Summerbreeze Open Air 2006 – Festivalbericht

 

In diesem Jahr fand das Summerbreeze Open Air bereits zum achten Mal statt. Erstmalig gastierte das über die Jahre immer beliebter gewordene Festival 2006 in bzw. bei Dinkelsbühl und präsentierte sich dabei erstmalig in seiner neuen Heimat, nachdem der traditionelle Festplatz in Abtsgmünd unter anderem aus Platzgründen verlassen wurde. Vorteil: Viel mehr Platz in der neuen Heimat und die Möglichkeit länger als bis 0:00 Uhr zum Tanz zu bitten. Nachteil: Längere Wege in die umliegenden Gemeinden für die zeltenden Festivalbesucher und schlechte Wasserversorgung. Da hingegen war der Weg zum Gelände für einen Großteil der Besucher schon deutlich kürzer, die sich zum mittägigen Startschuss des Summerbreeze 2006 am Donnerstag auf dem Festivalgelände eingefunden hatten.

 

Publikumsimpressionen
 

Donnerstag, 17.08.2006

 

In diesem Jahr startete das Summerbreeze durchwachsen ins Festivalwochenende. Eröffnen sollten das Festival eigentlich Volbeat aus Dänemark. Sollten. Leider standen die Herren den halben Vormittag auf einem Parkplatz nahe der wunderschönen Stadt Fulda (Achsbruch bei ihrem Transporter), so dass erst einmal improvisiert werden musste. Da die Musical-Rocker REGICIDE  ihren Auftritt kurzfristig gänzlich absagen mussten, hatte man schnell einen neuen Slot für die Dänen gefunden. So entjungferten also die Stuttgarter SUBCONSCIOUS – der Regicide-Ersatz – das Festival. Mehr als Höflichkeitsapplaus war aber unterm Strich für die Deather unter diesen Umständen nicht drin. Die Pain-Stage weihten anschließend – nächste Überraschung – nicht etwa FEAR MY THOUGHTS ein, die ihre laufende und teure Studiozeit nicht verschenken wollten und wenige Tage vor dem Festival passen mussten, sondern die Sydneyer TOURETTES SYNDROME, deren Stil nur schwer zu beschreiben ist und der sich sowohl an Death Metal, Speed Metal als auch vereinzelt an den Hardcore anlehnt. Im Mittelpunkt des Geschehens stand dabei Sängerin Michele Madden, die rein optisch mit ihrem Stil und den zotteligen Dreads als eine Art weibliche Antwort auf Max Cavalera durchgeht. Angesichts der Tatsache, dass die Dame mit der wild wuchernden Achselbehaarung ihren Gesang in Form von Shouts zu besten gibt, liegt natürlich ein Vergleich mit Arch Enemy’s Angela Gossow nah. Dieses Kräftemessen hätte die Aussi-Sängerin aber wohl nicht nur an diesem Tag verloren. Einige Minuten und dutzende Schweißperlen auf der Stirn des Stagemanagers später standen VOLBEAT dann doch auf der Bühne. Und einige Fans schienen freudig auf die Herren gewartet zu haben, denn sie feierten die kernige Party-Band während der übrig geblieben 15 Minuten beachtlich ab. Diesen Faden konnten UNDERTOW, für die das Summerbreeze ein Heimspiel war, weitestgehend weiterspinnen. Der stämmige Sänger Joachim Bachin zeigte sich gut gelaunt und bestens bei Stimme und seine Band wusste vor allem bei flotteren Nummern zu gefallen. Als schon während des Auftritts von Undertow das Publikum immer jünger zu werden schien und die Straight-Edge Kids das Feld übernahmen merkte man frühzeitig, dass nun Metalcore auf dem Programm stand. Mit NEAERA kam ein angesagter Vertreter der nationalen Szene nach Dinkelsbühl, der sich der brutalen Schiene des Genre verschieben haben. Auf klare Gesänge oder allzu ausgeprägte Melodien wartete der neutrale Zuschauer vergebens. Stattdessen hagelte es Death-orientiertes Geboller, schwerpunktmäßig vom aktuellen Brocken „Let the Tempest come“. Die Fans empfingen die Band mit offenen Armen und dankten mit beachtlichen Moshpits. Allerdings nutzten sich die Songs der Band für neutrale Beobachter enorm schnell ab, was sich auch in der ab der Mitte des Sets deutlich abflachenden Stimmung niederschlug.

