Festivalbericht zum Rock Harz 2008

Publikum

Freitag, 18.07.

Nachdem uns leider der mager besetzte erste Festivaltag und eine Hälfte des zweiten aus beruflichen Gründen durch die Lappen gegangen sind, geben HAGGARD unseren persönlichen Einstand. Vor der Bühne ist es nicht überragend voll, viele Headbanger – vor allem der folkenden Fraktion – haben sich nach den Auftritten von Bands wie Alestorm, Tyr und Turisas in Richtung Zeltplatz abgeseilt und das Wetter ist ebenfalls nicht gerade ein Freund des diesjährigen Open Airs. In umfangreicher Besetzung schmettern die Klassik-Metaller um Asis Nasseri und die beiden Sopranistinnen Susanne Ehlers und Veronika Kramheller allerlei episch, pompöses Liedgut, das allerdings nicht überall auf offene Ohren stößt. Schnell wird klar, dass diejenigen Zuschauer, die vor diesem Tag keine Haggard-Fans sind es auch danach wahrscheinlich nicht sein werden. Trotz Nieselregen recht passabel besucht ist der folgende Auftritt von DOWN BELOW auf der kleinen Bühne, die allerdings in ein völlig anderes Horn blasen. Die Herren aus Dessau geben nämlich den ultra-eingängigen und durchweg hitverdächtigen Sound ihres Debüts „Sinfony 23“ zum Besten, der gut fürs Tanzbein ist und vor allem die weiblichen Fans in der ersten Reihe verzaubert. „From the highest Point“, der Titeltrack oder aber die Hitsingle „Sand in meiner Hand“ sind richtig kurzweilig Nummern, die einfach Spaß machen, selbst wenn einige Kuttenträger angesichts des Electro Rock der Schönlinge nur die Nase rümpfen.

Im Anschluss zieht sich die Wartezeit bis zum Auftritt des Co-Headliners an diesem Abend mehr und mehr in die Länge. ATROCITY haben merklich Probleme mit der Technik und müssen nach einigen ausgetauschten Kabeln und allerlei Flickarbeit schmerzhafte 20 Minuten später als geplant in ihr Set starten. Schmerzhaft deshalb, weil man im Harz offensichtlich nicht gewillt ist, die Spielzeit der Stuttgarter einfach entsprechend nach hinten zu verlängern (was für Außenstehende angesichts der üppigen Umbauzeit für den Hauptact wohl durchaus drin gewesen wäre) und Alex Krull und seiner Mannschaft somit gerade einmal 40 Minuten bleiben, um eine abgespeckte und leider nicht ganz so opulent wie geplant aufgezogene „Werk 80 II“ Show auf die Bretter zu bringen. Zum Glück bleibt dennoch Zeit, um etwa „Fade to Grey“, Rage hard“ und das finale Duett „Shout“ mit Liv Kristine zu kredenzen. Bei absolutem Geschlechtergleichstand auf der Bühne (4 Jungs, darunter Drum-Aushilfe Alex Holzwarth auf der einen, und Liv Kristine, Basserin Alla Fedynitch sowie den beiden quasi-nackigen Tänzerinnen - Werk 80 lässt grüßen – auf der anderen Seite) und stimmigem Bühnenbild ist zumindest alle mal genug Platz für die Atrocity-typische Interaktion mit dem Publikum und die natürlich auf der Hand liegenden Mitsingspielchen. Absolut sehenswerter Auftritt, wenn auch leider viel zu kurz. Dafür überziehen im Anschluss SALTATIO MORTIS um ein paar Minuten, was einer der besten deutschsprachigen Liveband mit dem wie gewohnt spitzbübig grinsenden Alea am Gesang allerdings niemand verübeln kann. Denn wer zuvor für eine ausgelassene Stimmung sorgt und dem Mob trotz miesem Wetter auch zu vorgerückter Stunde noch einmal so richtig Beine machen kann, der darf ruhig noch einmal nachlegen, vor allem dann, wenn man es auf dem Niveau von „Falsche Freunde“ und „Spielmannsschwur“ tut, welche das Set heute abschließen. Saltatio Mortis sind live einfach eine Bank – egal bei welchem Wetter. Unverwüstlich sind auch die in die Jahre gekommenen Herren von SAXON, bei denen vor allem die Saitenfraktion (mit Ausnahme von Standfußballer Paul Quinn) mit Posen und großen Aktionsradius Dampf macht. Auch Biff Byford ist für sein Alter noch top in Schuss, selbst wenn im Verlauf der Show nicht jede Note 100%ig sitzt. Auch auf Seiten des Publikums dürfte etwas mehr gehen, immerhin bekommt man mit „747 (Strangers in the Night)“ oder aber „To Hell and back again“ diverse Klassiker vorgesetzt. Dazu auch ein paar Happen neueren Datums, etwa „Witchfinder General“. Trotzdem springt der finale Funken nicht über und so fällt das Urteil über Band und Publikum an diesem Abend nur solide aus. Nun aber husch husch in den Pendelbus und zurück von der Pampa in die Zivilisation, denn die Nacht ist längst empfindlich kalt über den Harz hereingebrochen.

