Festivalbericht zum Dour Festival 2006

Belgien ist für Musikfans eigentlich immer eine Reise wert. Neben dem Graspop Metal Meeting und dem Metal Female Voices Fest gibt es dort auch (mittlerweile zum 18. Mal) nicht weit von der französischen Grenze entfernt das Dour Festival, ein Open Air, das sich komplett den alternativen Musikrichtungen verschrieben hat. Die Unterschiede zu deutschen Festivals sind allerdings markant. Da wäre zum Beispiel der mit Schlaglöchern gepflasterte, zweispurige Feldweg, der unmittelbar hinter der Grenze beginnt und auf den Namen „Autobahn“ hört. Wer beim Befahren dieser Straße aufmerksam auf die sich ihm in den weg stellenden Krater in der Fahrbahn achtet, der stellt zumindest nicht mehr die Frage, warum denn auf dem Standsteifen alle paar Meter mal größere und mal kleinere Reifenreste das Bild der Landschaft prägen. Was passiert, wenn man mit max. 120 km (mehr ist auf Belgischen Schnellstraßen nämlich nicht erlaubt) ungünstig in einen der Risse rast, möchte man sich als Tourist nicht unbedingt vorstellen und niemand möchte als erste Amtshandlung im umliegenden Ausland Bekanntschaft mit seinem Wagenheber und dem Warndreieck machen. Positiver fallen einem da schon die Rasthöfe auf, welche zum Teil in Brückenmanier direkt über die Autobahn gebaut werden, was natürlich ein separates Bauen und Versorgen in beiden Richtung erspart – sehr schlau eingerichtet. Bezüglich Verständigung sollte man im Optimalfall wenigstens ein paar Brocken französisch sprechen. Denn um das Englisch ist es bei 90% der französischsprachigen Bevölkerung eher bescheiden bestellt. Da hat man im niederländischsprachigen Teil des Landes schon bessere Karten. Dort kommt man mit Englisch gut über die Runden und mit ein bisschen Glück versteht der Gegenüber auch ein paar Brocken Deutsch. Im Bezug auf Festivals und deren Ablauf ist der größte Unterschied wohl, neben den teils happigen Preisen für Speisen und Getränke, das allgegenwärtige Bon-System, das auch in den Niederlanden bei Konzerten und Festivals Gang und Gebe ist. Wer mit Bargeld in der Hand an  den Imbiss oder den Getränkestand flitzt, der wird nicht nur eine Preistafel finden, auf der man Geldbeträge vergebens sucht, sondern auch erst mal in die Röhre gucken. Vor die Mahlzeit hat der Liebe Gott in Benelux nämlich den Bon-Schalter gesetzt. Das kann mitunter nerven und verschleiert hier und da den einen oder anderen knackigen Preis.

 

Driving Dead Girl The Birthday Massacre Oomph!

 

