Festivalbericht zum Taubertal Open Air 2007
Was tut ein Festivalveranstalter, wenn es seit Wochen regnet und das Festivalgelände völlig überschwemmt ist? Sich den Arsch aufreißen, Pumpen aufs Gelände schleppen, Gelände- und Bühnenaufbau neu konzipieren und bis zur letzten Minute bangen. Noch Donnerstagabend, als bereits die ersten Festivalbesucher den Zeltplatz bezogen haben, stand die Veranstaltung auf wackeligen Beinen. Die Auswirkung dieser wetterbedingten Umstände ist für die meisten Festivalbesucher noch bis zum Freitagabend zu spüren. Vom Festivalgelände gibt es einen Rückstau bis zur A7. Nichts geht mehr. Die Autos müssen auf dem Zeltplatz von Traktoren auf ihren Platz abgeschleppt werden, weil der Boden so durchweicht ist. Die meisten Besucher stehen für sechs Stunden im Stau, wovon der Shuttleservice in die Stadt natürlich auch betroffen ist. Kein Shuttlebus bedeutet für uns eine beschauliche Wanderung mit anderen Festivalbesuchern durch das schöne Rothenburg, vorbei an der Stadtmauer, auf dem Wanderweg hinab ins Tal.
Leider haben wir dadurch die Hälfte der Bands vom ersten Festivaltag verpasst und kommen noch gerade so zu DANIEL BENJAMIN. Hätten Sunrise Avenue nicht wegen Krankheit abgesagt, hätte ich mich wirklich schwarz geärgert. Daniel Benjamin spielt bereits auf der Soundsfornature-Bühne (SFN-Bühne) und es regnet und regnet. Um die Gesamtsituation aufzulockern schießt ein Bandbegleiter ein Gruppenbild vom Publikum, während Daniel Benjamin mit Band weiter auf der Bühne performt. Vor aufkommenden Platzregen flüchten wir schnell unter ein Dach und schauen der Tauber zu, wie sie immer bedenklicher dem Festivalgelände entgegen wächst.
Daniel Benjamin | Gelände | Bela B. | Gentleman |
Um halb neun kriechen wir so langsam aus unserem Versteck hervor, weil wir den selbsternannten Fürsten der Finsternis BELA B. auf der Hauptbühne sehen wollen. In eleganten Anzügen kommt die Band auf die Bühne. Einen bitteren Beigeschmack liefern die Armbinden, die den rechten Arm jedes Bandmitglieds schmücken, mit den Initialen BB. Nun gut, der Meister der Dunkelheit betritt die Bühne mit einem hohen Zylinder und beginnt seine Show. Sehr schnell fällt auf, dass er seine Gitarre mehr als Accessoire, denn als Instrument verwendet. Dem Publikum ist es scheinbar egal und so werden auch Lieder, die fast in Schlager abgleiten, gefeiert. Trauriger Weise starb Lee Hazlewood, der vor allem in den sechziger Jahren mit Nancy Sinatra bekannt wurde, sechs Tage vor dem Taubertal. Also widmet Bela das Lied "Lee Hazlewood & das erste Lied des Tages" Hazlewood, mit dem dieses Lied entstand. Auch "Gitarre Runter", die aktuelle Single, von dem Album "Bingo" wird dem durstigen Publikum dargeboten. Ich für meinen Teil muss leider einsehen, dass wenn man Bela B.s Musik bei den Ärzten schon nicht mag, man diese solo noch viel weniger mag.
Mein musikalisches Glück scheint mir heute nicht hold zu sein, denn als nächstes steht Reggae auf dem Plan. Natürlich ist GENTLEMAN ein Weltstar und der 4. erfolgreichste Reggaestar der Welt. Aber es ist halt Reggae. Na ja, immer schön unvoreingenommen sein, also ab zur Hauptbühne. Gentlemen kommt auf die Bühne und strahlt pure Energie aus. Warum er so erfolgreich ist, wird binnen Sekunden klar. Gentlemen sieht gut aus, er hat Charisma und eine tolle Stimme. Das Publikum gehört von Anfang an ihm. Spätestens als er "Superior" anstimmt, flippt das Publikum aus. A Cappella begonnen, entwickelt er das Stück fast zu einem Rockstück und das Publikum dankt es mit wildem Pogo. Für mich endet der Abend hier, weil es leider Reggae ist und bleiben wird. Ich sehe dem nächsten Festivaltag positiv gestimmt entgegen.
