Zeraphine „Still“/ VÖ 30.06.2006

Oder: Mit Traditionen brechen und den eigenen Weg doch konsequent weitergehen.
So ließe sich sicher am besten die Arbeit zum neuen, vierten Album „still“ von Zeraphine beschreiben. Denn nachdem der Plattenvertrag nach dem letzten und äußerst erfolgreichen Album „blind camera“ ausgelaufen war, lockten zahlreiche Major Companys mit neuen Kontrakten. Doch Zeraphine taten das, was für manchen Musiker der nach der großen kommerziellen Karriere strebt unverständlich, für sie aber der einzig logisch und konsequente Weg ihrer bisherigen Arbeit war: Zusammen mit Produzent Thommy Hein gründeten sie die Plattenfirma Phonyx, um musikalisch auch künftig 100 Prozent eigenständig zu bleiben.
Darüber hinaus führten die Aufnahmen von „still“ zum Bruch mit einer bis dato bewährten Tradition: Statt sich wie bislang zu den Aufnahmen auf einen alten, abgelegenen Bauernhof im Spreewald zurückzuziehen, quartierte sich die Band für zwei Wochen in den Studios von Thommy Hein ein. Das Ergebnis dieser Jamsession ist auf „still“, dem mittlerweile vierten Album von Zeraphine, nicht zu überhören. Ohne sich musikalisch auf komplett neuem Territorium zu bewegen, klingt „still“ insgesamt rauer und organischer als noch der Vorgänger „blind camera“. Statt einzelner Liedspuren, die am Computer zusammengesetzt wurden, gibt es echte Liveaufnahmen, griffige Gitarren, melancholische und harmonische Gitarrenläufe – ein abwechslungsreiches, kantiges Album also, musikalisch angesiedelt zwischen klassischem Gothic Rock und moderner Alternative Musik.

Ihrer Linie, mit ihrer Musik Emotionen zu transportieren, sind Zerpahine auch auf „still“ treu geblieben. Wieder gibt es deutsche und englische Texte und bereits der Albumtitel, der deutsch oder englisch interpretiert werden kann, deutet diese Ebene an: Das zusammenhaltende Gerüst auch der neuen Songs sind Gefühle. Und bekanntlich haben die ja keine Sprache. Mit einem frischen, rauen Charme und dennoch in jedem Song komplex und individuell, erschließt sich „still“ wie auch die drei Vorgängeralben erst nach mehrmaligem Hören ganz. Zeraphine eben.

Und die Songs? Der Titeltrack „still“ ist ein melodisch-kantiger Rocksong mit einer eingängiger Melodie, „Halbes Ende“ wartet mit einer wunderschön-melancholischen Klaviermelodie auf, während der äußerst eingängigen Refrain dagegen „State Of The Moment“ zum absoluten Ohrwurm macht. Beim anfangs bedächtig rockigem „Since We're Falling“ entladen sich zum Ende abrupt Gesang und Instrumente, „Inside Your Arms“ überrascht durch die verzerrte Stimme von Sänger Sven Friedrich, der auf „Nur ein Tag“ und „Toxic Skies“ sein gewaltiges stimmliches Potential zeigt.

Die Kunst, Neues zu schaffen ohne den eigenen Weg komplett zu verlassen, ist Zeraphine mit „still“ eindrucksvoll gelungen. Die Liveatmosphäre der Aufnahme ist den Songs deutlich anzuhören: sie sind rockig, eingängig, hier und da auch mal kantig. Auf die Livepräsentation der neuen Songs darf man sich wahrlich schon heute freuen.

Christine Schams - www.sounds2move.de / 17.06.2006