Saltatio Mortis "Zirkus Zeitgeist" / VÖ 14.08.2015

 

 

 

Man bleibt giftig und angriffslustig im Hause Saltatio Mortis. Sicherlich waren die Mittelalterrocker schon immer durchaus auch für den einen oder anderen gesellschaftskritischen Ton zu haben, oder man bezog Stellung zu durchaus wichtigen Themen, etwa zur aktiven Sterbehilfe ("Koma"). Seit ihrem letzten Album "Das schwarze Einmaleins" jedoch sind die Momente, in denen man diesen aktuellen Bezug in vielen Fällen hinter Geschichten und Erzählungen ein Stück weit versteckt hat, scheinbar vorbei. Zumindest überwiegend.

 

So ganz verabschiedet hat man sich von diesem Trademark natürlich nicht, das wäre auch ziemlich töricht, und dafür sind Saltatio Mortis nicht die richtige Band. Auch "Zirkus Zeitgeist" hat noch einen solchen Track zu bieten: "Maria" erzählt eine tragische Geschichte und ist doch erschreckend real, denn wer aufmerksam ist - was bei den Texten des Kollektivs immer eine gute Idee ist - findet darin herbe Kritik an der katholischen Kirche und ihrer Weigerung, der Frau das Recht auf Abtreibung zuzugestehen. Deutlich direkter geht es im vorab per Lyric-Video ausgekoppelten "Nachts weinen die Soldaten" zu, einem kraftvollen, düsteren Song, der die ungezählten namenlosen Opfer auf den Schlachtfeldern der Geschichte beweint und deren tragisches Ende sich oft in einer Nummer und einem namenlosen Kreuz findet. Hier wurde der thematische Faden von "Krieg kennt keine Sieger" vom Vorgänger noch einmal aufgegriffen. Als unangenehm kann auch "Augen zu" bezeichnet werden, eine leider viel zu wirklichkeitsnahe "Ode ans Wegschauen". Insgesamt also recht harter Tobak, doch Saltatio Mortis haben ein gutes Gespür dafür, dieses Album nicht zur verbitterten Ansammlung von Klageliedern verkommen zu lassen. Dazu dienen Songs wie der Opener "Wo sind die Clowns", einem Aufruf zu mehr Spaß und Lebensfreude, oder aber "Geradeaus", ein mit vielen textlichen Selbstzitaten versehener Rückblick auf die eigene Karriere und gleichzeitig eine Kampfansage an etwaige Kritiker. Auch der kleine Seitenhieb gen Konsumgesellschaft ("Willkommen in der Weihnachtszeit") kann durchaus für Erheiterung sorgen, wenn mit punkigem Einschlag berechtigterweise die Sinnhaftigkeit von ersten Weihnachtsartikeln zu spätsommerlichen Zeiten angezweifelt wird. Das Zeug zum zukünftigen Klassiker hat auch "Vermessung des Glücks", das sich an all diejenigen richtet, die immer nur auf Nummer sicher gehen, ihre Zukunft fest planen wollen, dabei aber vergessen, auch mal einfach zu leben und sich ihre Träume zu erfüllen. Ein bisschen kontrovers und thematisch durchaus mit "Vermessung des Glücks" verwandt ist "Wir sind Papst": Hier attestieren Saltatio Mortis den (meisten) Deutschen einfach mal pro Forma so ziemlich alles zu können, nur eben nicht unbeschwert zu sein. Außer vielleicht, wenn mal wieder WM und es en vogue ist, sich selbst als "Fan" zu bezeichnen und die scharz-rot-goldenen Farben aufzutragen. Den kontroversen Twist bekommt die Nummer übrigens vor allem dadurch, dass eigentlich beiläufig, aber doch wahrnehmbar das hierzulande sensible Thema Nationalstolz eingewoben wird. Hierauf kann man mit einem Augenzwinkern oder einem Achselzucken reagieren, sich wenn man will aber auch ganz gut aufregen und echauffieren (macht man in Deutschland ja gerne). Auf jeden Fall bieten die Spielleute eine Diskussionsgrundlage und haben damit ihr Hauptziel schon erreicht.

 

Trotz einiger fröhlicher Partylieder und einer schwermütigen Ballade ("Erinnerung") ist "Zirkus Zeitgeist", übrigens ein sehr treffender Titel und mit einem im Detail sehr gelungenen, passenden Artwork versehen, vor allem ein ziemlich unbequemes Album geworden. Fans werden es lieben und sich über den Biss ihrer Lieblinge freuen, manch anderer könnte sich allerdings in seiner Einstellung ertappt oder auf den Schlips getreten fühlen. Aber Saltatio Mortis machen eben einfach ihr Ding und das zu recht ziemlich erfolgreich seit mittlerweile 15 Jahren. Dass sie damit eine absolute Bereicherung für die deutschsprachige Musiklandschaft darstellen, steht außer Frage.

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de