 

Setlist Katatonia:

01. Leaders
02. Wealth
03. Soils song
04. Had to leave
05. Cold ways
06. Right into the bliss
07.
Ghost of the sun
08. Criminals
09. Deliberation
10. July
11. Evidence

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Setlist ASP:

01. Ich bin ein wahrer Satan

02. Besessen

03. Sing Child

04. Lykantropie

05. Tiefenrausch

06. Schwarzes Blut

07. Und wir tanzten

08. Werben

09. Ich will brennen
Subconscious Tourettes Syndrome Undertow Neaera Saltatio Mortis The Haunted Angel Blake Moonspell

 

Es folgte eine exklusive Bühnenpremiere: ANGEL BLAKE gaben ihr Live-Debüt und stellten dabei ihren Gothic Rock mit metallischer Schlagseite und ihr selbstbetiteltes Debüt vor. Für ein hohes Qualitätsniveau sorgte die Band erwartungsgemäß, hat man doch unter anderem ehemalige Musiker von The Crown und Mnemic in seinen Reihen. Trotz bemühter Vorstellung und wummerndem Bass (und zwar im klassischen Sinne – statt eines E-Bass wartet die Band mit einem Waschechten Kontrabass auf) blieb das Publikum distanziert und überschaubar. Deutlich mehr Bühnenroutine haben da schon THE HAUNTED, die in Kürze ihr fünftes Album „The Dead Eye“ an den Start bringen. Frontsau Peter Dovling zeigte (wie seine Mitstreiter) vollen Einsatz und präsentierte sich sympathisch. Noch mehr Sympathiepunkte hätten die Schweden sicher mit einem Ausblick auf den anstehenden Thrash-Brocken sammeln können, doch leider blieb es an diesem Tag bei bekannter Kost. Überraschungen gab es auch im Anschluss nicht. Oder wundert sich noch jemand, dass das Publikum zahlreich und bester Laune ist, wenn SALTATIO MORTIS mal wieder ein Gastspiel auf dem Summerbreeze geben? Sangesbruder Alea diktierte das Publikum an diesem Tag einmal mehr nach Belieben und konnte sich bei Stücken wie „Falsche Freunde“ oder „Des Königs Henker“ über lautstarke Resonanzen freuen. Klarer Fall von „Schweinskram regelt“. Was sie ihren Fans schuldig sind wussten im Anschluss MOONSPELL. Die Portugiesen ließen sich auf keinerlei Experimente ein und griffen vor allem auf etablierte Klassiker zurück, was beim Publikum auf Gegenliebe stieß. Dabei avancierte „Full Moon Madness“ zum Höhepunkt des Gastspieles. Danach war Pandabärenattacke auf der Pain-Stage angesagt, denn mit 1349 (heute ohne ihren prominentesten Mitstreiter Frost) stand ultra truer Black Metal auf der Speisekarte. Genrefans wird es gefreut haben, alle anderen wirkten weniger interessiert am kein Klischee auslassenden Auftritt der Norweger. Ob’s an der noch immer nicht untergegangenen Sonne lag? Zur besten Sendezeit enterten FINNTROLL die Mainstage und verwandelten die zahlreich anwesenden Fans in eine moshende und pogende Masse. Der neue Sänger Mathias Lillmans wirkte zwar nicht halb so trollig wie sein Vorgänger und die livehaftige Umsetzung der Songs war oft auch alles andere als perfekt, doch der feiernden Menge war’s egal. Hits wie „Jaktens Tid“, „Eliytres“ oder „Fiskarens Fiende“ sind schließlich einfach unwiderstehliche Humppa-Partykracher. Auch bei den zwei neuen Songs vom kommenden Album sank der Stimmungspegel übrigens keinen Deut. Ein Ausrufezeichen setzten danach die Frankfurter Gothic Novel Rocker ASP. Im Vorfeld umstritten zeigten Frontmann Asp und seine Mannschaft, warum sie sich in den letzten Jahren ein immer größeres Publikum erspielen konnten. Die zahlreich anwesenden Fans erfreuten sich an den unwiderstehlichen Hymnen wie „Sing Child“, „Schwarzes Blut“, „Und wir tanzten“ oder dem obligatorischen „Ich will brennen“ und feierten diese standesgemäß ab, während Kritiker und andere Kleingeister sich in Ignoranz übten. Zum Finale gab es dann für die versammelten Freunde und Feinde das erste und letzte Feuerwerk des Tages, mit dem ASP die Bühne räumten und die Fans sich gleichmäßig in Richtung Hauptbühne bzw. Zeltplatz bewegten. Doch wer dachte jetzt schon ans Schlafengehen? Immerhin hatte sich mit KREATOR eine Legende des deutschen Thrash Metal angekündigt, die erstmals mit dreidimensionalem Bühnenaufbau zu sehen war. Akustisch reichten die Essener eine gute Stunde lang nackenstrapazierende Häppchen wie „Pleasure to Kill“, „Extreme Aggression“, „Tormentor“ sowie aktuelle Gaumenfreuden wie „Impossible Brutality“ und „Enemy of God“. Und wenn Sänger Mille Petrozza dann noch mit kultigen Ansagen wie „Jetzt alle in den scheiß Moshpit rein“ um sich wirft, bleibt sicher kein Halswirbel an seinem Platz. Kleiner Tipp am Rande: Wenn der Metal Hammer bitte so nett wäre und seine dröhnende Außenbeschallung zukünftig während den Shows der Headliner abschalten würde, dann wäre ich ihnen dankbar.

