Leaves' Eyes "Symphonies of the Night" (VÖ 15.11.) - Listening-Session

 

Zugegeben: Bei der Wahl des Titels schwingen Leaves' Eyes diesmal ziemlich die Klischeekeule. "Symphonies of the Night" ist sicher alles andere als ein exotischer oder gar extravaganter Name für ein Symphonic Metal Album. Aber Vorsicht, denn erstens geht der Kitschfaktor der Songs gegen Null, und zweitens haben wir es beim besten Willen nicht mit einem reinen Symphonic Metal-Langspieler von der imaginären Stange zu tun. Dafür sind die Arrangements zu zuckerfrei, die Orchester-Elemente viel zu wenig plakativ platziert, und auch die schon vor einiger Zeit Einzug gehaltenen Folklore-Einschübe sorgen vor allem für eine Kategorisierung: eigenständig.

 

Hell to the Heavens:

 

Eröffnet mit lieblicher Liv, Synthies und sanftem Geklimper. Dann schlägt die Gitarre zu und Alex Krull faucht "Hell to the Heavens". Dieser Auftakt kann kein Zufall sein, Leaves' Eyes haben sich die - wenn auch nur zarte - Kritik einiger Fans wohl zu Herzen genommen und lassen Meister Krull diesmal begrüßenswerterweise wieder einige Grunts beisteuern. Die Gitarre groovt trocken, und Liv zeigt direkt mal welche Höhen sie zu erreichen im Stande ist. Der Bombast wird nicht zu dick aufgetragen, dafür ist der Chorus dennoch recht episch und mehrstimmig geraten. Vielversprechender Auftakt mit marschierendem Groove - so darf es weiter gehen.

 

 

Fading Earth:

 

Beginnt mit gotischem Charme, ein Hauch von Paradise Lost umweht die Szenerie, bevor eine schön in Szene gesetzte Gitarre dazu stößt und den Weg frei macht für eine gefällige Gesangsmelodie, die Liv Kristine in recht ungewohnter Weise präsentiert, die man sonst etwa mit Tarja Turunen assoziieren würde. Eingängiges Stück aus der Kategorie "Nachts auf der Autobahn". Nicht hart, aber trotzdem ein Volltreffer.


Herr über Knöpfe und Grunts - Alex Krull im Kontrollraum des Mastersound Studios

 

 

Maid of Lorraine:

 

Eine einsame Violine sorgt für einen Hauch Folklore, wenn die komplette Bandbesetzung dazu kommt und das erste schöne Riff ausgepackt wird, ist es an der Zeit die Zügel etwas anzuziehen. Kein Wunder, dass wieder Alex Krull um die Ecke biegt und einen kurzen Anflug von Härte und Aggression einläutet. Mehrstimmige Intermezzi sorgen immer wieder für Dramatik, Livs klarer Sopran ist der Leuchtturm in dieser maßvoll mittelalterlich anmutenden Komposition, die vereinzelt an "Krabat" von ASP denken lässt. Mittendrin gibt es sogar einen Hauch von Geisterstunde, wenn für einen kurzen Moment ein schizophrenes Stimmengewirr für dezente Gruselfilm-Athmo sorgt. Dem setzt die Frontfrau höchstpersönlich die Krone auf, indem sie mit den letzten Tönen des Songs und unterstützt von einem clever gewählten Effekt aus dem Tagebuch der Hauptfigur zitiert. Über die Hintergrundgeschichte dieses Songs wird in unserem nachfolgenden Interview noch zu reden sein.

 

 

Galswintha:

 

Folklore samt Trommeln und Pfeifen zum Auftakt, und als man gerade damit rechnet womöglich ein reines Folk-Intermezzo serviert zu bekommen, nimmt "Galswintha" Fahrt auf. Die Trommeln werden von ratternden Drums, Riffs und Bombastchören abgelöst, während die "Flötenmelodie" von den Gitarren aufgegriffen wird. Wie der Titel bereits vermuten lässt, greift Sprachenwunder Liv Kristine einmal mehr in die Trickkiste - schnödes Standardenglisch kann schließlich jeder. Bemerkenswert gut gelingt es Leaves' Eyes hier, (irischen?) Folk mit kräftigem Breitband-Metal zu kombinieren und kinderleicht zwischen Durchschlagskraft und Verspieltheit hin und her zu tänzeln. Schon beim ersten Hören ein potentieller Volltreffer, bei dem auch die Grunts wieder nicht fehlen dürfen.

 

 

Symphony of the Night:

 

Der Titeltrack, dem naturgemäß eine besondere Aufmerksamkeit zu Teil wird, nimmt sich einfach mal ein paar Sekunden, um Spannung aufzubauen. Das kennen wir etwa schon von der einstigen Single "My Destiny" und es funktioniert auch im vorliegenden Fall. "Symphony of the Night" prescht nicht wild nach vorne, sondern setzt sich würdevoll und geschmeidig in Gang, um dann vom Midtempo getragen dahin zu gleiten. Liv Kristine serviert uns erneut astreinen Sopran und erklimmt alle Höhen mit Leichtigkeit, während die Drums für einen nie aufdringlichen Groove sorgen und das Ganze von einem standesgemäßen Bombast zusammengehalten wird, sodass dieser Fünfminüter angenehm im Ohr hängen bleibt. Ein würdiger Titeltrack.


