V.A. "25 Years louder than Hell - The W:O:A Documentary" / VÖ 26.06.2015

 

 

Seien wir mal ganz ehrlich: Kaum eine Geschichte rund um den Metal und seine großen und kleinen Institutionen und Besonderheiten wurde so oft analysiert, nacherzählt und wiedergekaut wie die rund um das Wacken Open Air. Ja, da treffen sich einmal im Jahr 100.000 vermeintlich böse, schwarz gekleidete Männer und Frauen, um auf einem Acker die schleswig-holsteinische Kuh fliegen zu lassen. Für "Informationsformate" wie RTL Aktuell oder die (frei nach Farin Urlaub) "Angst-Hass-Titten"-Bild gibt es noch dazu zig Freiwillige, die sich enthemmt in Matschpfützen suhlen, während im Hintergrund irgendein selbsternannter Spaßvogel im Häschenkostüm (der Selfie-Stick unter den Festivalbesuchern) "Wackööön" brüllt. So weit so bekannt. Nach u.a. "Full Metal Village" nun also der nächste multimediale Rückblick, diesmal anlässlich des 25. Geburtstags.

 

Ohne Zweifel ist Wacken etwas Besonderes, eine Institution und ein echtes Original. Vor allem aber ist Wacken seit mindestens zehn Jahren auch ein verdammt gutes Geschäft für die Veranstalter, die mittlerweile nicht mal mehr irgendeine Band bestätigen müssen, um den Laden binnen Stunden auszuverkaufen. Das war Anfang der 90er noch anders, als das Festival in der längst zur Folklore gewordenen "Kuhle" begann, die heute nur noch als Backstage- und Dressing-Bereich für die Bands dient. Damals kamen nur ein paar Hundert Nasen, laut eigener Aussage machten die Veranstalter bei einer frühen Auflage gar satte 300.000 DM Verlust. Heute undenkbar, denn allein die Summe, die mit Festivalshirts und dem ungezählten weiteren Merchandise eingenommen wird, dürfte deutlich höher sein. Allerdings werden aktuelle Zahlen und Gewinnmargen verständlicherweise nicht präsentiert.

 

Zweifelsohne lebt Wacken maßgeblich vom eigenen Mythos, und obwohl man viele Geschichten schon kennt und/oder sogar hier und da live dabei war, erzählt "25 Years louder than Hell" das alles noch mal in einer launigen, kurzweiligen Form und nach Dekaden sortiert. Dabei gibt es so viel zu staunen und auch einige Schenkelklopfer, dass man sich gleich mehrfach fragt, wo eigentlich die Zeit geblieben ist. Schöne Momente erlebt man zum Beispiel dann, wenn zwischen aktuellem und betagtem Interview-Material hin- und hergewechselt wird. So auch im Falle von Tobias Sammet (Edguy, Avantasia), wobei dessen vielleicht spektakulärster Einlauf aller Zeiten auf dieser DVD sogar fehlt, nämlich der von 2005 als Edguy per Helikopter direkt von der vollgesperrten A7 hinter die Hauptbühne geflogen wurden, um den Auftritt nicht absagen zu müssen. Aus dem gleichen Jahr fehlt auch die legendäre Funeral-Show der finnischen Gothic Metaller Sentenced, vor allem der surreale Moment als es zum Intro "Where Waters fall frozen" mitten in der Nacht für einen kurzen Moment doch tatsächlich angefangen hat, eisig zu regnen. Man kann eben nicht alle Geschichten erzählen und widmet sich somit lieber anderen Momenten, die im Gedächtnis geblieben sind. Man denke nur an die ziemlich legendäre Mayhem Show mit einem einen abgefackelten Schweinekopf ins Publikum werfenden und sich selbst aufschlitzenden und wenig später zusammenklappenden Maniac, was die Veteranen aus der W:O:A Crew sich heute noch in amüsierter Runde und breit grinsend erzählen. Als Pressevertreter erinnert man sich außerdem daran wie Maniac mit dick verbundenem Arm später am Abend im Backstagebereich gesichtet wurde. Gaahl hingegen schlich eher wie ein hagerer, kaum wahrnehmbarer Geist durch den Pressebereich, bevor er 2008 spät nachts das "Revival" der nicht minder sagenhaften Polen-Show von Gorgoroth auf die Wacken-Bretter brachte - stilecht mit nackten Gekreuzigten und aufgepfählten Schafsköpfen. Da können nicht mal die Scorpions mit ihrem hydraulischen Skorpion mithalten (2006), deren Auftritt bei den Besuchern übrigens weitaus zwiegespaltener aufgenommen wurde als es in dieser Doku dargestellt wird.