 

Nach dieser Demonstration von waschechtem Teutonenstahl wanderten weitere Erschöpfte in Richtung Zeltplatz ab. Und das obwohl sich zum Ausklang des Tages noch eine der führenden, wenn nicht gar DIE Band des Dark Metal hinter der Painstage auf ihren Auftritt wartete. Verdientermaßen blieben dann doch nicht wenige Headbanger, um dem Liveauftritt der Schweden KATATONIA beizuwohnen. Die Band zeigte sich deutlich besser gelaunt als bei ihrer Show auf dem Leipziger Wave-Gotik-Treffen und hatte erneut ein Greatest Hits Feuerwerk vom Feinsten mitgebracht. Besonders lautstark feierten die Feinschmecker im Publikum dabei Stücke wie „Deliberation“, „Criminals“ und den Überhit „Evidance“ ab, deren musikalische Intensität und greifbar scheinende Melancholie viele der Zuschauer in ihren Bann zogen. Partystimmung hatte hier hoffentlich niemand erwartet, dafür gab es Gänsehautatmosphäre und zum Sterben schöne Songs. Wüste Partys kann man auf dem Zeltplatz außerdem noch früh genug feiern.

 

1349 ASP Katatonia Trail of Tears Fragments of Unbecoming Potentia Animi Scar Symmetry

 

Freitag, 18.08.

 

Als erste Band des Freitags mussten APOSTASY bereits um 11 Uhr auf die Bühne. Trotz der frühen Stunde und dem eher unerfreulichen morgendlichen Wetter haben sich doch schon ein paar Freunde der härtern Gangart vor der Mainstage eingefunden, um 25 Minuten lang den soliden aber nicht spektakulären melodischen Black/Death-Metal der Schweden zu supporten. Richtig voll wurde es im Anschluss vor der Pain Stage. Die EXCREMENTORY GRINDFUCKERS aus Hannover konnten eine treue Fanschar versammeln, die getreu dem Motto „Ein bisschen Grind muss sein“ das Tanzbein schwang und gar eine Polonaise auf die Beine stellte. In der nächsten halbe Stunde wurde dem Publikum ein gutes Dutzend Songs – meist aus allen denkbaren musikalischen Stilen adaptierte Stücke – kredenzt. Eine Band, die live auf jeden Fall Spaß macht! Dieses Stimmungsniveau konnten LENG TCH’E nicht halten, auch wenn ihr schwer kategorisierbarer Sound, der munter in allen Schubladen zwischen Hardcore, Grindcore und Death Metal wühlt, durchaus solide dargeboten wurde. Wirkliche Partymusik machen die fünf Belgier allerdings nicht. Schnell weiter zu THE OCEAN, die für ihre Verhältnisse richtig viel Platz auf der Bühne hatten, da man mit 6 statt wie sonst 8 Mann angereist war. Den unkoordinierten Lärm, den diese Band allen ernstes Musik schimpft, machte diese Tatsache leider auch nicht besser. Zu chaotisch und unnatürlich ist der Mix aus Riffs, Rhythmen und Samples und zu wenig von diesem Cocktail bleibt hängen. Da wussten die norwegischen Gothic Metaller TRAIL OF TEARS schon eher zu gefallen, deren vielschichtiger Sound deutlich mehr Anlass zum Verweilen vor der Bühne bei ungemütlicher Witterung bot, als es noch bei The Ocean der Fall war. Außerdem traten die Mannen den Beweis an, dass ihre Musik auch ohne weiblichen Gesang bestens funktioniert, wovon man sich nach dem letzten Studiowerk „Free fall into Fear“ bald auch auf dem kommenden Album „Existentia“ überzeugen kann. Wenige Minuten nachdem die letzten Töne von „Cold hand of Retribution“ verklungen waren, kam erneut die Zeit für Gebolze-Liebhaber. FRAGMENTS OF UNBECOMING holzten und grunzten sich durch ihr Set und schienen sogar eine Hand voll Fans mit nach Dinkelsbühl gebracht zu haben. Massive Neurekrutierungen dürften die Deutschen Melodic Deather aber dennoch nicht verzeichnet haben. Überraschen konnten danach POTENTIA ANIMI. Zum Beginn des Auftrittes, bei dem die Musiker sich in albernen Masken präsentierten, rümpften noch viele der vor der Bühne versammelten Zuschauer die Nase, doch mit unterhaltsamen und bisweilen urkomischen Ansagen sammelten die Mönche im Verlauf ihres Auftritts immer mehr Sympathiepunkte, was sich auch auf die Lautstärke des Beifalls auswirkte. Schön zu sehen, dass Potentia Animi live gleich um mehrere Klassen besser sind als auf ihren bisherigen, unterdurchschnittlichen Studioalben. Mit ihrem Nuclear Blast Deal in der Tasche haben SCAR SYMMETRY seit einiger Zeit beachtlichen Rückenwind, was sich auch in lukrativen Auftrittsangeboten äußert. Da kommt natürlich auch das Summerbreeze Open Air gelegen, das die Band nutzte, um ihre aktuelles Album „Pitch Black Progress“ zu promoten. Selbiges Langeisen hat – genau wie dieser Auftritt - seine lichten Momente immer dann, wenn es melodisch zur Sache geht. Auch wenn der kahlköpfige Fronter Christian Älvestam gerade an diesen Stellen sein Organ an diesem Tag nicht immer im Griff zu haben schien, zeigten Scar Symmetry doch, dass mit ihnen in Zukunft definitiv noch zu rechnen ist.