Juli | Madsen | Karpartenhund |
Es
hat zu mindest aufgehört zu regnen und wir freuen uns auf viele gute deutsche
Bands, an diesem zweiten Festivaltag.
Normalerweise bin ich jemand, der beim Thema Lokalpatriotismus die Fahne ganz
hoch schwingt. Bei der ersten Band des heutigen Tages geht das aber leider einfach
nicht. Meine Hassgefühle waren bei der verdammten Welle schon auf einem
hohen Level und wurden von Single zu Single nur noch gesteigert. Ich habe ja
nichts gegen die Bandmitglieder, die aus meiner Uni-Heimatstadt stammen, aber
bei Deutschrock könnte ich kotzen. Na ja, Contenance behalten, im letzten
Jahr wurde ich ja auch von Wir Sind Helden positiv überrascht. JULI
beginnen ihr Programm mit "Dieses Leben", bei trockenem Wetter und
nicht viel Publikum. Von Single zu Single kommen mehr Festivalbesucher vor die
Bühne und so bleiben mir "Warum" und "Geile Zeit",
in meinem Hass-Ranking ganz oben, nicht erspart. Sängerin Eva Briegel scheint
krank zu sein, denn ihre Stimme bricht ab und zu mal weg, auch wirklich Spaß
scheint sie keinen zu haben. Die obligatorische Konfettibombe darf bei "Ein
neuer Tag" nicht fehlen, wirkt aber völlig deplatziert und unpassend.
Dem Publikum scheint die Show allerdings zu gefallen und so wird die "Perfekte
Welle" lauthals mitgeschrien. Ich hatte ja noch versucht vor diesem Song
das Weite zu suchen, aber auch in der letzten Ecke des Festivalgeländes
hört man es. Man kann Juli zu ihrem kommerziellen Erfolg mit über
700.000 verkauften Platten gratulieren, aber ich wende mich schleunigst meinem
Abendessen zu.
Es erscheint doch mehr als logisch eine Band MADSEN zu nennen, wenn mehr als die Hälfte der Bandmitglieder diesen Nachnamen tragen. Musik wird von ihnen schon lange gemacht, aber erst seit 2004 mit diesem Namen und Konzept. Die Hauptbühne ist jetzt deutlich besser besucht und die Festivalbesucher befinden sich ab dem ersten Stück "Ein Sturm" in Tanzlaune. Bereits 2005 rockten die fünf die SFN-Bühne. Madsen widmen "Immer Mehr" vom ersten Album "Madsen" allen denjenigen, die keine Gummistiefel tragen. Zu Recht, denn der Vorplatz vor der Hauptbühne hat die Woodstock-Matsch-Ausmaße schon lange überschritten. Die ganze Show über merkt man Sänger Johannes Madsen an, wie viel Spaß er daran hat hier vor den Leuten zu spielen und gibt "Goodbye Logik" vom gleichnamigen aktuellen Album zum Besten. In den Hitparaden der Madsen-Fans steht "Panik" ganz oben, wenn es auch keinen Charterfolg brachte. Wer vor diesem Lied noch sauber war, muss sich danach einer naturbelassenen Schlammpackung hingeben. Der Gewinnersong des gesamten Festivals in punkto Zuschauergesang geht an "Die Perfektion". Und so haben Madsen bewiesen, dass man mit deutschen Texte, guter Rockmusik und eingängigen Refrains sowohl Charterfolge, als auch gute Stimmung auf Festivals feiern kann.
In Pogostimmung springe ich der SFN-Bühne entgegen. Man könnte
fast meinen, dass das Taubertal Festival am heutigen Tage die Deutschquote
sprengen möchte. Von Deutschrock und Juli, über deutschen Rock
von Madsen bis hin zu deutschem Punk von MUFF
POTTER, somit sind eigentlich die wichtigsten Gitarren-Genre
abgedeckt, außer Metal vielleicht. Die vier Jungs von Muff Potter
aus Münster sind schon seit 14 Jahren zusammen unentwegt auf Tour.
