Festivalbericht zum Mera Luna 2006

 

Hildesheim. Stadt im Süden des Bundeslandes Niedersachsen. Selbstständige Kreisstadt mit knapp 102.000 Einwohnern. Partnerstadt von Halle (Saale), Padang (Indonesien), Pavia (Italien) und El Minai (Ägypten). Außerdem die Heimat der Traditionsmarken Bosch und Blaupunkt und einer von sieben Coca Cola Abfüllstandorten in Deutschland. Hildesheim ist auch eine Stadt mit Geschichte: So wurde auf diesem Fleckchen Erde im Jahr 1908 die erste Telefonvermittlungsstelle mit Selbstwählsystem auf europäischem Boden ans Netz geschickt (das interessiert euch wahnsinnig, oder?). Zudem verfügt die Stadt über einen eigenen Dom und eine Hand voll weiterer geschichtsträchtiger Bauwerke. Dennoch steht die Stadt mit der Ortsvorwahl 05121 gemeinhin im Schatten ihrer bekannteren Nachbarstädte Hannover und Braunschweig. Immer? Nein, denn seit dem Jahr 2000 kann Hildesheim an jedem 2. Wochenende im Juli sein Schattendasein für einige Tage ablegen, wenn eines der wichtiges Festivals der internationalen Gothic Szene auf dem ortsansässigen Flugplatzgelände zu Gast ist. Wobei so ganz ohne Schatten kommt Hildesheim auch an diesem Wochenende nicht davon, denn wie in den Vorjahren waren auch im Jahr 2006 über 20.000 Schattenkinder aus Nah und Fern angereist um gemeinsam das Mera Luna Festival zu zelebrieren.

 

Samstag, 12.08.

 

Als am Samstag Vormittag zu früher Stunde SONO erste Synthie-Pop Frühstückssnacks reichten, war das Gelände schon beachtlich gefüllt, wenngleich auch noch mehrere hundert Besucher im zwischen Zeltplatz und Festivalgelände gelegenen Einlassbereich geduldig auf das Passieren der obligatorischen Sicherheitsgitter warteten. Wirklich viel verpasst haben die Wartenden nicht, denn Sono klangen leider zumindest an diesem Tag doch sehr austauschbar. Da konnten die nur wenig später im Hangar auflaufenden Iren LLUTHER schon mit etwas mehr Eigenständigkeit aufwarten. Der Hangar war schon überraschend gut gefüllt und so konnten Lluther mit ihrem bunten Stilmix, bei dem das Rock-Grundgerüst mal mit bombastischen Sounds, mal mit dezenter Elektronik und hier und da sogar mit Tuchfühlung in Richtung Metal erweitert wird, punkten. REGICIDE sind in diesem Jahr in ganz Deutschland unterwegs, um viele mehr oder wenige große Festivals zu bereichern und sind auf den meisten Großveranstaltungen dieser Art ein gern gesehener Gast. Für das diesjährige Mera Luna Festival haben sie sogar Violistin Jonna mitgebracht, die erst vor wenigen Monaten Mutter wurde und ihre Babypause für diesen Auftritt ausnahmsweise unterbrochen hat. Die Band war sichtlich gut drauf und bekam einen hohen Zuspruch seitens des Publikums, das sich trotz der immer noch recht frühen Stunde im Hangar eingefunden hatte. Mit leichter Verspätung wegen technischer Probleme mussten Regicide und auch das Publikum sich allerdings mit einem gekürzten Set zufrieden geben, da an diesem Tag noch viele andere Bands auf ihren Einsatz warteten. Erwartungsgemäß lag der Schwerpunkt des ca. 30minütigen Auftritts auf dem 2. Album der Band. So konnte man unter anderem „The Hanger-On“ und „An Embracing Space Part 3“, wovon auch der 2. Teil (vertreten auf dem Debütalbum „Viorus“) gespielt wurde, lauschen. Nach einem energiegeladenen Auftritt räumte das Septett die Bühne für die nächste Band.