 

Rebellion Exilia (Live & Photosession) Heaven Shall Burn Perzonal War

 

Über Platzprobleme in den vorderen Reihen brauchte man sich beim anschließenden Auftritt von REBELLION auf der Mainstage keine Sorgen zu machen. Deren True Metal schien nicht wirklich viele Anhänger auf diesem Open Air anzusprechen, was die Musiker um Basser Tomi Göttlich (der Mann heißt wirklich so!) nicht davon abhielt ein großartiges Feuerwerk an guter Laune und traditionellem Posing abzuschießen. Und wenn eine Band wie Grave Digger schon einen Song mit dem Namen der Band in der Discographie stehen hat, dann darf man diesen ruhig mal ins eigene Set übernehmen. Dieser engagierte Auftritt hätte auf jeden Fall größeren Zuspruch verdient gehabt. In der glühenden Nachmittagshitze enterten nun ONE MAN ARMY & THE UNDEAD QUARTETT die Pain Stage. Die neue Band von Johan Lindstrand knüpfte musikalisch da an, wo The Crown aufgehört haben. Grooviger Death/Thrash-Metal mit Rock´n´Roll Attitüde. Mit letzterer übertrieb es der schwedische Frontmann für meinen Geschmack etwas. Keine Ansage in der nicht mindestens dreimal das Wort „Fuck“ vorkam. Die Fans nahmen die Band trotzdem mehr als wohlwollend auf. Den direkten Vergleich mit seinem Ex-Kollegen Marko Tervonen (Angel Blake) am Vortag konnte Lindstrand jedenfalls klar für sich entscheiden. Etwas schwerer hatten es daraufhin EXILIA, die mit großem Backdrop und einem Sack voll Crossover-Hits die Hauptbühne übernommen hatten. Rasta-Bulldogge Masha war wie gewohnt aufgedreht wie unser Freund der Duracel-Hase und so konnten Exilia mit fortlaufender Spielzeit immer mehr Zuschauer von sich überzeugen. Dazu trugen auch die kraftvollen Songs wie etwa „Kill Me“, „Destroy my Eyes“, „In a Coma“ oder „Day in Hell“ bei, die vom Publikum mit Hüpfeinlagen belohnt wurden. In Bewegung blieben die Fans dann auch gleich, denn TURISAS galoppierten die Painstage in Grund und Boden. Und da man mit finnischen Folkloreeinschüben zurzeit ohnehin nicht viel falsch machen kann, was Finntroll am Vortag bewiesen, kamen auch Turisas erwartungsgemäß gut an. Und mit finnischem Schwermetall ging es weiter, denn mit AMORPHIS waren die verehrten Altmeister des folkigen Death Metal nach Süddeutschland gekommen. Trotz des alle Schaffensphasen abdeckenden Sets bildeten die Stücke vom Klassiker „Tales from a thousand Lakes“ natürlich die Highlights des Sets, was „Into Hiding“ und das abschließende „Black Winter Day“ eindrucksvoll unterstrichen. Da auch der neue Fronter Tomi Joutsen einen guten Eindruck hinterließ, werden sich viele auf den anstehenden Auftritt der Skandinavier beim nächsten Wacken Open Air freuen, wofür die Band bereits jetzt bestätigt ist. Ebenfalls in den Norden werden HEAVEN SHALL BURN reisen, die an diesem Tag für den einen oder anderen Nackenkater gesorgt haben. Die deutschen Metalcoreler sind in diesen Tagen unheimlich angesagt und so lockten sie eine große Zuschauertraube vor die Bühne. Dabei konnte schon der Opener „The Weapon they fear“ die ersten Circle-Pits ernten und im weiteren Verlauf des Sets schienen Band und Publikum geradezu zu einer einträchtigen Einheit zu verschmelzen – beeindruckend, diese Intensität. Und das sagt jemand, der mit dem musikalischen Output der Ostdeutschen eigentlich so überhaupt nichts anfangen kann. Heimlicher Headliner am Freitagabend waren MORBID ANGEL. Die Death-Metal-Legende aus Florida ist mit dem zurückgekehrten David Vincent am Mikro und Bass nach Dinkelsbühl gekommen, um allen Zweiflern zu zeigen, dass man immer noch in der Lage ist, den Großteil der todesmetallischen Konkurrenz in die Tasche zu stecken. Vor allem die Klassiker vom „Altars of Madness“ Album wie „Maze of Torment“, Chapel of Ghouls“ oder „Lord of all Fevers and Plagues“ sorgen für anhaltende Nackenschmerzen. Vermisst habe ich lediglich den genialen Titelsong vom „Blessed are the Sick“ Album.