Und wenn sie nicht touren, spielen sie Platten ein und von ihrer neusten
Platte "Steady Fremdkörper" stammt der Opener der heutigen
Show "Das halbvolle Glas des Kulturpessimismus". Muff Potter
dreschen nicht mit drei Akkorden auf ihre Instrumente ein und meinen mit
Scheiß-Staat-Parolen die Welt zu verändern. Die Texte bedienen
sich allen Bereichen der deutschen Sprache und manchmal muss man zweimal
hinhören um die Nachricht zu empfangen. Neben Liedern vom letzten
Album "Von Wegen" haben Muff Potter viel neues Material mitgebracht,
unter anderem ihre neue Single "Wunschkonzert", deren Textzeile
"Und das Leben ist wie man so hört kein Ponyhof, kein Wunschkonzert…"
stark an einen Albumtitel von Die Schröders erinnert. Aber vor allem
Mitleid mit den durchmatschten Festivalbesuchern haben Muff Potter. Da
im Umkreis von Rothenburg alle Gummistiefel ausverkauft sein sollen, haben
die fünf Jungs noch zwei Paar Gummistiefel für das Festivalpublikum
mitgebracht, die an die zwei glücklichst aussehenden Zuschauer verschenkt
werden. Für "Wir sitzen so vor Molotow" vom Album "Heute
Wird Gewonnen, Bitte." kann man die Gummistiefel auch gut gebrauchen,
wobei die Band natürlich gleich an Stiefelsaufen denkt. Sänger
Nagel freut sich aber eher über den Typen der seit drei Liedern in
der siebten Reihe ein Buch liest: "Ich liebe Literatur und Rockmusik!"
Dafür bekommt der Literat einen Applaus und das Publikum mit "Fotoautomat"
und "Steady Fremdkörper" zwei Lieder vom neuen Album. Bei
"Den Haag" schwitzt Nagel derartig, dass er bei dem kühlen
Wetter eine rauchende Lichtgestalt wird und das halbe Publikum knutscht
zu solch romantischen Klängen. Natürlich darf "Allesnurgeklaut"
nicht fehlen, was nichts, außer dem Titel, mit dem Stück der
Prinzen gemein hat. Nach einstimmigen Zugaberufen bekommt das Publikum
noch "Das seh ich erst wenn ich's glaube" und "Alles was
ich brauch" zu hören und dann ist leider die Zeit um. Wäre
es nach dem Publikum gegangen, hätte die Show noch länger laufen
können, aber auf der Hauptbühne haben schon Mando Diao mit ihrer
Show begonnen. Einziger Trost: Muff Potter gehen mal wieder (oder immer
noch) auf Tour.
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Setlist
Muff Potter
Das
halbvolle Glas des Kulturpessimismus
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Muff Potter |
Die
fünf Schweden von MANDO DIAO
haben im letzten Jahr so ziemlich jedes deutsche Festival bespielt und mit ihrem
dritten Album "Ode To Ochrasy" den dritten Platz der deutschen Albumcharts
erreicht. Es ist immer doof die Show einer Band nicht von Anfang an zu sehen
und so komme ich 40 Minuten zu spät zu Mando Diao. Ich stehe relativ weit
hinten, die Massen feiern vorne, aber bei mir will keine Stimmung aufkommen.
Ich weiß, dass Mando Diao eine gute Liveband sind, aber irgendwie wirken
sie heute lustlos, auch wenn Björn Dixgård Woodstock-like barfuß
über die Bühne springt. Ich höre also "Down In The Past"
während ich der Hauptbühne den Rücken zudrehe, um zu Turbostaat
auf der SFN-Bühne zugehen. Leider mussten Turbostaat wegen des glücklichen
Umstands, dass der Bassist Tobert Knopp Papa wird, absagen. Schade, schade,
aber trotzdem Herzlichen Glückwunsch!
Mando Diao |
Setlist Beatsteaks
Hello Joe |
Die beste Band der Welt hat die folgende Gruppe als die zweitbeste Band
der Welt geadelt und sie auch in einem ihrer Songtexte benannt. Dass die
BEATSTEAKS den Ärzten
gefährlich werden könnten, ist fast zu befürchten. Also
steht auch alles was zwei Beine hat gerade vor der Hauptbühne und
wird mit dem Opener "Hello Joe", der gleichzeitig eine der erfolgreichsten
Singles der Beatsteaks war, in die Welt der fünf Berliner gezogen.
