Tarja "Colours in the Dark" / VÖ 30.08.2013

 

 

Auch wenn man sich vor der Veröffentlichung von Tarjas Solodebüt "My Winter Storm" häufig die Frage gestellt hat, wie die Finnin wohl als Solokünstlerin zurecht kommen würde. Mittlerweile kann man beruhigt sagen: ziemlich gut. Ja sogar mit einer Souveränität, die man nicht zwangsläufig erwartet hatte. Klar lässt sich die Frau mit der Ausnahmestimme kompositorisch auch mal unter die Arme greifen, aber auch nur, wenn das Ergebnis auch tatsächlich und vollständig zu ihr passt und aus einem Song ihr Song geworden ist.

 

"Colours in the Dark" ist das mittlerweile dritte Rockalbum der ausgebildeten Sopranistin. Längst sind Worte wie "Gehversuch" unangebracht, denn bereits mit "What lies beneath" hatte sich die Sängerin längst von ihrer ehemaligen Band emanzipiert. Dass sie live immer noch gerne mal einen Klassiker aus deren Backkatalog spielt: geschenkt. Zum einen hat sie besagte Songs maßgeblich geprägt und zum anderen muss man sich nur mal die Reaktion der Zuschauer ansehen, wenn Tarja etwa "Bless the Child" oder "Higher than Hope" zum Besten gibt. Doch diese Nummern werden bei aller Liebe wohl weniger werden (müssen), denn längst gibt es genug eigenes Material, das den Fans ebenfalls ans Herz gewachsen ist. "Colours in the Dark" legt nun zehn weitere Eisen ins Feuer, darunter kurze, knackige (Hit-)Singlekandidaten, aber auch vier regelrechte Epen zwischen siebeneinhalb und über acht Minuten. Eines dieser Stücke heißt "Medusa", hält Justin Furstenfeld (Blue October) als Duettpartner bereit und schließt das Album ab. Die drei anderen wurden in der Mitte des Albums gebündelt und bilden damit den Kern der Platte. Das mag sich erst einmal fordernd anhören, ist aber abwechslungsreich und packend genug komponiert, um die Aufmerksamkeit des Hörers zwischendurch nicht zu verlieren. Alle drei Tracks zeichnet eine mal stärker mal schwächer ausgeprägte Nähe zum Bombast aus, die mal eher getragen und mit Keyboard-Fanfaren daher kommt ("Deliverance") und mal genug Platz bietet, damit sich zwischendurch auch sägende Riffs und ein kraftvolles Schlagzeug nicht fehl am Platz fühlen ("Lucid Dreamer"). Dann ist da noch "Mystique Voyage", ein quasi komplett "ent-rocktes" Stück, das zwischen gefühlvollem Filmsoundtrack und Musical-Theatralik wandelt und gesanglich wohl am stärksten an die technisch brillante "klassische“ Tarja angelehnt ist. Bevor hier aber ein falscher Eindruck entsteht, soll erwähnt sein, dass wenig später in "Neverlight" der wohl härteste Song folgt, den Tarja uns bisher kredenzt hat. Hier sind die Gitarren fett, heavy und sogar ein bisschen grimmig, und das Schlagzeug donnert ebenfalls teils wuchtig und furztrocken. Richtig schön ohrwurmig wird es beim rockigen, in metallischem Krach gipfelnden "Never Enough", aber natürlich auch bei der ersten Single "Victim of Ritual" mit seinen marschierenden Toms, der orientalisch anmutenden Keyboardmelodie und dem herrlich gerollten R von "Ritual" im Chorus. Schleppend und schwer schleicht sich "Darkness" heran, und gesanglich wechselt Tarja fließend zwischen wohliger Lieblichkeit und - wer hätte das erwartet? - hart gesungenen, elektronisch verzerrten Vocals. Wer nicht weiß, dass es sich dabei um eine Coverversion von Peter Gabriel handelt, wird zu keiner Sekunde auf die Idee kommen, es nicht mit einem Turunen'schen Eigengewächs zu tun zu haben, so gekonnt drückt die Sängerin dem Stück ihren Stempel auf. Doch damit nicht genug der Überraschungen, denn "500 Letters" behandelt textlich ungewohnt direkt, teils autobiografisch, teils fiktiv die Geschichte eines Stalkers und ist damit das mutigste und wohl persönlichste Stück auf "Colours in the Dark". Womit wir abschließend prima die Kurve zum Schlusswort kriegen, denn Tarja Turunen kann man als Solokünstlerin noch näher kommen als zu Zeiten ihrer Bandkarriere, weil es einfach noch persönlicher zugeht und die charismatische Sängerin keine Kompromisse eingehen muss und sich stattdessen barrierefrei selbst verwirklichen kann. Auf "Colours in the Dark" tut sie genau das so selbstverständlich wie noch nie.

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de