 

Regicide Midnattsol Dope Stars Inc. Die Krupps

 

 

Bei MIDNATTSOL wurde es zwar anschließend vor der Bühne etwas leerer, dafür aber auf der Bühne voller – zumindest in Sachen Technik. Schlagzeuger Chris Merzinsky hatte nämlich auch an diesem Tag sein umfangreiches Drumset (inkl. Joey Jordison Signature Snear) mitgebracht, das für den vorhandenen Drumraiser mal eben einen guten halben Meter zu breit ist. Somit musste der Blondschopf an diesem Tag auf seine Erhebung verzichten. Das Publikum hingegen, das im Vergleich zu Regicide eine deutlich höhere Metaller-Dichte aufweist, musste natürlich auf nichts verzichten und so hagelte es alte Bekannte vom noch immer aktuellen Debüt „Where Twilight dwells“ wie etwa „Lament“ oder „Dancing with the Midnight Sun“. Alte und neue Fans können sich schon mal auf 2007 freuen. Dann biegt nämlich der 2. Streich der Band um die Ecke, der laut Aussage der Musiker noch einmal eine ganze Schippe härter ausfallen soll – da kommt Freude auf. Selbige prägte anschließend auch das Bild in der Flugzeughalle. Erst fliegender Wechsel zwischen Kuttenträgern und Industrial-Jüngern und dann Bühne frei für die italienischen Schnuckelchen von DOPE STARS INC. Die jungen Herren, die rein optisch einem bunten Mix aus Motley Crue und Marilyn Manson darstellen, erfreuen vor allem weibliche Augen, konnten sich aber auch musikalisch von ihrer Schokoladenseite zeigen. Auch wenn Sänger Victor an diesem Tag kleine Probleme mit der DSI-Fahne hatte, gingen dessen ungeachtet wummernde Bässe und treibender Rock Hand in Hand und so erfreuten „Platinum Girl“, Theta Titanium“, „Infection 13“ und der Clubhit „Make a Star“ das Ohr. Letzterer ist jetzt übrigens auch als großzügige 9-Track-EP zu haben, auf der auch so namhafte Künstler wie L’âme Immortelle, Samsas Traum und The Birthday Massacre mit Remixen glänzen. Für LIV KRISTINE war es der erst zweite Festivalauftritt als Solokünstlerin. Nachdem sie auf dem Wave-Gotik-Treffen im Mai vom Publikum schon begeistert gefeiert wurde, konnte die Norwegerin auch an diesem Tag im Hangar überzeugen. Dank der wesentlich besseren Technik im Vergleich zu ihrem ersten Auftritt konnte sie zusammen mit ihren Mitstreitern ihre Songs professionell vorstellen. Zu bestaunen gab es neben der Single „Fake A Smile“ einen Großteil ihres neuen Soloalbums „Enter My Religion“. Für „My Revelation“ holte Liv ihre Schwester Carmen Elisa auf die Bühne, die kurz zuvor noch mit ihrer eigenen Band Midnattsol aufgetreten war und sang den Song mit ihr gemeinsam. Eine schöne Geste. Zum Abschluss wurden die zahlreich vertretenen Theatre Of Tragedy-Fans für ihre Anwesenheit belohnt, denn mit „A Distance There Is“ performte Liv einen Song ihrer alten Band, der ihr nach eigenen Aussagen trotz des schmerzlichen Rauswurfs vor 3 Jahren sehr am Herzen liegt. Ein sehr souveräner Gig der Leaves´ Eyes-Frontfrau, auch wenn der letzte Song aufgrund der nachlassenden Stimmung ein anderer hätte sein können.

 