Down Below Haggard Saltatio Mortis Atrocity Saxon

 

Samstag, 19.07.

Das erste Ausrufezeichen des zweiten Tages setzen zur Mittagsstunde die Newcomer ONE BULLET LEFT. Und die machen ihre Sache mit einem Mix aus Modern, Death und Thrash Metal verdammt gut und können mit dem einen oder anderen richtig schnittigen Song punkten und auch der Vorgeschmack auf das kommende Album „Armageddon Sunrise“ taugt, bevor die Band von der Bühne geht und sich mit „War prima“ verabschiedet. Recht haben sie! DAMN aus Braunschweig haben anschließend etwas Probleme mit der Technik, und auch nach dem Startschuss halten diese weiter an, sodass die erste Nummer komplett ohne vernehmbaren Gesang über die Harzer Wiesen geknallt werden muss. Zumindest Shouterin Antonie Mrusek nimmt’s mit Humor und hofft, dass sie „wenigstens gut ausschaut, wenn man sie schon nicht hören kann“, was nicht der letzte zynische-humorige Spruch dieser Art bleiben soll. So merkt man unter anderem an, dass man seine Techniker aus dem Kaugummiautomaten hat und deswegen Nachsicht walten lassen sollte oder aber dass die Blondine, die insgesamt zusätzlich zu ihren toughen Sprüchen noch etwas mehr Action auf die großzügig dimensionierten Bretter bringen könnte, „lauter Hackfressen“ im Publikum wieder erkennt. Ach so, Musik wurde auch noch gespielt, nämlich Groove-betonter, walzender Death Metal auf sehr solidem Niveau und etwa in Form von „Hall of Fame“ und „Ewigkeit“. Einige Fans können auch die Lokalmatadoren CAST IN SILENCE mitbringen, die sich zu einem optischen Einheitslook mit weißem Hemd und schwarzer Hose entschieden haben. Musikalisch bleibt man an diesem Tag aber eher grau. Schon deutlich mehr Interesse rufen hingegen DIABLO SWING ORCHESTRA hervor, die schon aufgrund ihrer Optik und ihres Sounds zuletzt von sich reden machen konnten. Hier trifft Metal unter anderem auf Jazz und Swing, was genau so abgedreht klingt wie es sich anhört. Entsprechend erweitern die Schweden ihr Line-Up auch unter anderem um einen Cellisten. Etwas zu sperrig scheint das ganze im Festivalkontext allerdings doch zu sein, wobei mit fortlaufender Spielzeit langsam aber sicher das Eis gebrochen werden kann und sich das Publikum, immer noch nicht in Massen anwesend, scheinbar auch mit der klassisch ausgebildete und gern nach oben ausbrechenden Stimme von Annlouice Loegdlund arrangiert hat. Da vor allem der Rausschmeißer „Balrog Boogie“  ein richtig cooles Stück beschwingter Musik ist, wird zu besagter Nummer wenigstens noch einmal Party gemacht. Mal abwarten ob das kommende Langeisen „The Arrogance Of Ignorance“ ein paar mehr Hits dieses Kalibers mit sich bringen wird.

