerem auf Tour zeigen sich The Hives sogar als sehr fleißig, denn mit „A 1000 Answers“ gibt es gleich auch noch einen brandneuen Song auf die Ohren. Dass Pelle Rothenburg am Ende in die Luft jagen will, weil die Bombe schon leise Tick, Tick, Tick, Tick, BOOM flüstert, sei da nur am Rande erwähnt. Die Schweden haben rohe Gewalt doch gar nicht nötig, sie legen auch so alles in Schutt und Asche.

 

 

Sonntag, 10. August

 

„Hallo, wir sind eine unbekannte Scheißband.“ – So stellen sich die SCHRÖDERS am Sonntagmorgen vor. Die unbekannte Scheißband schafft es dann auch tatsächlich, das gesamte Publikum, das sich gerade erst aus dem Schlafsack gepellt hat, zum Niederknien zu bewegen. Obendrein gibt Sänger Burger eine Lehrstunde im professionellen Applaudieren, damit das später auch bei Die Ärzte klappt. Zu „Frösche“ wird eifrig mitgegrölt, bei „Lass uns schmutzig Liebe machen“ blank gezogen und die Zugabe „Saufen“, ja, wozu animiert diese wohl? – Die Schröders werden nie den musikalischen Olymp erklimmen, aber für eine Stunde ordentlichen Spaß sorgen, das können die in die Jahre gekommenen Punks noch immer.

Alljährlich wird auch wieder der EMERGENZA Sieger gekürt. In diesem Jahr geht der Pokal und somit eine professionelle Produktion, eine gesponsorte Tour sowie Musikinstrumente an GLORIA CYCLES aus Brighton. Typisch britischer Indie-Pop – tanzbar, eingängig und vor allem sehr austauschbar – schallt da von der Bühne. Wahrscheinlich hat man die Band, wie alle Emergenza-Sieger im nächsten Jahr längst wieder vergessen.

 

DANKO JONES und ANTI-FLAG rauschen wie im Flug an uns vorbei. Der Platz füllt sich immer mehr. Ärzte-Shirts so weit das Auge blickt. Noch harten Punk und Anti-Bush-Parolen im Ohr, wollen noch schnell THE HEAVEY und THE FUTUREHEADS begutachtet werden. Die beiden Bands haben die undankbare Aufgabe kurz vor Die Ärzte auf die Nebenbühne zu müssen. Kaum einer ist da. Dabei überzeugen vor allem letztere durch ein großartiges Gute-Laune-Set. Und DIE ÄRZTE selbst? Die sind auch gut gelaunt, fallen doch aber eher durch fade Sprüche, als durch gute Songs auf. Bei „Westerland“ beispielsweise wird sich auf der Bühne tot gelacht. Der Song muss immer wieder abgebrochen werden. So versauen sie die Mitsing-Nummer schlechthin total. Wer hier kein Hardcore-Fan ist, steht eher bedröppelt da und fragt sich, was das Ganze eigentlich soll. Auch die sonstige Songauswahl bietet kaum etwas für den Gelegenheits-DÄ-Hörer, der nur mal eben die Chance nutzen will, sie ein Mal zu sehen. Einzig das euphorische Publikum kann das Konzert noch irgendwie retten. Zur ersten Zugabe „Junge“, dem Anblick eines riesigen Circle-Pits in der aus DÄ-Shirts bestehenden ersten Reihen, heißt es für uns dem Stau ein Schnippchen schlagen und verschwinden, bevor alle auf diese Idee kommen. Den lieblosen Auftritt musste man nun wahrlich nicht bis zu Ende sehen. Schade eigentlich das Festival so zu beenden. Fürs nächste Jahr wünschen wir uns wieder die Monsters of Liedermaching zum Abschluss und ... Matsch natürlich!

 

Text: Katrin Reichwein - www.sounds2move.de

 

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