Swallow the Sun "Songs from the North I - III" / VÖ 13.11.2015

 

 

Das sechste Swallow the Sun-Album als abendfüllend zu bezeichnen, wäre eine maßlose Untertreibung. Nicht weniger als ein Triple-Album (!) haben die finnischen Melancholiker komponiert, das uns jetzt mit der geballten Kraft von zweieinhalb Stunden Musik entgegenschlägt. Sinnigerweise war man so freundlich, diesen kreativen Kraftakt in stilistisch passende Bahnen zu lenken, wodurch sich "Songs from the North" in drei Alben gliedert, die jeweils einer stilistischen Facette der Band gewidmet sind: melancholischer Dark Metal, tiefschwarzer Funeral Doom, sowie ein stimmungsvoll-düsteres Akustikalbum.

 

So gesehen hat man es sich auch zur Aufgabe gemacht, die Vielseitigkeit dessen abzubilden, was gemeinhin als düsterer oder melancholischer Metal zusammengefasst wird. Besonders bei "Songs from the North I" wird dabei einmal mehr deutlich, was Swallow the Sun eigentlich schon mit ihrem Album "Hope" (2007) klargestellt haben: Nämlich welch außergewöhnliches Gespür und Talent sie dafür haben, aus Dark, Doom, Death und Gothic Metal ein Klangbild zu kreieren, das gleichermaßen intensiv wie packend ausfällt, aber auch Raum für helle, eingängige Momente lässt ("Rooms and Shadows"). So entsteht auf "I" ein vertrautes Gefühl, wenn "From Happiness to Dust" etwa die Nachfolge der Großtaten der letzten Alben antritt. Clever arrangiert ist "10 Silver Bullets", das nach treibendem Auftakt eine überaus bedrohliche Haltung einnimmt. Da ist "Lost & Catatonic" schon eingängiger und greifbarer, ebenso "Heartstrings Shattering", bei dem man sich erneut des lieb gewonnenen Elements einer lieblichen Frauenstimme bedient, um dem Song eine zusätzliche Facette zu geben. Essenziell für die spezielle StS-Atmosphäre war und bleibt allerdings auch die Gitarrenarbeit, die einmal mehr durchweg brilliert und ein ums andere Mal wunderschöne Melodien unter den Wust aus Schwermut, Verzweiflung, Hoffnung, Anmut und Tod mischt.

 

Naturgemäß ruhiger wird es bei "II", dessen über 40-minütige Spielzeit nicht selten von bisweilen zerbrechlich wirkenden Arrangements dominiert wird. So wird es schon mal hochemotional, wenn ein Song wie "Pray for the Winds to come" erklingt. Auch das Titel gebende "Songs from the North" findet sich auf dem zweiten von drei Alben und sitzt sogar einigermaßen genau in der Mitte des kompletten Songmaterials. Selbstverständlich handelt es sich um eine Ode, ein Loblied auf "Mother North", ebenfalls bereichert durch eine weibliche Solostimme, die einen Teil des Textes in finnischer Sprache präsentieren darf. Swallow the Sun zeigen hier ihre schwelgerische Seite, die eigentlich schon immer da war, nun aber erstmals mit derartiger Konsequenz vorgetragen wird. Einen richtigen Kontrastpunkt setzt dann "III", ein pechschwarzer Funeral Doom Monolith, der sich nur hin und wieder kleine Verschnaufpausen erlaubt, um den Fan nicht gänzlich zu erschlagen. Trotzdem schleichen sich bei fünf Songs mit zusammen über 50 Minuten Spielzeit fast unweigerlich Längen ein, die es gerade Nicht-Genrejüngern ein bisschen erschwert, so ganz in "III" einzutauchen. Was nicht bedeuten soll, dass etwa "The Gathering of Black Moths" keine Klasse hat.

 

Für mich persönlich ist Album Nr. 3 am ehesten zu entbehren, wobei die Finnen diesen Weg ganz bewusst eingeschlagen haben und alle drei Scheiben zum Konzept gehören. In Zeiten, in denen viele Künstler nur noch Singles veröffentlichen und gerne der Tod des klassischen Albums als Gesamtkunstwerk herbeigeredet wird, setzen Mastermind Juha Raivio, Sänger Mikko Kotamäki und ihre Kollegen ein dickes Ausrufezeichen, indem sie nicht eins, sondern gleich drei Alben auf einen Schlag präsentieren, die in einer schicken Box zu haben sind. Zugleich zwingen sie auch ihre Fans dazu, ihre Hörgewohnheiten ein Stück weit umzustellen, denn kaum jemand wird ernsthaft in Erwägung ziehen, sich "Songs from the North" mal eben in voller Länge zu geben. Letztlich hat man nämlich drei vollwertige Longplayer vorliegen, die man sich am besten einen nach dem anderen vornimmt und je nach Stimmung seine Wahl trifft. Swallow the Sun jedenfalls gehen einmal mehr ihren eigenen Weg, nachdem vor einigen Jahren bereits das Titelstück der "Plague of Butterflies"-EP für Aufsehen sorgte, das auf satte 35 Minuten Spielzeit kam und eigentlich für eine Ballettaufführung in drei Akten komponiert wurde, zu der es allerdings leider nie kam. Auch eine Komplettaufführung von "Songs from the North" ist wohl eher unwahrscheinlich, denn die Finnen haben ohne Zweifel das anspruchsvollste Werk des kompletten Metal-Jahres aufgetischt. Den Jungs ist zu wünschen, dass sich möglichst wenige Fans daran verschlucken und die Scheibe(n) stattdessen die Lorbeeren ernten, die sie verdient haben.

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de