"En Saga I Belgia" - oder: How to record a DVD

 

Das Unternehmen DVD-Show nimmt finalen Kurs. Hinter mir und meinen Kollegen, sowie vor allem der Schiffsbaucrew um Leebee Liebhauser liegen mehrere Wochen und Monate Vorbereitung auf dieses Show Event in Belgien. Vor uns liegt die bis dato größte Bühnenproduktion in der noch jungen aber ereignisreichen Bandgeschichte von Leaves Eyes. Vorfreude und Spannung sind groß.

 

17.10.2007

 

Nachdem ein 7,5 Tonner samt Leaves Eyes-Bühnenschiff bereits seit dem Vortag den Showort Wieze erreicht hat, sind heute 2 weitere Transporter mit Band, Crew und Equipment auf dem Weg in die geheiligten Oktoberhallen in Belgien. Last but not least machen auch Alex, Liv und ich mich kurz vor Mitternacht vom Mastersoundstudio aus auf den Weg ins belgische Hotel, wo wir gegen 5.30 morgens ankommen. Ich freue mich zu diesem Zeitpunkt noch auf eine kleine Mütze Schlaf, nicht ahnend, dass ich mich in den kommenden 3 Tagen wie ein Top-Groupie durch alle Hotelbetten schlafen und durchschlagen werde. An der Rezeption teilt man uns mit, dass es Probleme mit den Zimmerbuchungen gegeben hat. Alex und Liv bekommen ein neues Zimmer, während mir 3 Zimmerschlüssel in die Hand gedrückt werden mit dem segensreichen Zuspruch, dass irgendwo noch ein Platz für mich frei sein muss. So mache ich mich munter ans Werk im Hotel. Im 2. Stock angekommen öffne ich Zimmer 211 und durch den kleinen Ganglichtkegel kann ich im dunklen Zimmer unseren schwedischen Mixer samt Familie erkennen. Dieser dreht sich ringerkautschukartig auf dem Rücken liegend Richtung Eingangstür und entgegnet mir wie einem Einbrecher mit einem aggressiven schwedischen "Watt? Watt?". Beschämt lass ich ein stilles "Sorry" fallen und mache mich auf den Weg ins nächste Zimmer mit der Nummer 218... hier wird es noch Hitchcock-mäßiger: Ein alter Mann mit angstverzerrtem Gesicht sieht mich an, kurz vor dem Herzinfarkt stehend und in Gedanken sein letztes Stündlein habe geschlagen und erzählt mir irgendwas auf belgisch, holländisch oder was auch immer. Wieder suche ich das weite und komme schließlich im dritten Zimmer meiner Reise mit der Nummer 109 an. Hier treffe ich auf 4 schnarchende Menschleins der DVD-Filmcrew, aber auf kein freies Bett. Au Mann.. kann ich nich ma Glück haben und eine vollbusige Blondine liegt räkelnderweise aufm Bett während ich die Tür öffne? Wozu is man eigentlich Metal-Musiker??

 

Kurz vor 6 Uhr beschwere ich mich an der Rezeption aufgrund meiner drei unnützen Schlüssel und klingele bei Drummer Mo an. Dort ergattere ich noch einen nicht vorhandenen Mittenplatz neben Stagetech Björn und Drummer Mo. Nach ca. 1 Stunde klingelt am morgen der Wecker. Erst jetzt merke ich, dass ich im Prinzip in der Luft und nur mit beiden Schultern liegend, ansonsten freischwebend zwischen den 2 Mitstreitern kurz genächtigt habe. Die Knochen schmerzen, doch es hilft nix, wir müssen zur Halle, da der Soundcheck bereits heute über die Bühne gehen muss.

 


sounds2move-Kolumnist Tosso in seinem Element: Posen auf dem Metal Female Voices Fest V. Kameras halten jede Bewegung auf der Bühne fest
 

18.10.2007

 

