Steven Wilson “The Raven that refused to sing (and other stories)“ / VÖ 01.03.2013
„Though
all the cogs connect with such poetic grace, time has left his curse
upon this place“. Unter Heranziehung dieses Satzes aus dem Titel „The
Watchmaker“ von Steven Wilsons neuem Solo-Album kann man das Gesamtwerk
eigentlich ganz gut charakterisieren, enthält er doch sowohl eine
treffende Beschreibung der eleganten Kompositionen als auch einen
mahnenden Fingerzeig auf den Fluch der Vergänglichkeit, dem diese
Platte mit ihrer zeitlosen Klangästhetik jedoch erfolgreich trotzen
dürfte.
Wie sein fiktiver Uhrmacher verbindet Wilson in den Songs „Luminol“,
„The Holy Drinker“ und eben „The Watchmaker“ die unterschiedlichsten
Passagen auf kohärente, spannende, mitreißende Weise und stellt so
seine in zahllosen musikalischen Projekten erworbene Kunstfertigkeit in
Sachen Komposition eindrucksvoll unter Beweis. Dabei bedient er sich
stilistisch aus dem reichhaltigen Fundus des klassischen
Progressive-Rock der späten 60er und 70er Jahre, verzichtet hingegen
sowohl auf die für die letzten Porcupine-Tree-Alben typischen
Metal-Einschübe als auch auf Elektronik und Noise-Attacken, wie sie
noch sein erstes Solo-Album prägten. Aber auch wenn man hier und da an
Genesis (zu Beginn des „Watchmakers“ wartet man fast darauf, dass Peter
Gabriel mit der Textzeile „Play me old king cole...“ einsetzt), die
frühen King Crimson und (bisweilen) Van Der Graaf Generator denken
muss, versucht Wilson dem Hörer keinen Flickenteppich aus abgenudelten
Zitaten vorzusetzen, sondern integriert die musikalischen Einflüsse in
Lieder, die nach wie vor deutlich seine eigene Handschrift tragen. Im
Vergleich zu den genannten Stücken wirkt „Drive Home“ fast wie ein
konventionelles Wilson-Stück, erinnert die schöne Melodieführung doch
deutlich an poppigere Porcupine Tree oder Blackfield. Spätestens mit
dem furiosen Solo des neuen Gitarristen Guthrie Govan wird aber auch
hier eine erfrischende Nuance integriert. „The Pin-Drop“ bietet als
kürzestes Stück der Platte eine ansprechende Verschnaufpause mit
überraschend expressivem Gesang. Seinen Ausklang findet „The Raven that
refused to sing...“ dann mit dem Titellied. Die simple, aber von
wunderbarer Stimmung getragene und genial arrangierte Ballade beendet
das grandiose Album perfekt.
Und der Fluch der Zeit? Nicht zuletzt Wilson selbst hat durch seine
Neuabmischungen diverser Progrock-Klassiker in den letzten Jahren
gezeigt, dass das Konzept, exzellente Musiker vielseitige,
ausdrucksstarke und ausgefeilte Songs spielen zu lassen, kein
Verfallsdatum hat. Nur hat seit den Großtaten der Siebziger kaum jemand
an die damaligen Großtaten anknüpfen können. Genau dies aber gelingt
Wilson und seiner exquisiten Band.
Dabei muss unbedingt noch herausgestellt werden, wie großartig diese
Platte klingt. Kult-Tontechniker Alan Parsons (Aufnahme) und Wilson
(Mix) haben den in letzter Zeit bei mehreren Bands zu beobachtenden
Ansatz, die Tugenden der Siebziger mit moderner Aufnahmetechnik zu
verbinden, zu einem vorläufigen akustischen Höhepunkt geführt. Die
Dynamik, der Klang der einzelnen Instrumente und das ausgewogene
Klangbild kleiden die Lieder in ein rundum passendes Gewand, in dem sie
ihre Dramatik voll und ganz ausspielen können.
All das kann nur zu einem Ergebnis führen: Auch wenn Innovation im
üblichen Sinne auf „The Raven...“ vielleicht nicht groß geschrieben
wird, handelt es sich doch um ein fantastisches Werk, das nicht nur das
bisher beste Solo-Album Wilsons darstellt, sondern auch eine der seit
langer Zeit besten Platten überhaupt und in Zukunft womöglich gar zu
einem ganz großen Klassiker avancieren könnte.
Florian Gothe - www.sounds2move.de