Trotz zuletzt massiver Livepräsenz konnten UNHEILIG auch in Hildesheim den Hangar bis unters Dach füllen. Zur Begrüßung gab es mit „Astronaut“ ein aktuelles Stück, dem unter anderem „Sage Ja“ und der Überhit „Freiheit“ folgten. Außerdem auf der Tagesordnung: Die Livepremiere zur neuen Single „Ich will leben“, bei der Unheilig mit Projekt Pitchfork kooperieren und deren Sänger Peter Spilles ebenfalls beim Mera Luna mit von der Partie war. Das nennt man dann wohl gute Werbung, auch für die im Herbst folgende gemeinsame Tour. Vor der Hauptbühne freute sich das schwarze Volk anschließend auf die Industrial-Pioniere DIE KRUPPS. Selbige wurden mit Hits vom Schlage eines „Crossfire“ verwöhnt und zeigten sich angetan vom erneuten Gastspiel der Band, die jüngst ihr 25-Jähriges gefeiert hatte. Nicht-Fans und andere neutrale Zuschauer sahen das ganze weniger euphorisch - aber dennoch eine solide Darbietung „Made in Germany“. Ebenfalls aus deutschen Landen kommen SAMSAS TRAUM und diese Band kennt die Reaktionen auf ihre eigenwillige Musik, die grob unter „liebt es oder hasst es“ abzuheften ist. Ich für meinen Teil würde mein Kreuz mit dem Untertitel „Kann ich verstehen“ da eher auf dem ST-Shirt mit dem Rückenaufdruck „Gott hasst mich“ machen. Vor allem in Gothic-Kreisen extrem angesagt und absoluter Kult, verursacht diese Band bei mir neben eingeschlafenen Füßen absolut gar nichts. Trotzdem war der Hangar brechend voll und das Publikum ging bei Stücken wie „Einer gegen Alle“ und „Endstation Eden“ erwartungsgemäß steil. Genau wie der gelangweilte Teil des Publikum – der allerdings direkt in Richtung Main Stage, wo BLUTENGEL mit gewohnt pompöser neuer Bühnenshow bereit standen. So wurden Club-Hits (die offiziell natürlich keiner der Rückgradlosen kennen will) wie „Bloody Pleasures“, „Children of the Night“ und Co. von allerlei Pyrotechnik und (halbnackten) Tanzeinlangen untermalt und einmal mehr der Beweis angetreten, dass bei Blutengel die visuelle Komponente einen enorm hohen Stellenwert einnimmt.

 

Unheilig Liv Kristine Tristania Deathstars

 

 

Mit TRISTANIA gab sich danach eine in diesem Sommer live extrem rare Band die Ehre. Aus technischen Gründen musste das neue Album „Illumination“ zwar auf 2007 verschoben werden, aber dafür vertrösteten die Norweger ihre Fans größtenteils mit Material älteren Datums, etwa „Beyond the Veil“ oder „Angellore“. Vom aktuellen Album bot die um ihren Shouter Kjetil reduzierte Band lediglich „Libre“ und „The Wretched“, konnte im Gegenzug aber auch ein komplett neues Stück („The Ravens“) präsentieren - einen hochexklusiven Ausblick auf besagtes fünftes Album. Selbiger Titel kommt sehr düster und doomig daher und scheint den Faden der ruhigeren Momente auf „Ashes“ weiter zu spinnen. Auffallend in Sachen Bühnenpräsenz war vor allem Sängerin Vibeke Stene, die allen Anschein nach ihren „Blick in die Leere“ nicht mehr praktiziert. Gesamt betrachtet ein feiner Auftritt, auch wenn der Hangar leider nur zu 2/3 gefüllt war. Vor den DEATHSTARS zog der Publikumszuspruch dann wieder etwas an. Auf einem solchen Festival haben die Electro-Metaller leichtes Spiel, denn ihr trendorientierter Sound kommt sowohl bei Headbangern als auch bei Clubgängern an. Die seltsamen Gebaren von Frontmann Whiplasher erinnerten zwar eher an 80er Glam Rock (woran sicher auch seine Federboa und der mit reichlich Glitzerpaste eingeriebene Oberkörper beitrugen), aber Songs wie „Blitzkrieg“, „Synthetic Generation“ oder „Tongues“ geben die Direktive dann doch mehr als deutlich vor. Erwartungsgemäß avancierte das fabulöse „Cyanide“ zum Highlight des Auftritts. Wohlgemerkt trotz (oder obwohl?) einer so herrlich klischeehaften Textzeile wie „When the dark does what the dark does best, It's darkness“. Den unbestrittenen Höhepunkt des ersten Festivaltages (oder sollte man besser sagen des gesamten Wochenendes?) lieferten dann die niederländischen Schubladen-Feinde THE GATHERING ab. Seit 1989 hat diese Band unter anderem Gothic Metal, Electro Rock und Progressive Rock gespielt und dabei vor allem von ihrer Natürlichkeit gelebt. Das ist im Jahr 2006 nicht anders. Auch optisch schert sich die Band nicht um Konventionen und so beugte man sich wie schon auf dem WGT nicht der „Kleiderordnung“ der Besucher, sondern präsentierte sich optisch in farbenfroher Kleidung. Mit den ersten Tönen schien die Zeit im Hangar stehen zu bleiben und eine Stunde voller Magie wartete auf das Publikum. Mit ihrer herzlichen und positiven Ausstrahlung stand dabei Sängerin Anneke van Giersbergen naturgemäß im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, die mit ihrem unverwechselbaren Gesang und vor allem mit ihrem Charisma die gesamte Halle förmlich auszufüllen schien. Natürlich sind The Gathering keine Party-Band, sondern eher eine Formation für die gepflegte Abendunterhaltung und so beschränkte sich das Publikum auch weitestgehend auf stürmischen Applaus zwischen den alten und neuen Hits. Dabei bot die göttliche Setlist neben neuen Stücken wie „Shortest Day“ vor allem Klassiker der Marke „In Motion #1“, „Saturnine“, „Eleanor“ und erfreulicherweise auch das überirdisch-gute „Strange Machines“. Ein wahrer Leckerbissen für alle, die nicht immer nur Lärm brauchen, um glücklich zu sein. Wer will da schon BAUHAUS sehen?

