Listening Session - Lacrimas Profundere "Songs for the last View"

Wir werden mit einem langsamen Intro beginnen und mit einem ruhigen Stück die Platte beenden, dazwischen wird es voll auf die 12 geben“, erläutert Gitarrist Oliver Nikolas, der knapp eine Stunde zuvor einen Auftritt in Würzburg über die Bühne gebracht hat. „Neulich kam mir nachts im Studio die Idee, dass der Kerl die ganze Platte über tot sein wird. Im Intro wirst du sein Leben hören, mit Babygeschrei, Kinderspielplatz, Lachen seiner Frau, das EKG ist die Musik dazu und es kommt immer wieder dieses tiefe Stöhnen bis zum Herzstillstand! Man hört immer wieder, dass vor dem Tod noch mal das Leben vor einem abläuft, dies wollten wir in diesem Intro darstellen. Dann geht’s auch gleich mit „A Pearl“ - übrigens unserem ersten Videoclip des Albums - in bester Lacrimas Tradition los! Die ganze Scheibe ist ein Konzept, alle Songs spiegeln einzelne Lebensabschnitte des Typen wieder. Da waren Parties, Liebesbriefe, Überfälle, Drogen und Beziehungsprobleme! Ja der Kerl hat sein Leben gelebt und wird am Ende der Platte am Schluss des Songs „A While“ auch wieder in eben jenes zurückgeholt. Zu diesem Konzept“, so Oli weiter „passt dann auch der Albumtitel ‚Songs for the last view“ perfekt, lässt der sympathische Trunkenbold wissen. Wobei noch erwähnt sein sollte, dass das 8. Album der Gothic Rocker weder sterbenslangweilig noch zu Tode erschreckend belanglos ausfallen wird. Mr. Schmid philosophiert: „Warum muss der Tod und das Sterben immer negativ aufgefasst werden? Vielleicht steigt im Jenseits jeden Tag eine riesige Party, bei der Jimmy Hendrix Gitarre spielt, man Marilyn Monroe auf dem Schoss sitzen hat und Harald Juhnke mit einem einen trinkt“.

So richtig schön Rock N Roll sind auch die Bedingungen, unter denen der Bandboss an diesem Abend einen ersten Eindruck vom kommenden Dreher seiner Band gewährt. „Weißt du was meine Jungs zu mir gesagt haben? Die haben mich für verrückt erklärt, weil ich dir heute diese Brocken vorspiele – und dann noch auf unserer schäbigen Anlage hier im Bus. Wenn’s hoch kommt hat der CD-Player 50 Euro gekostet“. Amüsiertes Lachen auf beiden Vordersitzen repräsentiert das Echo auf diese Aussage. Und trotzdem kann man es auch so sehen: Was unter diesen Widrigkeiten funktioniert, das macht auch später in seiner vollendeten Form garantiert klick. Denn die Liste an Makeln ist derzeit nicht gerade klein. Nur die wenigsten Stücke haben schon einen Namen, die Keyboards fehlen noch ganz und der Mix ist auch noch weit vom Endprodukt entfernt – ganz abgesehen von einer ungefähren Songreihenfolge. „Wenn es nach mir geht, dann mischt John Fryer die Gitarren noch weiter nach vorn, denn ich will ein möglichst metallisches Album. Aber ich denke, er wird es hier und da eher noch entschärfen“, spricht der Gitarrist. „Deshalb haben wir mit Masterdisk in den USA auch ein Masteringstudio gewählt, das den ganzen Gothic-Weichlern da draußen gehörig in den Allerwertesten treten wird“! Ebenso wurde unser Gesprächspartner nach eigener Aussage immer wieder dazu genötigt, die buntesten Soli einzuspielen, um dem Album eine rassige Rock N Roll Schlagseite zu verpassen. Entsprechend oft hört man das Instrument des braungebrannten Gitarristen während der Hörprobe aufheulen, stets begleitet von den unterhaltsamsten Anekdoten aus dem Studio, die euch an dieser Stelle aber aus Gründen der Diskretion und zum Fortbestand des guten Verhältnisses zwischen Musiker und Schreiber vorenthalten werden. Neben der vermehrten Präsenz der sechssaitigen Alleingänge muss definitiv die facettenreiche Stimme von Sänger Rob Vitacca gesondert erwähnt werden, da sich der Frauenschwarm nicht auf das genretyptische tiefe Stimmklangbild beschränkt, sondern auch mal in kratzige Regionen a la David Draiman vordringt. „Die ganzen Verzerrungen, das Brummen und Übersteuern, das du gerade hörst, werden wir übrigens drauflassen. Damit können wir die Stücke erstklassig ineinander übergehen lassen, unabhängig von der Reihenfolge. Die ist mir am Ende sowieso völlig wurscht, solang das Teil rockt“. Diesen Wunsch teilen sicher viele Fans, aber ob er in Erfüllung gehen wird, erfahrt ihr im Frühjahr 2008. Im November 2007 war man zumindest schon mal auf einem sehr guten Weg.

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

Höreindrücke „Songs for the last view“:

1.) „The Shadow I once kissed“ – Gleich die erste gehörte Nummer hat richtig Pfeffer im Refrain. Das Stück ist ausgestattet mit allgegenwärtigen weiblichen Backing-Vocals, die von einer Freundin der Band stammen. Die Gitarren haben Raum, um sich auszutoben – hoher Rock N Roll-Faktor.

2.) „The Beauty of who you are“ – Gedoppelte Gesangsspuren und verschiedene Effekte auf der Stimme von Neu-Sänger Rob Vitacca. Ein sehr stimmungsvolles und melancholisches Stück, in dem ein druckvolles Intermezzo für ein Zwischenhoch sorgt. Hier und da flammt die Gitarrenarbeit von Oliver Nikolas auf.

3.) „Dear Amy“ – Der „Disturbed-Song“ des Albums. Ein dreckiger und direkter Rocker, auf dem Roberto einen seiner großen Trümpfe ausspielen kann, nämlich sein enormes Gesangsspektrum, welches den Unterschied zum Gros der anderen Goth-Rock-Sänger macht. Im Mittelteil wird das Tempo zwischenzeitlich raus genommen. Gesanglich unerwartet, im Ganzen aber erstklassig aufgebaut.

4.) „A Pearl“ – Pfeifende und aufheulende Gitarren, dazu tiefe Vocals und hohes Tempo. Lacrimas Profundere in bester Tradition des Vorgängers „Filthy Notes“. Verehrte Heulsusenfraktion: So klingt Gothic Rock mit Eiern.

5.) „Sacrificial Lamb“ – Hier offeriert sich ein schwerer, zähflüssiger Gesamtsound. Wie gemacht für einen Hang-over Morgen nach einer Nacht im Zeichen von zu viel Rotwein. Traurig, melancholisch und besinnlich.

6.) „We shouldn’t be here“ – Die Gothen werden sich freuen: Zum Beginn setzt es erst mal ein paar Electro-Spielereien, bevor der Song sich in Richtung alter Him mit Vorliebe für kantige Gitarren entwickelt.

 

Link: www.lacrimas.com