Weto "Das Zweite Ich" / VÖ 24.11.2006

Ich kann mich noch gut an das Jahr 2003 erinnern, als Subway to Sally mit "Engelskrieger" ein höchst umstrittenes Album auf den Markt brachten. Spaltete die Band damit ihre Fangemeinde doch in zwei Lager, in das eine, das dieses Album mochte und jenes andere, das es nicht mochten. Wobei meine Wenigkeit zu ersten Fraktion gehörte bzw. ich "Engelskrieger" auch noch heute sehr zu schätzen weiß, was vor allem daran liegt, dass darauf in poetischen und nie kitschigen Texten reale und aktuelle Probleme behandelt werden. Von daher war es für mich eine umso freudigere Überraschung als ich feststellte, dass Weto auf ihrem mit "Das Zweite Ich" betiteltem Werk einen ganz ähnlichen Weg einschlagen.

Weto, das sind die Schandmaul-Gefährten Thomas Lindner (Gesang), Martin Duckstein (Gitarre), Matthias Richter (Bass) und Stefan Brunner (Schlagzeug), wie auch Regicide Keyboarder Heiner Jaspers, die mit "Das Zweite Ich" ihren Einstand unter diesem Bandnamen feiern. Jedoch handelt es sich bei Weto nicht um ein Nebenprojekt aus dem Hause Schandmaul, sondern es verhält sich eher umgekehrt, war ursprünglich Schandmaul das Neben- und Weto das Hauptprojekt. Doch wie wir alle wissen ist es anders gekommen und so findet sich Weto nun im übermächtigen Schatten des Schandmaul Ausstoßes wieder. Wobei man schon nach dem ersten Hördurchgang feststellen wird, dass auf "Das Zweite Ich" eine komplett andere Art von Musik geboten wird als es bei Schandmaul der Fall ist. Haben sich Weto doch ganz und gar der Realität verschrieben, werden keine verträumten Märchengeschichten zum Besten gegeben, sondern die düstere Seite des menschlichen Seins beleuchtet. So werden unter anderem die Qualen einer vergewaltigten Frau ("Tief"), die Emotionen eines Mannes, der seine Frau umbringt ("Wieder allein"), die Probleme eines Heroinabhängigen ("Flucht"), eine Beziehung, die einem Menschen jede Kraft raubt ("Ein Lächeln lang") oder auch krankhafte Depressionen ("Irrlicht") auf diesem Album thematisiert. Dabei wird sich einer anspruchsvollen lyrischen Umsetzung bedient die lobenderweise nie plakativ oder oberflächlich ausfällt, sondern dank einer überlegten Formulierung bis zum Kern der jeweiligen Problematik vordringt. Thomas Lindner verleiht mit seiner warmen und ausdrucksstarken Sangesstimme den Songs die nötige Glaubwürdigkeit, wobei er gleichzeitig auch härter Gesangsnuancen offenbart, die man in solch einer Art von ihm bei Schandmaul noch nie zu hören bekommen hat. Somit liefert Herr Lindner auf "Das Zweite Ich" seine bisher beste und variabelste Gesangsleistung ab, da er auf der einen Seite sanft und emotional ergreifend ("Irrlicht") und dann wieder dämonisch und unheilschwanger ("Wieder allein") erklingt. Aber auch die musikalische Umsetzung kann auf ganzer Linie überzeugen, da trotz des inhaltlichen Anspruches die Gitarren teils ganz schön krachen und sich auch so manche eingängige Melodie ins Gehör einschmeichelt.

Für mich persönlich ist "Das Zweite Ich" das "Engelskrieger" Album 2006, was in diesem Zusammenhang als großes Lob verstanden werden kann. Hat mich "Engelskrieger" in seinem Erscheinungsjahr doch über Monate hinweg nicht mehr losgelassen, was nun wohl auch bei "Das Zweite Ich" der Fall sein wird. Denn Weto liefern ein ehrlicher und auffühlendes Album ab, das den Hörer nicht nur unterhält, sondern auch zum mitdenken anregt. Und so was ist heutzutage leider keine Selbstverständlichkeit mehr, womit ich an dieser Stelle vor Weto und deren Leistung den Hut ziehen möchte. Oder um mich abschließend nun Kurzzufassen: "Das Zweite Ich" ist das beste Deutschsprachige Album 2006!

Nando Rohner – www.sounds2move.de / 23.11.2006