 

Blutengel The Gathering Elane Clan of Xymox

 

 

Sonntag,13.08.

 

Deutlich weniger Besucher als noch am ersten Tag fanden sich zum frühen Beginn des zweiten Festivaltages auf dem Gelände ein. Der vergangene Tag und vor allem die anschließende Nacht schienen ihre Spuren hinterlassen zu haben. Wer den Vormittag lieber nutzte, um noch eine Mütze voll Schlaf nachzuholen, der hat ehrlich gesagt nur wenig verpasst. Nachdem MONA MUR sperrige Wave meets Electro Klanggebilde von der Hauptbühne in die noch überschaubaren Reihen geschossen hatten, kam die Zeit für ELANE, die für ELIS nachnominiert wurden, welche aus bekannten Gründen alle anstehenden Auftritt abgesagt hatten. Elanes eher ruhiger, folklorischer Rock ist zwar keine Stimmungsmusik, aber um bei einem gemütlichen Kaffee die Müdigkeit zu vertreiben und gemächlich in den Tag zu starten genau das richtige. Und mit einer Coverversion von Mike Oldfield’s „Moonlight Shadow“ kann man sowieso kaum etwas falsch machen, vorausgesetzt man wagt nicht allzu wilde Experimente. Die folgende Band genießt in schwarzen Szenekreisen einen Kultstatus. Die Rede ist von CLAN OF XYMOX, bei deren Wave-Sounds die Fans wohl in ungezügelte Verzückung verfallen. Bei allen anderen fiel die Illusion einer lebenden Legende wahrscheinlich ebenso schnell wie bei mir. Was sich heutzutage alles Kult schimpfen darf... Denn eben dieser Begriff umschreibt nicht selten Künstler, die nur in absoluten Liebhaberkreisen ankommen. Oder um es etwas härter auszudrücken: „Kult“ ist leider häufig eine Art wohlwollender Platzhalter für „Zenit überschritten“. Wer da lieber im warmen Schlafsack liegen geblieben ist, hat wohl alles richtig gemacht.

EPICA standen vor 2 Jahren auf dem Mera Luna das erste Mal auf einer großen deutschen Bühne. Schon damals konnten die Niederländer sich für eine so junge Band (2003 gegründet) erstaunlich gut verkaufen. Anno 2006 klingen Epica noch bombastischer und verfügen über eine unheimliche Livepräsenz, was nicht zuletzt der jungen Frontfrau Simone Simons zu verdanken ist. Mit einem gesunden Mix aus den bisherigen zwei Alben „The Phantom Agony“ und „Consign to Oblivion“ bot das Sextett ein abwechslungsreiches Set dar, das mit „Mother of Light“ einen energiegeladenen Einstieg gewährte. Mit „Cry for the Moon“ und „Sensorium“ wurden zwei ältere Songs vorgestellt, die live genauso gut funktionieren wie das aktuelle Material, wovon man unter anderem noch die Grunt-Version von „Quietus“ und das 10-Minuten-Epos „Consign To Oblivion“ auf die Ohren bekam. Alles in allem ein sehr gelungener Auftritt, trotzdem habe ich Epica schon besser gesehen. Weitere Deutschlandauftritte der Niederländer sind zurzeit leider nicht in Planung und auch die DVD-Veröffentlichung des im Mai aufgenommenen Amsterdam-Gigs lässt weiter auf sich warten. Ein Hoffnungsschimmer bleibt aber bestehen. So kündigt sich für das frühe 2007 das dritte Album der Band an, das unter anderem einen 15-minütigen Song enthalten soll.