Um als stolze Eltern ihr gerade gezeugtes Album "Limbo Messiah"
zu präsentieren, bekommen die Festivalbesucher "As I Please"
und "Sharp Cool and Collected" zu hören. Die Beatsteaks
bedenken die Fotografen, die nach dem dritten Song den Graben verlassen
müssen, mit einem speziellen Applaus und wenden sich dann älteren
Songs zu. Seit 2000 treten die Beatsteaks zum vierten Mal auf dem Taubertal
auf. Welche Steigerung soll da noch kommen? Muss sich der Veranstalter
für das nächste Mal ein größeres Gelände suchen?
Sänger Arnim Teutoburg-Weiß bittet das Publikum auf sein Zeichen
gleichzeitig alle Feuerzeuge und Handys anzuschalten. Dieses Lichtspektakel
setzt sich in der Bühnen-Light-Show fort und die Band beginnt mit
dem außergewöhnlichsten Stück des neuen Album "She
Was Great". Natürlich darf nicht "Summer", die Festivalhymne
schlechthin, fehlen, die durch Beatsteaks-Rufe vom Publikum untermalt
wird, die die Band mit Gegenrufen aller möglichen Bandnamen beantwortet.
Tja, wenn Nachwuchs ins Haus steht, muss man Auftritte mal sausen lassen,
aber es wäre trotzdem schön gewesen, wenn Turbostaat mit den
Beatsteaks zusammen ihr Projekt "Frieda und die Bomben" präsentiert
hätten. Aber "Hand in Hand" und "I Don't Care As Long
As You Sing" helfen über die Enttäuschung hinweg. Arnim
Teutoburg-Weiß nimmt ein Bad in der Menge und tauscht seinen Hut,
sein Standard-Accessoire, mit dem Strohhut eines Festivalbesuchers. Die
Zugabe "Cut Off The Top" wird Bela B. gewidmet und durch einen
kurzen aber ansprechenden elektronischen Part unterbrochen. Der absolute
Höhepunkt des Abends ist mit der Coverversion von Beastie Boys "Sabotage"
erreicht, bei dem das Publikum sich wildestem Pogo hingibt. Man kann nur
hoffen, dass Beatsteaks auch bald ein fünftes Mal das beschauliche
Rothenburg im August heimsuchen werden.
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Beatsteaks |
Nachdem wir einen redaktionellen Ausflug in zwei Weihnachtsgeschäfte und die beschauliche Stadt Rothenburg gemacht haben, gehen wir bei strahlendem Sonnenschein auf das Festivalgelände und den letzten Tag des Taubertal-Festivals zu. Der Boden ist zugegeben noch sehr matschig, aber es findet sich doch die ein oder andere trockene Stelle, auf der man sitzend der ersten Band des Tages entgegen sehen kann.
KARPARTENHUND eröffnen ihr Programm mit dem Opener ihres aktuellen Albums "#3" "Ist es das was du wolltest" und durchs Publikum hüpft ein Festivalbesucher im Weihnachtsmannkostüm. (Oh, oh Backflash.) Nach "Nicht Wirklich Glücklich" vom aktuellen Album, spielen Karpatenhund auch eine ältere Nummer von ersten Album "Alles Ist Schiefgegangen", das man auf ihrer Homepage kostenlos herunterladen darf. Ältere Nummer erscheint einem fast der falsche Ausdruck, denn Karpatenhund gibt es erst seit 2004. Wenn Sängerin Claire Oelkers nicht gerade auf ihr Drumpad eintrommelt, bespielt sie auch mal ein Kinderxylophon wie bei "Ich Will Das Du Bleibst". Karpatenhund würde optisch auch als christliche Rockmusikband durchgehen, aber ihre Musik beschäftigt sich mit allen Themen, wie zum Bespiel "Neonlicht" von "#1", aber nicht Religion. Die Kölner machen fröhliche Popmusik, die direkt in die Ohren und dann in die Beine geht und die unschuldige Stimme von Sängerin Claire, tut ihr übriges. Ihre bekannteste Nummer "Gegen den Rest" wurde Anfang des Jahres als Titelmusik für die ARD Produktion "Türkisch für Anfänger" eingesetzt und verschaffte Karpatenhund ansteigende Popularität. Das Publikum nimmt "Gegen den Rest" gröhlender Weise an und freut sich über, von Claire selbstaktivierte, Konfettibomben, die den Charme der Band zusätzlich unterstreicht. Mit dem letzten Track von "#3" "Oh Ja" beenden Karpatenhund ihr Programm und werden beim eigenhändigen Abbau ihrer Instrumente vom Publikum immer noch gefeiert.