Nach diesem Old-School-Brett hätte der Kotrast kaum extremer ausfallen können, stellte die norwegische Sängerin LIV KRISTINE doch ihr neuen Pop-Soloalbum „Enter my Religion“ vor, wobei sie exklusiv von einem Streicherquartett unterstützt wurde, was den Songs eine interessante Note verlieh, die man zukünftig regelmäßig einfließen lassen sollte. Trotz einer souveränen Vorstellung, die Hits wie „Over the Moon“, „My Revelation“, „Deus Ex-Machina“ und „3 A.M.“, sowie Special Guest Devon Graves (Dead Soul Tribe) beinhaltete, fielen die Reaktionen auf Seiten der Fans zwiespältig aus. Von euphorischer Zustimmung bis zu ignoranten Missmutäußerungen war alles vertreten. Eigentlich schade, denn mit ihrem musikalischen Hintergrund hat die Sängerin schon mehr als einmal bewiesen, dass ihre metalische Ader deutlich ausgeprägt ist. Schade ist auch, dass ein Teil der Metal-Szene sich noch heute in erster Linie durch Intoleranz auszeichnet. Noch schwerer traf es anschließend LACRIMOSA. In Gothic-Kreisen gefeierte Halbgötter, sind Thilo Wolff und Co. auf dem Summerbreeze 2006 so etwas wie der Inbegriff einer Fehlbesetzung. Wirklich gute Lauen schien der polarisierende Frontmann an diesem Tag nicht gehabt zu haben, wobei die kaum vorhandenen Reaktionen des Publikums auch nicht gerade einer Besserung seines Gemüts zuträglich waren. In Dinkelsbühl hatten Lacrimosa einfach das völlig falsche Publikum vor sich, das sich weder bei „Stolzes Herz“, noch bei „Copycat“ oder „Siehst du mich im Licht“ aus der Reserve locken lassen wollte. Somit stellte sich schnell die Erkenntnis ein, dass es doch ein zu tollkühn-naiver Schachzug war, eine Band wie Lacrimosa aufs Summerbreeze zu holen – gerade in der Position eines Headliners. Wer sich von den Gothen noch nicht auf den Zeltplatz oder an den nächsten Tresen hatte vergraulen lassen, der bekam sein Durchhaltevermögen mit einer unterhaltsamen Performance der Industrial Rocker DEATHSTARS belohnt. Wer hätte gedacht, dass diese Band so viele Zuschauer vor die nächtliche Painstage locken konnte? Am Set der vorangegangenen Festivalauftritte (u.a. „Tongues“, „Cyanide“, „Synthetic Generation“) änderte sich zwar fast nichts, dafür blieb aber auch der Unterhaltungswert der Schweden, die offensichtlich auch gern mal eine Glam Rock Scheibe im Player rotieren lassen, konstant hoch. Somit konnte auch der 2. Festivaltag mit einem Ausrufezeichen beendet und die Zuschauer zufrieden in die Nacht entlassen werden.