 

Epica The Birthday Massacre Gelände Apoptygma Berzerk Letzte Instanz

 

 

Tops Flops
- The Gathering: Absolut magisch. Gänsehaut! - Der Hangar: Bei bekannteren Bands viel zu klein. Nur ein Ein- und Ausgang
- Außerdem: Tristania, In Extremo, Ministry, Dope Stars Inc., Letzte Instanz, Regicide (schon oft gesehen, zum ersten mal richtig überzeugt), Within Temptation (endlich mal wieder mit vollem Einsatz und verheißungsvollem neuem Material) - Apoptygma Berzerk: Bemüht aber trotzdem lahm und steril, Clan of Xymox: Der neue Superlativ von langweilig
- Entgleiste Gesichtszüge bei EBM-Jüngern während dem Auftritt von Ministry - Keine Aha-Effekt in musikalischer Hinsicht. Punkten konnten ausschließlich alte Bekannte.
- Das Wetter hält an beiden Festivaltagen  

Über zahlreiches Publikum und sogar den einen oder anderen Sonnenstrahlen konnte sich im Anschluss die LETZTE INSTANZ freuen. Die gute Laune der Musiker war während der 50 Minuten einmal mehr ansteckend und so bekamen die beiden Hollys und ihre Instanzler neben reichlich Applaus auch ihre geforderte Laola-Welle. Stücke wie „Tanz“, „Ohne Dich“, „Das schönste Lied der Welt“ und „Mein Todestag“ taten ihr übriges um die Partystimmung zum ersten Mal an diesem Tag auf ein beachtliches Niveau zu schrauben. Angesichts einer solchen Vorlage könnte so mancher Newcomer Gefahr laufen mit fliegenden Fahnen unter zu gehen. Das war im Falle von THE BIRTHDAY MASSACRE zum Glück nicht der Fall, denn die Kanadier haben in den vergangenen beiden Jahren genügend Bühnenerfahrung gesammelt, um ihren recht hohen Platz im Billing auch an diesem Tag zu rechtfertigen. Zwar konnte das Stimmungsniveau nicht ganz gehalten werden, aber „Lover’s End“, „Blue“ und „Happy Birthday“ wurden dennoch mit offenen Armen empfangen. Natürlich musste auch das Mera Luna nicht auf das neue Stück „Kill the Lights“ verzichten und so verging die angesetzte Dreiviertelstunde wie im Flug. Ebenfalls euphorisch wurden APOPTYGMA BERZERK empfangen. Die Norweger hatten hauptsächlich älteres Material mit nach Hildesheim gebracht, welches primär das Electro-Publikum erfreute. Auch wenn die Frauenquote und der Kreischfaktor in den vorderen Reihen sehr hoch waren, konnte die Band eine gewisse Distanz nicht ablegen. So gestaltete sich der Auftritt der Apops (inkl. norwegischer Flagge am Mikro) zu einer zweischneidigen Angelegenheit, vor der einige Zuschauer Zuflucht in Richtung Futter- und Verkaufsmeile suchten. Was ein richtiges Kontrastprogramm ist, zeigten daraufhin MINISTRY. Einige Elektroniker waren nach Berzerk geblieben, da „Industrial“ angekündigt war. Und Industrial bekam Hildesheim dann auch zu hören, allerdings die metallische Ausführung. Al Jourgensen, der um die Hüfte deutlich zugelegt hat, ließ zur Begrüßung erst einmal einen rasenden Brocken vom Referenzwerk „Psalm 69“ vom Stapel, der nicht wenige eher zart besaitete Weichspül-Techno-Jünger zur entsetzen Flucht animierte. Tourschlagzeuger Joey Jordison (Slipknot, Murderdolls) wütete mit schwarzem Army-Helm hinter seiner Schießbude wie ein Wahnsinniger und peitschte die ohnehin schon dampfwalzenartigen Riff- und Samplesalven der Marke „Rio Grande Blood“ noch weiter nach vorn. Heavy as fuck - so soll es sein. Oder wie Titan-Kahn es sagen würde: „Wir brauchen Eier“. Die haben Ministry definitiv – und zwar in Melonengröße.