Wie
in jedem Jahr, findet auch diesmal das Finale des Bandwettbewerbs von Emergenza
auf dem Taubertal statt. Im letzten Jahr gab es noch speziell eine Emergenza-Bühne,
in diesem Jahr haben die Nachwuchsbands die Gelegenheit auf der SFN-Bühne
zu spielen. Als Siegerband geht Fire Flies aus New York hervor, die ein Album
in Schweden aufnehmen dürfen. Für eine der beiden deutschen Teilnehmerbands,
Für Kerstins Letzte, sprang zumindest der dritte Platz heraus. Als größte
Ehre wird der Siegerband Fire Flies der Auftritt auf der Hauptbühne zu
teil.
Kashmir | Shout Out Louds |
Die
Hauptbühne betreten vier Männer deren Namen sich lesen wie Romanfiguren
von Astrid Lindgren, aber statt eines rotbezopften Mädchens, bringen
KASHMIR guten dänischen
Indie-Rock mit. Neben älteren Lieder wie "Surfing The Warm Industrie"
vom Album "Zitilites" (2003), werden auch Stücke vom letzten
Album "No Balance Palace", wie z.B. "The Curse Of Being A Girl"
oder "The Cynic", das mit David Bowie entstand, dem fränkischen
Publikum vorgetragen. Auf der SFN-Bühne beginnen während dessen
die schwedische Indie-Rockband SHOUT OUT LOUDS
mit ihrem Programm, leider ohne Keyboarderin Bebban Stenborg, die krank zurück
nach Stockholm reisen musste. Ihre Vertretung Sarah ist nicht weniger hübsch
und musikalisch und meistert ihre Ersatzrolle mit Bravour. Nachdem Shout Out
Loads in Amerika richtig abgeräumt haben und bei Talkshowgrößen
auf der Couch saßen, bespielten sie im letzten Jahr jedes große
Festival in Deutschland. Nach ihrer Albumveröffentlichung von "Our
Ill Wills" im Frühjahr diesen Jahres heizen sie den Taubertalbesuchern
richtig ein. Doch es zieht uns zurück zur Hauptbühne, wo jeden Moment
einer der Hauptacts des Abends spielen wird.
Deutsche Festivals neigen mitunter dazu Rock als das einzig Legitime
Genre bei einem Open Air zu manifestieren. In diesem Jahr lehnt sich
das Taubertal ein wenig aus dem Fenster und holt sich den englischen
Popkünstler und Chartstürmer MIKA
ins Boot. Wie in einem bunten Comik erscheinen einem die Bandmitglieder
MIKAs und das Programm beginnt mit dem lebensfrohen "Relax (Take
It Easy)", was die momentanige Single und Werbesong eines Internetanbieters
in Deutschlang ist. Nicht nur das schrille Banner, das das Cover des
Albums "Life in Cartoon Motion" ist, bereitet das Publikum
auf eine farbenfrohe Show vor: Bei "Big Girl (You Are Beautiful)"
tanzt eine übergewichtige Frau im Korsett und beinahe nicht vorhandenem
Rock mit MIKA über die Bühne, so dass man fürchtet, sie
verliert gleich das ein oder andere Kleidungsstück. Die eine Hälfte
des Publikums lacht, die andere Hälfte ist schockiert und peinlich
berührt, dabei will MIKA mit dem Stück nur seinen Lobgesang
auf kräftigere Frauen mitteilen. Am Klavier zeigt er dann sein
autodidaktisches Können und das er mit "My Interpretation"
auch ruhigere, weniger schrille Töne einschlagen kann. Das Publikum
honoriert das nicht nur mit Applaus, sondern ein junger Mann aus dem
Publikum stellt sich auf die Schultern seines Freundes und winkt MIKA
frech entgegen. MIKA ist begeistert von solch akrobatischen Einlagen
und lässt sich einen Vergleich zu Jesus, der auf Wasser geht und
einem Zuschauer der auf Menschenmengen wandelt, nicht nehmen. Um die
Sympathie des deutschen Publikums endgültig zu erlangen, zählt
der große Mann aus England "Stuck In The Middle" auf
deutsch ein und bei dem Cover von Eurythmics' "Sweet Dreams"
singt auch der letzte Festivalbesucher aus vollem Halse mit. Mit einem
gelben Regenschirm tanzt MIKA zu seinem "I Want You Back"-Cover
von den Jackson 5 und bei dem akustisch beginnenden "Love Today"
bringt er eine Trommeleinlage auf einer Metalltonne. Aber es sind nicht
die Mädels, die vorne im Gedränge stehen und dem gutaussehenden
Engländer zu jubeln, es sind die männlichen, vollgeschlammten
Festivalbesucher, die Party machen wollen.
