Visions of Atlantis "Ethera" / VÖ 22.03.2013
"Ethera"
ist der Beweis, dass Visions of Atlantis den Absprung geschafft haben.
Als vor einigen Jahren hysterisch alles gesigned wurde, was episch
klingt und eine Dame am Gesang hat, hatten die Österreicher nicht nur
schon längst ihr Debüt "Eternal endless Infinity" draußen und damit
ihre Daseinsberechtigung längst erhalten. Sie haben auch – O.K., nicht
ganz freiwillig, aber man muss auch mal Glück haben - Abstand vom weit
verbreiteten Sopran genommen, während zig andere Bands mit Schema F
sehenden Auges in den Abgrund geritten sind. Ein Glücksfall, denn wer
nicht an der Spitze steht oder auch ein härteres Publikum bedient
(Epica), ist in den meisten Fällen bereits wieder von der Bildfläche
verschwunden.
Doch natürlich ist die aktuelle Frontfrau Maxi Nil auch deshalb eine
Bereicherung für die Band, weil sie einfach eine gute Stimme hat und
dem bandeigenen Sound durch ihren rockigen Unterton frischen Wind
verpasst. Welche Auswirkungen diese griechische Frischzellenkur mit
sich bringt, wird dabei erst auf "Ethera" so richtig deutlich. Wo
"Delta" noch stärker nach seinen Vorgängern klang, macht man sich nun
deutlich zu neuen Ufern auf. "Burden of Divinity" verdeutlich dies mit
am besten, klingt der Song doch überraschend modern. Auch verzetteln
sich Visions of Atlantis nie mit zu komplexen und ausladenden
Arrangements, was besonders den Stücken entgegen kommt, bei denen Maxi
Nil mit Nachdruck zeigt, dass sie stimmlich Feuer im Hintern hat
("Hypnotized"). Überhaupt hinterlässt diese Platte einen weniger
symphonischen Eindruck als man es erwartet hätte, was zur Folge hat,
dass vom süßlichen Kitsch der ersten beiden Alben fast gar nichts mehr
geblieben ist. Eigentlich schade, denn das hatte irgendwie Charme. Sei
es drum, der Blick soll nach vorne gehen, und auch die modernen VoA
wissen durchaus zu gefallen, beispielsweise mit dem flotten Stampfer
"Aeon 19th". Auch die Power Ballade "Vicious Circle", bei der Sänger
Mario Plank scheinbar ein Auge auf den nicht zu kopierenden Tom Englund
geworfen hat, wird ihr Publikum finden. Eine Liebe auf den ersten Blick
ist "Ethera" dennoch nicht, weil das Material häufig einfach nicht
zwingend genug ist, um aus dem Stand für die ganz große Begeisterung zu
sorgen. Mit jedem weiteren Durchlauf verflüchtigt sich dieser Eindruck
erfreulicherweise etwas, wodurch die Platte dennoch nicht zum künftigen
Referenzwerk der österreichisch-griechischen Musikergemeinschaft wird.
Klar passt die rockigere Ausrichtung super zur weiblichen Stimme, aber
für etwas mehr Bums wäre sicher noch Platz gewesen (siehe "Delta").
Aber man sollte nicht zu streng sein, denn hätte man sich nur selbst
kopiert, hätten auch wieder alle gemeckert. Visions of Atlantis
scheinen sich eine kleine Selbstfindungsphase zu gönnen, die man ihnen
zugestehen sollten. Zumal "Ethera" nun wirklich kein schlechtes Album
ist.
Markus Rutten - www.sounds2move.de