Nach dem Ausfall von Third Moon springen kurzfristig die mutmaßlichen Step-in-Rekordhalter dieses Sommers in die Presche, nämlich HACKNEYED. Musikalisch bleibt alles beim Alten und auch im dritten Anlauf knüppeln die Buben völlig an mir vorbei. Ähnlich zurückhaltend werden auch die bereits seit 1994 aktiven BURDEN OF GRIEF aufgenommen, die es an diesem Tag einfach nicht schaffen aus dem Thrash / Death Einheitsbrei hervorzustechen. Trotzdem zeigt man sich zumindest bemüht und als eingespielte Truppe. Was (heute) fehlt ist der letzte Funke Feuer, ein richtiger Hit, um bei den Anwesenden landen zu können. Musikalisch völlig anders geartet, dafür aber mit deutlich mehr und teilweise sogar ziemlich bekannten Hits auf der Habenseite sind LACRIMAS PROFUNDERE. Die haben nicht nur den Ohrwurmfaktor auf ihrer Seite, sondern auch den neuen Langspieler „Songs for the last view“ im Gepäck. Trotz des recht ruppig ausgerichteten Festivaltagesprogramms kommen Rob Vitacca und seine Kollegen überraschend gut an, was nicht zuletzt auch am überzeugenden und absolut live-tauglichen neuen Material liegen dürfte. „A Pearl“, „Dear Amy“ und „Suicide Sun“ gesellen sich dabei zu bekannten Rock N Sad-Nummern wie den Singles „Again it’s over“ und „Ave End“. Offen bleibt dabei allerdings die Frage warum die Band immer noch relativ häufig mit Nachmittagsslots und kleineren Festivalbühnen abgespeist wird. Vielleicht sollte den Veranstaltern mal jemand flüstern, dass der Fünfer mit seinen beiden letzten Scheiben ganz locker die deutschen Albumcharts knacken konnte. MAROON aus Nordhausen („von der schöneren Seite des Harzes“) bringen daraufhin den Presslufthammer zurück. Das aktuelle Album der fünf Veganer ist zwar nicht mehr ganz so neu, dafür hat man aber dennoch einige Fans und auch eine Hand voll Pit-Jüngern mit nach Osterode gebracht. Mit „(Reach) the Sun“ und anderen Metalcore-Brocken gibt’s dann auch wenigstens den einen oder anderen zumindest kleinen Pit, während Morawecks Andre seinen Stimmbändern allerlei blutige Gurgler entlockt und die Leadgitarre („Jimmy Hendrix in schlecht“) das eine oder andere vorzeigbare Solo dazwischen schiebt. Trotz Sonnenscheins wird es dennoch nicht so richtig voll, was bei fast allen Bands mit Ausnahme der Headlliner der Fall ist. Daher haben auch die Black Metaller SECRETS OF THE MOON, die zuletzt einige personelle Rückschläge verkraften mussten, mit einem gewissen Desinteresse seitens des Publikums zu kämpfen, das durch den einsetzen, bisweilen starken Regen nicht gerade vielzahliger wird. Auch CREMATORY haben sicher schon deutlich besser besuchte Shows gespielt, dafür spielt das Wetter zumindest streckenweise mit, was bei Songs wie „Tick, Tack“, „Left the Ground“ vom aktuellen Silberling „Pray“ oder dem Überhit „Tears of Time“ für erhöhten Spaßfaktor sorgt. Irgendwann ist allerdings Schluss mit lustig, sodass Crematory nach erneuten Regengüssen und Flutalarm auf der Bühne ihren Auftritt vorzeitig abbrechen müssen. Auch BENEDICTIUM schwimmen im Anschluss sprichwörtlich ein wenig die Felle davon, der Wetterteufel hat es offensichtlich auf Osterode und Umgebung abgesehen, und so müssen die wenigen Eisernen, die dennoch etwas von Veronica Freeman und ihren Hardrockern sehen wollen den beschwerlichen, tückischen Weg durch morastartige Schlammpfützen hin zur kleinen Bühne auf sich nehmen. Zum Glück haben die Veranstalter zum Nachmittag hin endlich den schon am Vortag anwachsenden Schlammseen den Kampf zumindest minimal angesagt und grob mit trockenem Stroh nachgebessert. Übrigens gebührt Benedictum abseits der Bühne noch eine erwähnenswerte Auszeichnung, nämlich die für die mit Abstand Fanfreundlichsten Merchandisepreise. Wo bekommt man schon einen Hoodie für schlappe 15 Euro?