 

Lumsk Visions of Atlantis (Live & Photosession) Liv Kristine (Live & Autogrammstunde) Thyrfing

 

Setlist Lumsk:

01. Intro
02. Nøkken
03. Dunker
04. Åsgårdsreia
05. Trolltind
06. I trollehender
07. Fremad
08. Langt Nord I Trollebotten
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Setlist Visions of Atlantis:

01. Pharaoh Repentance
02. Send Me A Light
03. Cost Away
04. State of Suspense
05.
Lemuria
06. Lost
07. Last Shut of Your Eyes
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Setlist Corvus Corax:

01. Suam elle ires
02. Oro se vie
03. Skudrinka
04. Ballade de mercy
05. Venus Vina Musica
06.
Douce dame
07. Albanischer Tanz
08. In taberna
09. Ductia
10. Saltarello
11. Shou Shou Sheng
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12.
Platerspiel

Samstag, 19.08.

 

Du wolltest dich schon immer mal von geschminkten Männern wach küssen lassen? Glückwunsch, denn auf dem Summerbreeze 2006 hattest du die Gelegenheit dazu. Zu unchristlich früher Stunde reichten THE OTHER Horror-Rock-Häppchen und erste Guten-Morgen-Biere, die von einer Hand voll Fans bereitwillig entgegen genommen wurden. Etwas voller wurde es dann bei den deutschen Thrashern PERZONAL WAR, deren Sound eine deutliche Bay-Area Schlagseite aufweisen kann. Das Quartett rockte sich munter durch sein Set und wurde ähnlich wie zuvor The Other positiv von den Frühaufstehern unter den Headbangern aufgenommen. Einen Fehlstart nach Maß legten die norwegischen Folk-Metaller von LUMSK hin. Das Grieg-Intro war verklungen und Violinistin Siv Lena Laugtug wollte dem für die frühe Stunde doch schon recht zahlreich erschienen Publikum die ersten Töne von „Nøkken“ entgegenschmettern, als die Technik versagt. Erst während der folgenden Stücke bekam die Band die Soundprobleme in den Griff, konnte aber mit ihrer ruhigen, getragenen Musik das anwesende Publikum für sich gewinnen. Mit ergreifend schönen Stücken wie „Dunker“ oder „Trolltind“ lässt sich halt auch das härteste Metal-Herz erweichen. Im Gegensatz zum Album „Troll“ übernimmt Sängerin Stine Mari Langstrand live auch die männlichen Gesangsparts (etwa bei Åsgårdsreia), was den Songs deutlich zu Gute kommt. Nach einer halben Stunde war mit „Langt nord i Trollebotten“ vom Debüt leider schon Schluss. Als Metal-Nation ist Frankreich landläufig nicht bekannt. Daran versuchen derzeit Bands wie The Old Dead Tree oder aber GOJIRA etwas zu ändern, was Zweiteren an diesem Tag weitestgehend gelingen sollte. Der aggressive Mix aus Death Metal und Industrial-Verweisen holte nicht weniger der am Vortag abgestürzten wieder ins Reich der Lebenden zurück, wenngleich man auch sagen muss, dass die Band das Rad mit Songs wie „Backbone“ nicht unbedingt neu erfunden hat. Eine deutliche Visitenkarte fürs Heimatland war aber allemal drin. Danach hatten es VISIONS OF ATLANTIS mit ihrem symphonischen Metal schwer das nach Härte lechzende Publikum von sich zu überzeugen. Zwar gaben sich vor allem Sänger Mario und die neue amerikanische Sängerin Melissa Ferlaak alle Mühe das Publikum zu bezirzen, aber dennoch hielt man sich mit allzu großen emotionalen Ausbrüchen diesseits des Wellenbrechers weitestgehend zurück. Erst auf der Zielgerade mit „Lemuria“, „Lost“ und „Last shut of your Eyes“ konnte das Eis gebrochen werden. LEGION OF THE DAMNED kehrten dann mit ihrem brutalen, an Bolt Thrower erinnernden Sound dahin zurück, wo vorher Gojira aufgehört hatten. Stücke wie „Into the Eyes of the Storm“ knüppelten brachial nach vorn und schienen den Nerv der Lärmfetischisten eher zu treffen als die sympathischen Österreicher von Visions of Atlantis kurze Zeit früher. Auf technisch höchstem Niveau ging es dann mit den Deathern NECROPHAGIST bzw. CARNAL FORGE weiter, deren Sound zwar nicht partytauglich ist, dafür aber aufgrund der fingerfertigen Darbietungen vor allem in Musikerkreisen beliebt ist. Als TOTENMOND die Main Stage betraten, zogen dunkle Wolken am Himmel auf, die sich alsbald über die anwesenden Fans niedergossen. Man könnte meinen, Gott zürnte, und er hatte auch allen Grund dazu. Kaum eine Band geht so brachial und hasserfüllt zu Werke wie die drei schwäbischen Wahl-Hamburger. Dabei stehen aber nicht nur der Christengott und seine Vasallen auf der Abschussliste (z. B. „Sagenwelt“ oder das OHL-Cover „Die Macht des Feuers“), auch Junkies („Heroin“),  Neonazis (das gleichnamige Razzia-Cover) oder der Staat an sich („Macht kaputt, was Euch kaputt macht“) bekamen ihr Fett weg. Das Publikum wurde von Frontmann Pazzer mal mit Beleidigungen bedacht („Ihr langhaarigen Wichser“ oder „Scheiß Bayern“, was vor allem für die anwesenden Franken einen eindeutigen Affront darstellte) dann aber wieder mit Gratis-Vodka versorgt. Die Stimmung war trotz der miesen Wetterverhältnisse ausgesprochen gut. Kaum einer, der zu dem mal schleppenden, mal explodierenden Metal-Hardcore-Punk-Gemisch nicht bangte, pogte oder beim Klassiker „Die Schlacht“ das Band-Credo „Es lebe der Terrorismus“ der Bühne entgegen brüllte.