Nach einer Stunde Schlaf erreiche ich im Kleinbus mit den Kollegen den Konzertort in Wieze. Das bereits aufgestellte Wikingerschiff wirkt selbst auf der Riesenbühne in der Oktoberhallen gigantisch und lässt mich die schmerzenden müden Glieder vergessen. Auch die Filmcrew ist bereits anwesend und checkt verschiedene Kamerapositionen, während Visual Master LeeBee einen Schreikrampf kriegt weil Stagehands ein schweineteures 25 Metervideokabel versehentlich platt walzen. Gegen Ende des Soundchecks rücken Crew und Band von Doro ein, die den heutigen Festival Warm Up-Tag headlinen werden. Ich spüre ein klein bisschen Stolz in mir, als die genannten Herr- und Damenschaften unseren Bühnenaufbau bewundern. Immerhin hatte ich mit 11 Jahren ein Doro Pesch-Poster in meinem Zimmer hängen und habe zu "Burning witches" Gitarre geübt. Nach dem Soundcheck und einigen Kameratests der Filmcrew ist endlich Zeit etwas Futter einzuwerfen. Im Cateringbereich gibt es für Vegetarier erstmal aber nur das belgische Nationalgericht Pommes bis irgendwann allerlei Leckereien serviert werden und parallel dazu auf der Bühne einige beachtlich guttural zu Werke gehende Female Fronted Bands performen. Aufgrund des Schlafmangels geht mir irgendwann etwas die Puste aus. Ich führe tranceartig  diverse Gespräche und habe bereits Mühe straighte Sätze zu formulieren und Augenringe wie Tom G. Warrior zu seinen besten "To Megatherion"-Zeiten. Letztlich komme ich gegen 20 Uhr todmüde im Hotel an. Dort wird mir versichert, dass nun alles geklärt sei mit den Zimmern und auch Tosso, der rote Baron und Ferrari, heute seinen wohlverdienten Schlaf finden soll, wobei mich die anschließende Szene wieder etwas verunsichert. Als Monitormischer TomTom  an der Rezeption nach seiner frisch zugeteilten Zimmernummer fragt, bekommt die Hoteldame eine Heulattacke??!! Mir aber egal.. ich will zu diesem Zeitpunkt einfach ein Bett, notfalls auch mit Norman Bates im Doppelzimmer. Ich werde in ein Zimmer mit der Filmcrew verwiesen und freue mich wie ein Schneekönig aufs Bett. Nach ein paar Minuten Tatort (ein hoch auf die ARD) entschlummere ich sanft, um aber kurz danach wieder geweckt zu werden. Vor mir stehen die 4 U40-Herren der Filmcrew, die mir erklären, dass auch in diesem Zimmer wieder alle Betten belegt sind. Es fällt mit schwer die Contenance zu wahren, aber es hilft nix. Ein erneuter Umzug in das Zimmer der Ü40 Abteilung der Filmcrew steht an. Zu diesem Zeitpunkt ist mein persönliches Hab und Gut auf mehrere Zimmer und ein Auto verteilt. Immerhin... im Ü40-Bereich, wo Diskussionsthemen wie Erkrankungen und Wehwehchens dominieren ist nun auch ein Bettlein für mich frei. Ich mache keine langen Umschweife und lege mich sofort zum Pennen ab und bleibe auch gelassen als 2 Stunden später neben mir ein Filmmensch zu schnarchen beginnt, als ob er sämtliche Baumbestände Belgiens abholzen möchte. Hauptsache Schlaf.

 


Feuer, Drachenschiff und Band auf der einen, 3.000 Fans auf der anderen Seite. Die Oktoberhalle in Wieze (B) in der Panorama-Ansicht.
 

19.10.2007

 

Ausgeschlafen und mit Frühstück im Bauch geht es auch am heutigen morgen nochmals früh zum Konzertort. Wir nutzen den frühen Morgen in der Halle für ein paar Closeup-Filmeinstellungen und Kamera- und Bühneneffektchecks, bevor es dann am frühen Nachmittag bereits mit der ersten Band losgeht. Anstatt den coolen Headlinergitarristen und Partylöwen zu markieren ziehe ich mich noch mal ins Hotel zurück, wo ich unsere finnischen Freunde von Battlelore in deren Zimmer kurz besuche. Die liegen 2 Stunden vor ihrer eigenen Show  noch in den Betten und haben noch nicht mal nen Plan wie sie zum Festival kommen... haha... chaotisch sympathisch. Ich ziehe mir zur Entspannung noch mal deutsches Fernsehen rein. Es läuft die Schwarzwaldklinik im ZDF. Professor Brinkmann ist nach Herzinfarkt in Amerika und steht kurz vor dem Seitensprung mit Hannelore Elsner.. ts ts...w enn das Gaby Dohm wüsste.

 

Gegen 16 Uhr mache ich mich mit Liv, Alex, Matze und dem amerikanischen Journalisten Bryan Reesman auf zum Konzertort. Es sind mittlerweile schon jede Menge Leute in der Halle, am Ende werden es 3.000 Nasen sein. Mir bleibt noch Zeit das Konzert unserer Freunde von Elis etwas zu begutachten. Es ist schön zu sehen, dass die sympathischen Schweizer / Liechtensteiner nach dem tragischen Tod von Sabine Dünser wieder nach vorne blicken können und mit Sängerin Sandra einen würdigen Ersatz für Sabine gefunden haben. Mit Stagetech Björn und Mixer Arnold vertreibe ich mir mit etwas Akkustikgitarrengeklimper noch die Zeit, Liv muss noch diverse Interviews hinter sich bringen und viele bekannte Gesichter und Freunde wünschen uns alles Gute für die Show.

