Tristania “Rubicon“ / VÖ 27.08.2010

 

 

Es fällt nicht leicht, objektiv zu bleiben, wenn sich eine der absoluten Lieblingsbands nach und nach selbst demontiert. Gehören die ersten drei Tristania-Alben noch immer zu meinen absoluten Favoriten im Düster-Metal-Sektor, so begann der schleichende Niedergang der Band bereits vor zehn Jahren mit dem Ausstieg von Hauptsongwriter Morten Veland. Zwar ist das ohne Veland veröffentlichte „World of Glass“ das meiner Meinung nach beste Tristania-Album, doch ging es danach steil bergab. Dem noch mit einigen Höhepunkten versehenen „Ashes“ (2005) folgte 2007 das sehr durchwachsene „Illumination“, das eigentlich nur noch durch Vibeke Stenes und Østen Bergøys Ausnahmestimmen über dem Strich gehalten wurde. Mit der Nachricht von Vibekes Ausstieg 2007 hatte ich die Band dann folgerichtig abgeschrieben. Ein hundsmiserabler Auftritt auf dem letztjährigen Wacken Open Air untermauerte meinen Eindruck. Mit der Ankündigung des neuen Albums „Rubicon“ platzte dann die nächste Hiobsbotschaft ins Haus. Auch Østen Bergøy hat die Band aus familiären Gründen verlassen und wurde durch den von mir wenig geschätzten ehemaligen Trail of Tears Sänger Kjetil Nordhus ersetzt. Auf dem vorliegenden Album sind aber noch beide Sänger zu hören.

 

Womit wir beim eigentlichen Thema wären. Denn ursprünglich sollte dies hier kein Nachruf sondern eine Plattenkritik werden. Dementsprechend habe ich mich pflichtbewusst und so objektiv wie nach den vorgenannten Gründen möglich mit „Rubicon“ beschäftigt. Und um ehrlich zu sein, ist das sechste Langwerk der Norweger gar nicht mal so schlecht, vom kompositorischen Standpunkt wahrscheinlich sogar das beste Album seit „World of Glass“. Vor allem Abwechslung wird groß geschrieben. Dadurch dass vier verschiedene Sänger (inklusive Sängerin) zum Einsatz kommen, und diese sich zudem sehr variabel ausdrücken, ist die Spannbreite der unterschiedlichen Stimmungen recht weit. Auch stilistisch gibt es neben den typischen Gothic-Akzenten, insbesondere der zurückgekehrte Geiger Pete Johansen sorgt für Farbtupfer, einige Neuerungen. So hab ich deutliche True-Metal-Einflüsse ausgemacht („Patriot Games“, „Magical Fix“) und Alternative Klänge vernommen („Vulture“ mit Ministry-Gedächtnis-Shouts). Nach mehrmaligem Konsum setzen sich einige Songs sogar nachhaltig in den Gehörgängen fest, und mit „Illumination“ schließt das Album mit einem richtigen kleinen Tristania-Epos ab. Das täuscht natürlich nicht darüber hinweg, dass Neu-Sängerin Mariangela Demurtas nicht nur optisch sondern auch stimmlich Vibeke Stene keinesfalls ersetzen kann. Und dass die gesanglichen Höhepunkte auf „Rubicon“ zum Großteil vom ausgestiegenen Østen Bergøy kommen, macht auch nicht viel Mut für die Zukunft. Doch für den Moment muss man sagen, dass „Rubicon“ durchaus ein hörbares Album ist, das unvoreingenommene (Gothic)-Metal-Fans eventuell sogar richtig gut finden könnten.

 

Alexander Dontscheff - www.sounds2move.de / 30.08.2010