Cast in Silence Diablo Swing Orchestra Damn Lacrimas Profundere Maroon Burden of Grief

Zum Glück sind SODOM nach so vielen Jahren im Geschäft nach wie vor eine robuste, unkaputtbare Institution germanischen Thrash Metals. Denn einen Tom Angelripper hält auch ein fast konstanter Regenfall nicht von einer gutgelaunten Show ab. Im Gegenteil: Der Schalke-Anhänger freut sich sogar richtig hier zu sein und damit „der scheiß Loveparade“ im heimischen Ruhrpott entfliehen zu können. Der Soundtrack zur heutigen Techno-Gegenveranstaltung: „City of God“, „Outbreak of Evil“, „Sodomy & Lust“, „Die stumme Ursel“, „The Saw is the Law“, “Blasphemer” und einige andere verdiente Klassiker. Selbige haben die Schweinerocker aus der Hansestadt Hamburg zwar noch nicht, aber trotzdem können sich OHRENFEINDT mit ihrer Show zur Primetime einige neue Freunde machen. Das haben AMON AMARTH eigentlich gar nicht mehr nötig, denn nicht nur an diesem Samstag verrät die Vielzahl der AA-Shirts, dass die Band zu den absoluten Publikumsmagneten des Festivals gehört. Kein Wunder, immerhin ist es das einzige deutsche Open Air für die Schweden in diesem Jahr. Nicht nur aus diesem Grund sind Band und Fans gleichermaßen bis in die Haarspitzen motiviert und so dürften Johan Hegg und seine Wikinger ein sprichwörtliches Feuerwerk abbrennen, untermalt etwa von mehreren um die fünf Meter hohen Feuersäulen. Mit erhobenem Trinkhorn und gewohnt prolligen Ansagen hagelt es Klassiker vom Kaliber „Death in Fire“, „Pursuit of Vikings“, „Fate of Norns“ und „Versus the World“ und nach 75 Minuten können alle Beteiligten davon berichten vollkommen auf ihre Kosten gekommen zu sein. Als Kontrast hierzu und als letzte Band des Festivals, die eher für die Gothen im Publikum interessant ist, wuchten EISBRECHER unter schlagfertiger Führung von Alexx Wesselsky noch einmal Electro Rock der gehobenen Kategorie aus den Boxen. Wer bei der Band vor dieser niedrigen Bühne als Fotograf aktiv ist, der muss konstant hellwach und auf der Hut sein, denn nicht selten verfehlt einer der „Karate Kicks“ des Frontmannes der Münchener nur knapp das Gesicht der Damen und Herren direkt vor ihm. Somit ist etwas Abstand angebracht, während der Eisbrecher mit „Kein Mitleid“, „Willkommen“ und „Antikörper“ in See sticht. Highlights der 45-minütigen Bootstour sind natürlich die Single „Vergissmeinnicht“ und die von vielen alten Anhängern des Sängers herbeigesehnte Megaherz-Referenznummer „Miststück“.

Im Gegensatz zum heutigen schwedischen Co-Headliner hat der eigentliche Headliner keine Pyroshow mit in den Harz gebracht. Eigentlich verwunderlich, denn WITHIN TEMPTATION sind dafür bekannt, fulminante Effekte auf die Bühne zu zaubern. Statt Pyro haben die Niederländer dafür aber eine Menge guter Laune im Gepäck und zaubern den deutschen Fans neben vielen Hits auch Liveknaller wie „The Promise“ und „Forsaken“, die wohlwollend aufgenommen werden. Insgesamt kann das Rock Harz-Publikum stimmungstechnisch aber nicht mit dem des Rock am Härtsfeldsee mithalten, was teilweise auch dem furchtbaren Wetter zuzuschreiben ist. Die Band zeigt sich sichtlich dankbar, dass das Publikum auch zu dieser späten Stunde noch auf dem Gelände verweilt, denn der Regen hat zwar aufgehört, dafür ist es aber mittlerweile empfindlich kalt geworden. Doch die Meute schlägt sich wacker und unterstützt die Band nicht zuletzt bei „Mother Earth“ und der Allzeit-Zugabe „Ice Queen“, die die Umstände wirklich passend beschreibt (auch wenn Sängerin Sharon den Adel die Atmosphäre als eisig beschreibt, so war wohl eher das Wetter gemeint). Within Temptation liefern ohne Frage eine professionelle Show ab, es steht aber außer Frage, dass man sie schon in besserer Verfassung gesehen hat. Und so geht ein weiteres Festival zu Ende, dessen Besuchern das Kapriolen-schlagende Wetter sichtlich zu schaffen gemacht hat. Nicht das erste Mal für das Rock Harz im Übrigen, 2007 muss das Wetter ähnlich undankbar gewesen sein. Etwas bessere Vorbereitung auf dem Festivalgelände tut dem nächsten Jahr also sicher nicht schlecht, für dieses Jahr heißt es aber erstmal: Good bye Regen und Matsch, Good bye Harz!

Markus Rutten & Simone Steinbüchel – www.sounds2move.de

Within Temptation Crematory Amon Amarth Eisbrecher