 

Nach den Shows von Sirenia und Epica ist es dann soweit. Die Saga in Belgien kann beginnen. Kurz vor Showbeginn allerdings nochmals Aufregung. Gitarrenkollege Matzes Sound macht Nebengeräusche wie ein Dampschiff. Bei mir werden Erinnerungen wach ans Atrocity-Konzert auf dem Dynamo-Open-Air 1998 als Matzes Gitarrensound aufgrund von Stromproblemen zu zwei Dritteln der Show nur aus einem Brummton bestand. Doch sofort verwerfe ich den Gedanken, heute ist unser Tag und den lassen wir uns auch nicht versauen. Dann geht es los.. der Vorhang fällt und das "Vinland Saga"-Intro läutet die Show ein, begleitet von genialen Landschaftsaufnahmen auf einer riesigen Leinwand, die gleichzeitig das Schiffssegel verkörpert. Die Zuschauer bekommen nun zum ersten Mal das riesige 4 Meter hohe und 9 Meter lange Schiff zu Gesicht, auf dem die Band zu „Farewell Proud Men“ losrockt, umrahmt von ebenso gigantischen Pyrosäulen.

 

Die heutige komplette Bühnenproduktion hat immense Ausmaße. So ergeben sich auch für mich als Gitarristen einige Neuerungen zu einer herkömmlichen Clubshow. Insgesamt 60 Meter Midikabel und 4 Midifußschalter ermöglichen es mir und Kollege Matze sowohl auf dem Schiff wie auch an der Bühnenfront zwischen den typischen Leaves´ Eyes-Cleangitarrensounds und fetten Brettsounds umzuschalten. Ich und meine Kollegen bewegen uns heute noch etwas flotter als sonst auf der Bühne. Es soll schließlich nicht wie bei einer Schildkröte Minuten dauern, um von einer Bühnenseite auf die andere zu gelangen. Während der ganzen Show werden ohne Ende Pyros abgefeuert, was sich auf der Bühne anfühlt, als befände man sich mitten in einem Stellungskrieg. Alex "Der Herr des Feuers" Krull springt bei einem Song sogar direkt durch eine Feuersäule.. nicht ganz geplant, aber zumindest ohne schädliche Folgen, haha. Während des gitarrenfreien Intros zu "Into your light" habe ich erstmals die Möglichkeit die Bühne bei vollem Licht mit Schiff zu begutachten und bin schwer begeistert und würde eigentlich sehr gerne selber die Show angucken, haha, aber die Pflicht ruft und wir spielen uns durch die Highlights der beiden Leaves´ Eyes-Longplayer sowie der Legend-Land EP. Liv erscheint heute insgesamt in 4 verschiedenen Kleidern und Alex streift sich bei "Skraelings" gar eine kriegerische Komplett- Wikingermontour über. Bei "Leaves´ Eyes", der ultimativen Winterballade, werden die ersten Zuschauerreihen komplett in Schnee gehüllt. Geil!! Heute geht optisch einfach alles. An dieser Show hätte auch Bayerns König Ludwig eine helle Freude, haha. Die Show vergeht für mich tranceartig wie im Fluge. Elegy markiert den Schlusspunkt eines gigantischen Bühnenspektakels und wir verabschieden uns mehrere Minuten lang von den Fans, die im Bewusstsein heute eine ganz besondere Show gesehen zu haben uns überwältigend freundlich am Merchandisestand in Empfang nehmen. Schön, dass man Livekonzerte nicht einfach wie CDs "brennen" kann und solche besondere Konzertabende eine besondere Atmosphäre zwischen Band und Besuchern schafft.

 

 


Hatte in Wieze ihre Stimme und das Publikum fest im Griff: Leaves' Eyes-Sängerin Liv Kristine.
 

Erwähnenswert ist auch das internationale Besucherspektrum. Viele Freunde und Fans sind aus England, Frankreich oder sogar aus Amerika zu dieser Show angereist. Wahnsinn. Nach zahlreichen Begegnungen und Gesprächen fahren wir schließlich zu einer kleinen Aftershowparty ins Hotel zurück, wo ich mir unbekannterweise von ein paar lustigen, besoffenen Engländern einige Colas spendieren lasse. Battlelore-Bassist Timo hat mit seinem Mobiltelefon etwa zwei Drittel der Leaves´ Eyes Show aufgezeichnet und zeigt mir und Alex begeistert seine Aufnahmen, und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: Tomorrow you can find all this on YouTube. Haha... wehe!!! In den kommenden Wochen wird nun das filmische Rohmaterial gesichtet und aus sämtlichen Aufnahmen die Live-Show geschnitten, sodass "En Saga i Belgia" 2008 dann auch für alle anderen, die bei dieser Bühnenschlacht nicht dabei sein konnten, nacherlebbar werden wird.

 

Mein großer Dank und der meiner KollegInnen gilt nochmals der Bühnencrew, allen Helfern, sowie den Veranstaltern des Festivals, die alles menschenmögliche und Übermenschliches geleistet haben um diese Show wahr werden zu lassen.

 

Tosso - Leaves' Eyes / Atrocity

 

 

Fotos: Joost Willemse