Selbst
der ein oder andere sehr früh angereiste Liedermacher ließ
sich zu einem Tänzchen im Künstlerbackstage auf MIKAs bunte
Popsongs hinreißen. Als vorzeitiges Finale wird das Publikum mit
dem größten Singleerfolg MIKAs "Grace Kelly", der
in Deutschland durch die Werbung für die ProSieben-Serie "Weeds"
bekannt wurde, erfreut. MIKA gewinnt mit diesem Auftritt für mich
den Preis für den stimmsichersten Sängers aller Zeiten. Auch
wenn er über vier Oktaven argiert, wird niemals ein Ton falsch
oder unsicher gesetzt. Die Jahre am Royal College of Music scheinen
sich auszuzahlen, auch wenn durch seine perfekten Stimmwandlungen eine
schwere Bürde durch Vergleiche mit Freddie Mercury von Queen entstehen.
Selbst MIKA-Kritiker müssen bei der Zugabe eingestehen, dass MIKA
weiß wie man eine Show beendet. Erst werden bei "Lollipop"
riesige bunte Luftballons ins Publikum geworfen, dann kommt wieder die
füllige Frau auf die Bühne und mit ihr Menschen in Tierkostümen,
um bei Konfettiregen mit MIKA auf der Bühne zu tanzen. Ein optischer
Vergleich zu Alice im Wunderland, lässt sich nicht vermeiden. |
Setlist Mika
Relax
(Take It Easy)
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Mika | Monsters Of Liedermaching |
Setlist P!nk
'Cuz
I Can
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Aber nach MIKA gibt man sich nicht der Farblosigkeit hin, auf der SFN-Bühne geben GOGOL BORDELLO ihr ukrainisches Zigeuner-Punk-Cabaret zum Besten. Die New Yorker sehen schrill aus und machen schrille Musik mit Rockinstrumenten, Akkordion, Trommeln und Blasinstrumenten. Wer da die Füße stillhält ist eh schon tot. Eben noch mit Madonna zusammen auf der Bühne des Londoner Wembley Stadions zum Live-Earth, jetzt im beschaulichen Rothenburg. Bereits eine Stunde vor Beginn begeben wir uns zur Hauptbühne, um möglichst weit vorne zu stehen. Hm, vorne stehen, aber keine Luft bekommen. Na ja, Frau Fotografin begibt sich in den luftigen Fotograben und ich stehe im Publikum und harre der Dinge. Abgesehen davon, dass meine eigene Tasche mich fast dreimal stranguliert, lernt man seine Umgebung und viele Festivalbesucher kennen. Um viertel vor 10 ist es dann soweit. Das P!NK-Banner wird auf der Bühne gelüftet und nach einem kurzen Intro der Band kommt P!nk mit "'Cuz I Can" von ihrem aktuellem Album "I'm Not Dead" auf die Bühne. Man sieht auf Anhieb, dass man einen Weltstar auf der Bühne stehen hat. Während andere Bands eher auf bequeme Kleidung stehen, wirkt Frau Moore irgendwie gestylt. Aber spätestens bei "Trouble" und "Just Like A Pill" flippt das Publikum regelrecht aus. Die Festivalbesucher dürfen sich nicht nur am neckischen Aussehen und der markanten Stimme der Sängerin erfreuen, auch die Showeinlagen von P!nk erfreuen vor allem Männerherzen. Bei "Family Portrait", einem Song über ihre schwere Kindheit mit geschieden Eltern, schlägt sie leisere Töne an und belässt es auch bei dieser Stimmung, wenn sie bei "My Vietnam" über die Kriegserfahrungen ihres Vaters singt. Als eine, zugegeben nicht sehr ansehnliche, Boxershorts auf die Bühne fliegt, muss P!nk auch erst