 

Publikumsimpressionen

 

 

Auch mit umfangreichem Bühnenbild  schmückten sich IN EXTREMO. Beeindruckend wie diese ohnehin schon großartige Liveband in den vergangenen 3-4 Jahren weiter an sich und ihrem Bühnenbild gefeilt hat. Da die Mera Luna Hauptbühne großzügig dimensioniert ist, konnten die Spielleute an diesem Tag das volle Programm fahren und mit ihrem „Schiff“ in See stechen. Selbiges hatte neben massig Feuerwerk auch Hits wie „Vollmond“, „Küss mich“, „Poc Vecem“ und „Raue See“ geladen, die von Steuermann Micha Rhein und seiner Crew aus Yellow Pfeifer, Dr. Pymonte und Co. bereitwillige zu Wasser gelassen wurden. „Schiff Ahoi“ dachte sich Hildesheim und sorgte gemeinsam mit der Band für ein einstündiges Highlight des Mera Luna 2006.

Der Headliner des zweiten Festivaltages hat sich für das Mera Luna Festival eine Dauerkarte erarbeitet. Traten sie 2002 – 2004 noch vor eher überschaubarem Publikum auf, so wurde es 2006 vor der Hauptbühne proppenvoll, als WITHIN TEMPTATION die Bühne betraten. Die viel beschäftigten Niederländer hatten an diesem Abend einen brandneuen Song im Gepäck – „The Howling“ – den sie erst zum zweiten Mal performten. Einzig die holländischen Fans kamen vor dem Mera Luna-Publikum in den Genuss des Powersongs, der exklusiv für das Computerspiel „The Chronicles of Spellborn“ geschrieben wurde. Dieses Spiel nahm sich die Band übrigens auch für ihre teilweise neue Bühnendeko zum Vorbild. Neben dem neuen Song bot die Band das schon bekannte und in ganz Europa zum Einsatz gekommene Set dar, das wie gewohnt mit „Deceiver of Fools“ eröffnet wurde. Vertreten waren auch alle bisherigen Singles, darunter auch das beliebte Kate-Bush Cover „Running Up That Hill“ sowie das Zugabemuss „Ice Queen“, für das Robert immer wieder gern seine höchsten Stimmlagen aus der Schublade holt um das Publikum zum Mitsingen zu animieren. Sängerin Sharon den Adel konnte wahrlich glänzen, sowohl stimmlich, äußerlich als auch menschlich. Zwischenzeitlich musste die junge Mutter eine kurze Zwangspause einlegen, da der Pyrorauch ihr auf die Stimme schlug, was sie mit einem zuckersüßen „The Smoke is killing me“ entschuldigte. Within Temptation legten beim diesjährigen Mera Luna einen grandiosen Auftritt hin, der keinen schöneren Abschluss eines gelungenen Festivals hätte bilden können. Da kann man nur hoffen, dass die Veranstalter nicht der Meinung sind, dass alle guten Dinge nur 4 sind.

 

Markus Rutten & Simone Steinbüchel – www.sounds2move.de

Tops Flops

- Musikalisch: Within Temptation, The Gathering (große Überraschung), Epica - Musikalisch: Apoptygma Berzerk (eine echte Enttäuschung), Elane (langweilig)
- Das Wetter. Nur wenige Tropfen trotz doppelter Wetterwarnung - Wo waren die Sitzmöglichkeiten für 22.000 Besucher? Außerdem nur Mobiltoiletten und fehlende Waschmöglichkeiten (Wasserstelle?)
- Keine Zwischenfälle. Ein sehr ruhiges Festival  
   
Ministry In Extremo Publikum Within Temptation

 

Homepage: www.meraluna.de