 

Nach diesem räudigen Intermezzo war es mal wieder Zeit für einen radikalen Kontrastpunkt. Mit PSYCHO PUNCH hielt der Rock N Roll Einzug in Dinkelsbühl und das Publikum schien auf diese Abwechslung irgendwie gewartet zu haben. Sänger JM und seine Mit-Rocker wurden willkommengeheißen und zahlten den warmen Empfang mit eingängigen Rockern wie „Nothing ever dies“ oder „Back in the Day“ zurück. Derart aufgewärmt konnte man fließend zu Phase 2 des Partyblocks übergehen – dieses Mal in der Hauptrolle: „Die Könige der Spielleute“ – CORVUS CORAX. Die hauen zwar nicht in die Gitarrensaiten, dafür aber auf die Trommeln. Und dieser Stilbruch tat dem Summerbreeze gut, was sich in ausgelassener Tanz- und Feierstimmung äußerte. Besonders interessiert an den exotischen Klängen waren die Gäste von Übersee wie die Mannen von Fear Factory, die das Spektakel vom Bühnenaufgang her beobachteten, währen Visions of Atlantis Sängerin Melissa es vorzog sich mit einem Kaltgetränk unter die feiernde Meute zu mischen. Altertümlich ging es mit den Heiden von THYRFING weiter. Ganz so aggressiv wie einige Genrekollegen zeigten sich die – natürlich – Schweden nicht, da sie eher wert auf walzenden Groove zu legen schienen. Optisch sollte man sich allerdings zukünftig absprechen, denn was nutzen die Kriegsbemalung und das Schlachterhemdchen von Sänger Thomas Väänänen, wenn seine zivil gekleideten Mitmusiker in keiner Fußgängerzone auffallen würden? Da würde man sich schon eher nach den exzentrisch gekleideten Glam-Anhängern NEGATIVE umschauen – und zwar sowohl in der Fußgängerzone, als auch auf einem Metalfestival. Bei aller Liebe: Aber rosa Spandexhosen und Glitzerhalstücher sorgen nicht nur in Dinkelsbühl für Augenkrebs. Und auch sonst hätte es für die Finnen an fast allen Fronten besser laufen können. Erst steckt man im Stau, dann wirft man sich in diese grauenvollen Bühnenoutfits um die Bühne zu entern, vor der zwar viele weibliche Anhänger schon seit Stunden Bands wie Totenmond über sich ergehen ließen, hinter denen sich die Reihen aber angesichts eines unschönen Platzregens binnen kürzester Zeit deutlich lichteten. Zumindest die Musiker verweigerten sich einem Stimmungseinbruch und beschallten die Durchhalter(innen) mit eingängigen Hits wie „Moments of our Love“, „Reflections“ oder dem rotzigen „Glory of the Shane“. Kurz vor der anstehenden Babypause gaben sich zum mittlerweile vierten Mal die BLOODFLOWERZ die Ehre auf dem Summerbreeze und konnten sich aus geografischer Sicht über ein Heimspiel freuen. Die werdende Mutter Kirsten Zahn hielt sich an diesem Tag genauso wenig zurück wie unter normalen Umständen und zeigte sich beim Opener „Sajidas’ Song“ genauso stimmlich auf der Höhe wie bei „Diabolic Angel“ oder „Anthem for a Stranger“.