einmal überlegen um was für eine Art Stoff es sich handelt, aber mit einem Augenzwinkern reicht sie das Kleidungsstück galant an ihren Gitaristen weiter. Um die Distanz zum Publikum weiter aufzuheben, klatsch P!nk einmal die vordere Reihe ab und holt auch eine Frau zum Tanzen auf die Bühne, die die Bühne gar nicht mehr verlassen will und von Securities begleitet werden muss. P!nk widmet ihrem Idol Janis Joplin ein Medley und bezeichnet dabei ihre Handbewegung selbstironisch als Christina-Aguilera- oder Maria-Carey-Like. Aber auch ihre erste Songwriterin Linda Perry, die Sängerin der 4 Non Blondes, wird bei P!nks Konzert bedacht und "What's Up" wird vom Publikum aus Leibeskräften mitgesungen, obwohl das Stück mit 13 Jahren beinahe älter ist, als einige der Festivalbesucher. Anekdoten zufolge soll P!nk Perry durch Drohanrufe zu einer Zusammenarbeit bewegt haben. Nach diesem Gassenhauer setzt sich P!nk mit ihren Backgroundsängerinnen und einem Gitarristen auf Stühle an den Bühnenrand, um ihre politische Ballade "Dear Mr. President" zu beginnen. Der Song war zeitweilig in Deutschland auf Platz 1, während er in den USA nicht als Single erschien und von sämtlichen Anstalten boykottiert wird. Dafür scheint das deutsche Publikum umso textsicherer und wenn man Jugendliche auf diese Weise zu einem politischen Statement bringen kann, wieso nicht. Vor allem wenn P!nk jeden aus dem Publikum heiraten möchte oder zumindest eine Green Card verpassen will, damit er dadurch stimmberechtigt in den USA wird. Mit den Zugaben "U + Ur Hand", ihrer letzten Single, und "Get The Party Started", von ihrem ersten Album "M!ssundaztood", wird die Menge noch einmal an die fetzige P!nk erinnert und dann ist der Zauber auch schon vorbei.
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P!nk |
So ist das mit den Gewissenskonflikten. Eigentlich wollen wir nach P!nk
die Heimreise antreten, aber eigentlich wollen wir noch die MONSTERS
OF LIEDERMACHING sehen. Nachdem die Monsters schon den
ganzen Tag auf dem Gelände herumschwirren, sehen wir das als ein
Zeichen, dass wir sie noch gucken müssen. Das erweist sich mehrfach
als gute Entscheidung: Erstens hätten wir das Gelände nicht
verlassen können, weil das gleichzeitig 10.000 Menschen tun wollen,
zweitens muss man die Monsters sehen, wenn man die Gelegenheit dazu hat
und drittens sind wir noch so richtig in Feierlaune. Also gehen wir langsam in Richtung Auto, vorbei am Festivalgelände, das schon langsam abgebaut wird. Wir sehen auf das 12. Taubertal-Festival zurück, das auf der einen Seite eines der best-besuchtesten Festivals aller Taubertal-Zeiten, auf der anderen Seite, auch das friedlichste war. Mit gerade mal zwei Hausverboten, im Gegensatz zu bis zu 100, könnte man es fast als Happening bezeichnen. Aber mit Abstand war es das schlammigste Taubertal-Festival aller Zeiten und trotzdem (oder gerade deshalb?) für alle Beteiligten eines der Schönsten. Text: Sonja Waschulzik / Fotos: Katrin Reichwein - www.sounds2move.de
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Setlist Monsters of Liedermaching
Marzipan |