Liv Kristine im Aufnahmeraum.
 

 

 

Saint Cecelia:

 

Spannender Einstieg mit recht simplen Mitteln, aber gefühlter Filmmusik-Schlagseite. Anstatt in die Vollen zu gehen, ertönt erst einmal wunderschöner gefühlvoll-trauriger Gesang mit Gänsehautpotential. Ist das hier wohl die erste waschechte Ballade des Albums? Ist es in der Tat und spätestes als gregorianische Chöre einsetzen und die Soundkulisse dezent anschwillt, hat man endgültig das Gefühl, sich in einem Kinoepos wieder zu finden, in dem sich die Krieger gerade von ihren Liebsten verabschieden, um in die Schlacht zu ziehen. Ein schöner Kontrastpunkt, der aber trotzdem zum bisherigen Rest der Platte passt.

 

 

Hymn to the Lone Sands:

 

Es bleibt erst einmal beschaulich, und zu sanftem Gitarrengeklimper frohlockt Liv Kristine in einer exotisch anmutenden Sprache. Nach einer Minute ist es dann aber doch gut mit der Zurückhaltung, und eine agile Leadgitarre stachelt eine metallische Eruption nach der anderen an. Die Schlagzahl erhöht sich, die Härte nimmt zu, Grunts und sägende Riffs sorgen für die nötige Wucht, während die Orchestrierung hektischer wird und die Double Bass rattert. Eine kleine orientalische Melodie darf nicht fehlen, bevor ein feines Gitarrensolo vom Stapel gelassen wird. Keine Frage: Hier darf gemosht werden, wir freuen uns auf die Live-Version!

 

 

Angel and the Ghost:

 

Weiter zu "Angel and the Ghost", das mit deutlich unter vier Minuten Single-Länge aufweist. Auch das gefällige Midtempo macht aus diesem Song eine potentielle Auskopplung, woran auch die bei Singles traditionell gern ausgesparten harschen männlichen Vocals nicht rütteln können. Und da sind ja auch wieder die gedoppelten "Geisterstimmen" (siehe "Maid of Lorraine") von Liv, vorgetragen im Tonfall des klassischen Oxford-English. Noch ein kurzes, aber geschmackvolles Solo oben drauf und fertig ist der nächste kleine Hit.

 

 

Eleonore de Provence:

 

"Eleonore de Provonce" erntet vom Start weg zustimmendes Kopfnicken, denn der Einstand gestaltet sich vielversprechend. Härte, Tempo, Gefühl - Leaves' Eyes lassen keine Wünsche offen und garnieren dieses Stück zu allem Überfluss auch noch mit einem sehr eingängigen Refrain. Das nennt man dann wohl "seine Trümpfe ausspielen" und genau das tun die Schwaben auch. Alte und neue Fans finden hier gleichermaßen ihr Glück. Eines der Highlights des Albums. Wo war noch die Repeat-Taste?

 

 

Nightshade:

 

Getragener Auftakt, es geht balladesk zu, und nach kurzer Zeit gesellt sich ein exotisches Zupfinstrument zu Gesang und Keyboard. Die Nummer macht ihrem Namen jedenfalls alle Ehre und kommt sehr ruhig und besinnlich daher, selbst wenn es hinten raus noch einen leichten Anstieg zu vermelden gibt. Eine letzte Verschnaufpause vor dem letzten Akt, wenn man so will.

 

Ophelia:

 

Der folgt auf dem Fuße in Form von "Ophelia". Leaves' Eyes wollen sich offenbar nicht auf leisen Sohlen verabschieden - recht so. Stattdessen macht dieser angenehme Midtempo-Rocker den Sack zu, der über weite Strecken nicht sonderlich hart, dafür aber umso stimmungsvoller ist. Den Höhepunkt darf ein leckeres Gitarrensolo setzen, bevor Sänger und Produzent Alex Krull ein weiteres mal dazwischen faucht und man sich im stimmlichen Wechselspiel langsam zum Finale aufschaukelt.

 


Leaves' Eyes "Symphonies of the Night"
(VÖ 15.11.2013)

Insgesamt bleiben die Schwaben der grundsätzlichen Rezeption des gesamten Albums treu und lassen sich selbst für das Finale nicht zu übertriebenem Pathos oder einem bombastischen Overkill hinreißen, sondern bleiben lieber bei ihrer songschreiberischen Reife und Unaufgeregtheit. "Symphonies of the Night" ist ein reifes, im positiven Sinne souveränes und abgeklärtes Stück Musik geworden, mit dem Leaves' Eyes wohl endgültig ihre eigene Nische geschaffen haben. Schon der erste Eindruck lässt erkennen, dass das hier Hand und Fuß hat, neben bekannten Elementen aber auch die nötige Frische nicht zu kurz kommt. So in etwa hatte man sich einen Mittelweg aus dem Vorgänger „Meredead“ und den Großtaten der ersten Alben erhofft. Mehr zum fünften Album von Leaves' Eyes in unserem Interview und natürlich dem Review zur Platte.

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de

 

 

Link: www.leaveseyes.de