 

Überhaupt ist "25 Years louder than Hell" natürlich zu einem nicht ganz unwesentlichen Teil eine Selbstbeweihräucherung, in deren Rahmen weder das Wetterchaos 2002, noch der desaströse Slayer-Auftritt im Jahr danach und schon gar nicht die potentielle Massenpanik vor dem Auftritt von Iron Maiden 2008 thematisiert werden, als vom Eingang her tausende Fans zur True Stage strömten, während von der Seite nicht weniger Metalheads versuchten nach der Leaves' Eyes-Show ebenfalls in Richtung Hauptbühne zu gelangen. Die Nummer hätte kräftig ins Auge gehen können, die Veranstalter haben aber zumindest ihre Lehren aus den Vorfällen gezogen, das Gelände danach neu strukturiert und an den Eingängen ein Ampelsystem installiert. Ebenfalls nicht ins Bild der ultimativen Metalsause passen der beim Publikum auf völlige Ablehnung stoßende Casting-Rocker Martin Kesici, der einst als "Surprise Act" mit völliger Ignoranz gestraft wurde, und auch die ziemlich grandios gescheiterten Schwester-Festivals "Wacken rocks South", "Wacken rocks Seaside" und "Wacken rocks Berlin" wurden galant unter den Tisch fallen gelassen. Im Gegenzug gibt es aber auch viel Schönes und Interessantes zu sehen: Saxons Generalprobe in einer nahe gelegenen Lagerscheune, Immortal im hinlänglich bekannten Panda-Look (übrigens die Helden der Outtakes von "25 Years louder than Hell"!) und den totalen Abriss mit In Flames und die Circlepits um den FOH-Tower bei Heaven Shall Burn (siehe "Bildersturm" DVD). Die Lacher auf seiner Seite hat der Kollege der semi-populären 5th Avenue für seine Geschichte, wie er einst nachts im bierseligen Zustand das private Dixie von Doro Pesch entweiht hat - Mecker von Eckhardt inklusive. Dass die Porno-Rocker Rockbitch keinen Platz in dieser Doku bekommen haben, wird wohl sowohl Zustimmung als auch Enttäuschung ernten. Eine Winzigkeit Sex darf es dann doch noch sein, allerdings geht die etwas mehr in Richtung Realsatire, denn die Jungs, die bei der Campingplatzbegehung unten ohne durch ihr kleines Camp tanzen, haben vor allem die Lacher auf ihrer Seite und glänzen weniger mit echtem Sexappeal (no offense!). Zum Ende hin, wenn es um das aktuelle Jahrzehnt geht, wird auch noch schnell das "neue" Drumherum abgefrühstückt, das vielen alteingesessenen Wackengängern ein Dorn im Auge ist: der Kirmesfaktor. Wrestling, Bullenreiten und so weiter gefallen bei weitem nicht jedem, auch wenn die interviewten Besucher aus aller Herren Länder (Chile, Mexiko, Indien, Norwegen...) mit leuchtenden Augen von ihren schönsten Wacken-Erlebnissen erzählen. Denn auch die gibt es zu Hauf, egal woher die Besucher auch immer kommen mögen, die Jahr für Jahr extrem umgänglich und friedlich miteinander Europas größtes Heavy-Event nach allen Regeln der Kunst abfeiern. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass die Veranstalter Fingerspitzengefühl beweisen und dafür sorgen, dass die ganze Nummer nicht überdreht und es wieder ein bisschen mehr um die Musik geht. Wacken-Jünger, die auf all zu kritische Zwischenrufe verzichten können und eine in jedem Fall sehenswerte Geschichtsstunde rund um ihr Lieblingsfestival zur Einstimmung auf das erste August-Wochenende suchen, finden bei "25 Years louder than Hell" garantiert ihr Glück. Happy Birthday, Wacken!

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de