Knackig war auch der Zeitplan des Dour Festival 2006. Knapp 240 Bands und DJs in 4 Tagen wollen erst einmal untergebracht werden. Doch die Organisation auf den Bühnen war mehr als professionell und nur im Ausnahmefall gab es hier und da kleinere Verspätungen. Davon war zum Beginn des Festival-Freitags zur Mittagszeit bei den Belgiern DRIVING DEAD GIRL keine Rede. Pünktlich gingen die vier noch labellosen Newcomer auf die Bretter und boten dem noch überschaubaren Grüppchen vor der „Last Arena“-Bühne zum Start in den Tag eine Mischung aus Queens of the Stoneage und Fu Manchu. Ein unkomplizierter Start in den Tag. Überraschend viele Besucher interessierten sich im Anschluss für die Kanadier THE BIRTHDAY MASSACRE. Diese starteten mit „Lovers End“ in ihr Set, dem neben Songs vom aktuellen Album wie etwa „Violet“ oder dem finalen „Video Kid“ auch „Broken“ vom Debüt „Nothing and Nowhere“ gut zu Gesicht standen. Die Band, allen voran Sängerin Chibi, zeigten sich bestens gelaunt und hatten sichtlich Spaß auf der Bühne. Da die Zuschauer nicht nur überraschend vielzahlig, sondern ebenfalls unerwartet aktiv waren, konnte die Band auch für „Kill the Lights“ – einem bis dato unveröffentlichten Ausblick auf das für Anfang 2007 geplante neue Album - viele positive Reaktionen verzeichnen. Passend zum Band- und Albumthema konnten The Birthday Massacre ihrem Keyboarder O-en mit „Happy Birthday“ außerdem vorzüglich ihre Glückwünsche zu dessen Ehrentag übermitteln. Besser hätte es für die Band auf diesem Festival mit größtenteils eher untypischem Publikum kaum laufen können. Zu ähnlicher Zeit versuchten sich WITH HONOR mit ihrem an die allmächtigen Sick of it All erinnernden Hardcore New Yorker Prägung am noch etwas verschlafen wirkenden Publikum. Mit aggressivem Hardcore in den Tag zu starten, war offensichtlich nicht nach dem Geschmack des Dour Publikums. Da scheinen die größtenteils aus Belgien und Frankreich stammenden Besucher schon eher auf deutsche Kost zu stehen. Zum Auftritt der Braunschweiger OOMPH! hatten sich mehrere Tausend Besucher in der Last Arena eingefunden, die nicht nur fast jeden Song mitsingen konnten (!), sondern auch mächtig Bock auf die Hits der Band zu haben schienen. Im Ausland ist die Band nämlich konzerttechnisch nicht so omnipräsent wie hierzulande und entsprechend ausgehungert schien der Mob auch zu sein. Ein solches Publikum ist ganz nach dem Geschmack von Entertainer Dero, der an diesem Tag alle Register in Sachen Interaktion und anstachelndem Gebaren ziehen konnte. Unter anderem brachte „Das weiße Licht“ „Unsere Rettung“ und so spielten und hüpften sich Oomph! durch ein knapp einstündiges Greatest Hits Programm, dessen Ende mit „Augen Auf“, „Gott ist ein Popstar“ und „Menschsein“ ganz den Songs der jüngeren Schaffensphase gehörte.

 

Flogging Molly Soulfly Dour Festival / Gelände

 

 

Top

Flop

+ Musikalisch: The Birthday Massacre, Oomph! - Die extremen Temperaturen. Morgens und spät abends frostig kalt, tagsüber Glutofenhitze.
+ Körpergulasch bei Soulfly - beeindruckender Anblick. - Mein feuerroter Sonnenbrand im Nacken.
+ Der Axion-Stand, der kostenlos Sonnenmilch an die sprichwörtlich "gebrannten Kinder" verteilt hat.  
Anschließend wurde der Platz sowohl auf als auch vor der Bühne noch einmal merklich rarer. Das irisch-amerikanische Septett FLOGGING MOLLY hatte sich angekündigt und die Fans waren zahlreich erschienen. Eine Stunde lang sorgten die Herrschaften mit ihrem Mix aus irischem Folk und amerikanischem Punkrock trotz brütender Hitze für ordentlich Betrieb vor der Bühne. Zu Stücken wie „Selfish Man“ kann man die Füße einfach nicht still halten und so frönte das gut gelaunte Publikum einer Mischung aus beschwingtem Tanz und klassischem Pogo. Nach einer solchen Show fragt niemand mehr, warum diese Band seit Jahren einen Kultstatus innehat. Eine Lichtgestalt des Metal-Zirkus zeigte sich nur wenig später in der „Last Arena“. Max Cavalera gilt nicht nur wegen seiner Vergangenheit als Sepultura Sänger als Ikone der Szene, auch seine heutige Band SOULFLY hat einige Klassiker und Evergreeens des Thrash Metal auf der Habenseite zu verbuchen. Als der zottelige Brasilianer mit seiner Band zum beginnenden Sonnenuntergang die Bühne betrat, kannte das Auditorium kein Halten mehr. Tausende von Fans flippten kollektiv aus, Menschen, Becher und Plastikfalschen flogen durch die Luft und die Fans hingen an den Lippen des wie immer in Tarnfarben auf der Bühne stehenden Sängers. Dieser startete wuchtig mit „Babylon“ vom aktuellen Album „Dark Ages“ in sein Set und feuerte im Anschluss auch schon den erste Sepultura-Klassiker in den gierigen Mob: „Roots bloody Roots“  erklang aus den Kehlen und brachte auch die letzten Moleküle in Bewegung. Beeindruckend waren neben der Intensität auf Seiten der Zuschauer auch die Präzision und Genauigkeit in den Reihen der Musiker, die auch bei hoher Geschwindigkeit einen präzisen Job ablieferten. Der einzige Wunsch, den der Mob Mr. Cavalera abschlagen musste, war der von ihm beschworene und mehrfach geforderte Circle-Pit. Dafür war einfach kein Platz vor der Bühne, wo Soulfly nichts als verbrannte Erde hinterließen. Eine beeindruckende Darbietung in Sachen Tribal-Thrash-Metal.