 

Totenmond Negative & Fans Corvus Corax Deathstars Impressionen

 

 

Tops

- Musikalisch: Katatonia, ASP, Kreator, Exilia, Rebellion, Corvus Corax, Liv Kristine, Deathstars, Amorphis
- Fetter Circle-Pit bei Heaven Shall Burn

Flops

- The Ocean, Lacrimosa, Neaera (Stimmung ok, aber dumpfe Musik)
- Die Fliegeninvasion
- Preise für Essen und Trinken
- Toilettensituation
- "Gegenbeschallung" aus Richtung MH-Bus

 

Währenddessen kürten einige verwirrte Zuschauer das selbstgebaute, inoffizielle neue Maskottchen des Festivals – Bambi. Das Bierdosen-Reh wurde sprichwörtlich auf Händen getragen und mit lauten Sprechchören gefeiert. Kultige Aktion, die noch Wochen nach dem Festival Wellen schlagen sollte. Unbeeindruckt davon ließen sich GAMMA RAY von summenden Sirenen und lautem Jubel auf die Bühne zitieren, um die gespitzten Ohren der anwesenden mit traditionellen Hymnen vom Schlage eines „Sent me a Sign“ oder dem Helloween Evergreen „I want Out“ zu verwöhnen. Und eine Rampensau wie Kai Hansen ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Anschließend war es für die Death-Jünger in Dinkelsbühl an der Zeit ihre Gebetsteppiche auszurollen, hatten sich doch UNLEASHED angekündigt. Selbige nagelten den Todesmetallern vor der Bühne ein schwedisches Brett vor den Schädel, das sich gewaschen hatte. Melodisch geht anders, aber eine Abrissbirne eignet sich auch nicht zum jonglieren. Dahingegen eignen sich Songs wie „Neverending Hate“ und „Don’t want to be born“ vorzüglich fürs lustige Nackenkarussell. FEAR FACTORY lassen sich in diesem Jahr erfreulich oft auf deutschen Bühnen blicken und warfen nach dem Intro „The Number of the Beast“ die Industrial-Maschienerie an, die unter anderem mit „Myrtyr“, „Replica“ und dem finalen „Timelessness“ betankt wurde. Nach einigen Hochs und Tiefs scheinen die Amis wieder auf der Höhe der Zeit zu sein, was auch die euphorischen Reaktionen der Fans zeigen. Wer diese drei Festivaltage bis zu diesem Zeitpunkt überlebt hat und noch nicht die Segel gestrichen hatte, der bekam noch ein besonderes Bonbon mit auf den Weg, nämlich einen der extrem raren Liveauftritte der Briten MY DYING BRIDE, deren hagerer Sänger Aaron Stainthorpe kaum etwas mehr hasst, als seine eigenen Songs live darzubieten. Trotzdem zeigte sich der bärtige Lyriker in bester Verfassung und lieferte eine eindringliche und intensive Vorstellung ab. Viele ihrer (Überlänge-)Stücke konnten My Dying Bride zwar nicht in den 50 zur Verfügung stehenden Minuten unterbringen, aber „The Forever People“ und „Cry of Mankind“ kann man getrost als Referenzsongs durchgehen lassen, die alle Stärken der Band in sich vereinen. Somit endete das Summerbreeze 2006 mit einem anspruchsvollen und intensiven Schauspiel, dessen Ende nach kurzer Melancholie der Vorfreude auf das im nächsten Jahr folgende 10. Jubiläum des Open Airs Platz machte.

 

  Tops
- musikalisch: Lumsk, Totenmond, Finntroll, Turisas, Moonspell
- das Gelände (kurze Wege)
- halbwegs humane Bierpreise
- überwiegend freundliche Menschen

Flops

- Lacrimosa als Headliner eines Metal-Festivals
- Die Glasparanoia
- Der überlaute Metal Hammer Bus
- Die Ignoranten, die mir den Liv Kristine Auftritt vermiest haben

 

 

 

 

Markus Rutten & Alexander Dontscheff – www.sounds2move.de

 

Link: www.summer-breeze.de