Thyrfing „Hels Vite“ / VÖ 24.10.2008

 

 

 

Thyrfing mit Ex-Nagelfar Jens Rydén?  Eine gewöhnungsbedürftige Vorstellung, nicht, weil ich Rydén nicht schätzte, im Gegenteil. Nur passte Thomas Väänänens Gesang so gut zu der veränderten, harschen, kratzigen, nüchteren, dunklen Ausrichtung der letzten zwei Thyrfing -Alben. Allerdings hatte ja auch ein Gitarrist die Band verlassen; so war ein anderer Sound ohnehin zu erwarten. Oder? Bandleader Patrik Lindgren hatte zuletzt den Sound seiner Kombo, der früher ja mal sehr fanfarenhaft, opulent und mit einigem Bombast angereichert war, mehr und mehr "entkleidet". Würde das nun auf dem 2008'er Opus "Hels Vite" seine Fortführung erfahren?

 

"En Sista Litania" eröffnet, wie stets bei Thyrfing, in schleppendem Midtempo. Rydén intoniert heiser, bringt sogar seine berüchtigten, zuletzt auf Naglfars Debut "Vittra" gehörten Stimmenüberschläge, voller panischer Verzweiflung, Schmerz, Hoffnungslosigkeit. Akustische Gitarren, sanfte Keys und rauschende Gitarrenleads treiben den hymnischen Song vorwärts. Traurigkeit, Melancholie, Einsamkeit auch in "Från Stormens Öga". Ich zitiere einen Kollegen, welcher äußerte "das erinnert dann eher an das stille Niederbrennen eines geplünderten Dorfes als an Lagerfeuerromantik". Das trifft es. Denn freudige Momente scheinen Vergangenheit; es wird getrauert. Geplündert und geraubt haben andere. Es ist die Situation nach dem Kampf. Nach dem Verlust. Doch Thyrfing wären nicht Thyrfing, wenn sie im vorherrschenden Dunkel nicht durch folkloristische Einschübe, welche nüchtern und keineswegs führend platziert werden (im Gegensatz zu Finntroll z.B.) immer wieder musikalische Lichtpunkte setzen würden: der Chorus von "Från Stormens Öga" lässt  Sternschnuppen regnen, es ist September und wir dürfen uns etwas wünschen... Der Beginn von "Isolation" spielt zunächst deutlich mit Borknagar-Melodien. Thyrfing hadern wütend mit der Leere totaler Abgeschiedenheit. Die klassische Untermalung (äußerst gut produziert, mit effektivem Strich, gleichberechtigt, integriert und nicht daneben herlaufend) unterstreicht das harsch-hypnotische des Tracks. Nach beinahe moderner Eröffnung mit Querverweisen zu Amorphis bedient sich "Hels Vite" danach stark des typischen Grooves und Songaufbaus von Moonsorrow; da ist es wohl müßig zu erwähnen, dass alle Songs auf dieser CD Überlänge haben: so kann sich die Atmosphäre passend entfalten. Unglaublich fesselnd, dieses marschierende Tempo, diese sich vor dem Hörer mehr und mehr zurückziehende Landschaft. Irgendwie werden wir in den Mittelpunkt des Maelstroms gesogen. Die klaren Hintergrundchöre tönen heroisch; das spinnettartige Break lässt uns kurz innehalten. Die spärlichen, aber großartig komponierten niemals auf simplen, dennoch eingängigen Akkorden basierenden Melodien waren die Stärke im Soundgeäst von "Farsotstider"; hier sind sie es auch.

 

Auch "Griftefrid" wartet mit klassischer Unterstützung auf. Rydéns Charisma kann Väänänen gut ersetzen. Vielleicht sind Thyrfing ein klein wenig melodischer und hymnischer geworden. Die Klargesänge sitzen felsenfest; auf diesen transparent gesungenen Tonleitern könnte man den Felsgrat angstfrei und ohne Schwindel ersteigen. "Becoming The Eye" kündet uns von den vier Winden. Pustebäckchen und "Grandpa, Tell Me A Story" sind hier Fehlanzeige. Wir sind nicht in Disneyland. Sondern im Zelt unter dem Felsvorsprung: der Wind greift an und Walmart-Felle helfen da keinesfalls. Nun, wir haben alles Nötige dabei. Dieser Rhythmus, er ist packend, wir sind jung, stark, können Bäume versetzen. Und am Ende sitzen wir doch noch am Lagerfeuer, der Nordwind ist unser Freund, er sorgt für lodernde Flammen. "Tre Vintrar – Två Solar" gerät karstig, dornig, Rydén intoniert leidenschaftlich narrativ. Eine solch gute, facettenreiche herbstlich schimmernde CD von solch farbiger Pracht habe ich lange nicht gehört. Wie sagte ein alter Geist so schön: "Die Methörner geleert zeigen Thyrfing dem Rest, wo das Schwert hängt." Dem ist nichts hinzuzufügen. 

 

ME – www.sounds2move.de  / 22.10.2008