 

Top

Flop

 

+ Musikalisch: Within Temptation, Oomph!

- die wenigen Schattenplätze für die vielen Leute

+ der Busshuttle direkt bis zur Last Arena. Praktisch! - das Bonsystem. Aber leider Pflicht in BeNeLux
  - alles auf französisch ausgeschildert
Fans & Impressionen

 

Max Cavalera und der ehemalige Faith No More Sänger Mike Patton kommen übrigens überraschenderweise auf einen gemeinsamen Nenner. Dieser heißt Sepultura, bei denen Max bekanntermaßen Sänger, Gitarrist und Frontmann war und für die dann zu einem späteren Zeitpunkt auch Patton aktiv war, allerdings mehr im Hintergrund. Der gebürtige Kalifornier verfasste nämlich schon verschiedene Liedtexte für die Thrash-Legende aus Belo Horizonte. Warum das hier Erwähnung findet? Ganz einfach: Nach einiger Zeit der Stille ist Mike Patton wieder auf der Bildfläche erschienen. Und zwar mit seiner neuen Band PEPPING TOM. Diese feierte auf dem Dour Festival ihre Bühnenpremiere mit einem beeindruckenden Auftritt und bewies einmal mehr, dass der Sänger und kreative Kopf Patton ein Mann der vielen Gesichter ist, dessen neue Band sich definitiv keiner Schublade unterordnen kann. Wesentlich koordinierter und zurückhaltender ging es nach Soulfly auf der „Last Arena“ Bühne weiter. WITHIN TEMPTATION spielen diesen Sommer einige Festivals, bevor sie sich im Spätsommer ins Studio zurückziehen um den „The Silent Force“-Nachfolger fertigzustellen. Auf neues Material, das schon zahlreich komponiert wurde, müssen die Fans seit Monaten dennoch vergebens warten. Statt dessen spielt die Band immer und immer wieder das gleiche Programm herunter, das unter anderem alle bisherigen Singles beinhaltet. Damit geht man zwar gegenüber dem eher neutralen Publikum kaum ein Risiko ein, die eingefleischten Fans sehnen sich allerdings langsam aber sicher nach neuem Stoff. In Dour war die Stimmung an diesem Abend zwar nicht schlecht, aber abgesehen von Sängerin Sharon den Adel, die wie immer auf sympathische Art und Weise vollen Einsatz zeigte, schienen ihre Mitmusiker ihr Programm doch etwas zu routiniert abzuspulen. Within Temptation haben insgesamt wohl schon bessere Konzerte gegeben, wenngleich die letzte Headlinertour und die 2005er Festivals die Messlatte für Bandverhältnisse auch recht hoch gelegt haben.

Die Headlinerposition hatten an diesem Abend die Teufelscellisten von APOCALYPTICA inne. Wie immer hatte die Band auch an diesem Tag wieder den nur noch für Touraktivitäten zur Verfügung stehenden Antero Manninen (Silent Bob lässt grüßen) in ihren Reihen, genauso wie den begnadeten Schlagwerker Mikko Siren. Trotz eines schicken, treppenförmigen Bühnenaufbaus und einer tollen Lichtshow konnten die Finnen an diesem Tag nicht ganz an die Leistung der letztjährigen „Harmageddon Nights“ Tour, bei der sie von Bullet for my Valentine begleitet wurden, anknüpfen. Eicca Toppinen, der zumeist ohnehin eher knappe und für Finnen typisch zurückhaltende Ansagen macht, hielt sich spürbar zurück und legte nicht die gewohnte Spritzigkeit an den Tag. Einzig Frauenschwarm Perttu Kivilaakso schien in einigermaßen normaler Form zu sein. Zumindest ließen seine anstachelnden, meist geschrienen Ansagen darauf schließen. Doch auch im Blick des kleinen Cellisten war an diesem Abend nicht das gewohnte Feuer zu sehen. Glücklicherweise sind Apocalyptica eine Band, die auch an einem eher schlechten Tag noch fast jede andere Band in die Tasche steckt und somit muss man sich bei Stücken wie dem Metallica-Cover „Seek & Destroy“, „Betrayal“ oder „Somewhere around nothing“ um den Effekt keine Sorgen machen. Abgesehen davon wären die Mädels in der ersten Reihe auch ohne eine einzige gespielte Note und nur beim Anblick der Nordmänner in Verzückung geraten.

 

Apocalyptica Within Temptation

 

In Verzückung kann man auch angesichts des großzügigen Areals in Dour geraten. Besonders positiv für die zeltenden Besucher ist die Lage des Camping-Geländes, welches sich in unmittelbarer Nähe des Festivaleingangs befindet und zudem in wenigen Schritten Entfernung mit einem Supermarkt und einem Badesee lockt. Ein wenig vergleichbar mit dem Highfield Festival, das jährlich in der Nähe von Erfurt stattfindet. Dass auch in diesem Jahr über 120.000 Besucher an den 4 Festivaltagen zu Gast in Dour waren, spricht für den Ruf und das Ambiente dieses Festivals. Da kann man sich Anekdoten, wie etwa dass am Morgen der Eröffnung des Campingplatzes bereits 10.000 Menschen vor den Toren des Platzes sehnsüchtig warteten, eigentlich sparen. Bei rund 30.000 Besuchern pro Tag sollte man allerdings auch erwähnen, dass man in diesem Fall nicht von einer kleinen, überschaubaren oder gar familiären Atmosphäre sprechen kann.

Wer zuvor noch keinerlei Festivalerfahrungen im Ausland gesammelt hat, der sollte sich auf jeden Fall im Voraus über die Gepflogenheiten im jeweiligen Land (z.B. Verkehrsregelungen, Ladenöffnungszeiten, Verbote und Gebote etc.) informieren und natürlich zumindest dem Englischen einigermaßen mächtig sein, weil es sonst leicht zu Missverständnissen kommen kann. Eine Erfahrung sind die Festivals im europäischen Umland alle mal wert, denn jedes Land und jedes Festival kann mit einem eigenen Profil und einem eigenen Ambiente aufwarten. Dabei kann man vor allem Festival-Hoppern mit breitem Horizont und tolerantem Musikgeschmack zu einem Besuch auf dem Dour Festival raten, denn von Metal über Punk und Hardcore bis hin zu House und anspruchsvollem Pop ist hier alles vertreten. Genau so bunt wie das musikalische Programm ist hier übrigens ein ausgiebiger Blick ins Publikum. Gruftis feiern hier friedlich neben und vor allem MIT Ravern, Rockern und typischen Charthörern. Ein größeres Kompliment kann man einem Festival, das zudem großen Wert auf Recycling und Umweltschutz legt, eigentlich kaum machen.

Markus Rutten – www.sounds2move.de / 25.07.2006

 

! Achtung: Aus privaten Gründen konnten wir das Dour Festival nur am Freitag besuchen. Impressionen von den anderen Tagen findet ihr auf www.dourfestival.be/en !