Nocte Obducta „Sequenzen einer Wanderung“ / VÖ 05.12.2008

Es existieren einige Bands, deren Verlust eine massive Lücke in der Musiklandschaft hinterlassen. Eine Lücke, die in ihrem Ausmaß nicht mehr zu füllen ist. Fußstapfen, die potenziellen Nachfolgern nicht passen, weil sie zu groß sind. Im Jahre 2006 beschlossen Nocte Obducta, sich nach Veröffentlichung ihres Albums „Sequenzen einer Wanderung“ aufzulösen. Nocte Obducta, die zumindest in meinem Falle während ihres Werdegangs für so viele Gänsehautmomente gesorgt haben, würde sich also auflösen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Nach „Nektar II“, dem meiner Meinung nach bis dato bestem extremen Metalalbum, welches jemals eine deutsche Band zustande gebracht hat, war dies ein schwerer Schlag.

Die Veröffentlichung von „Sequenzen einer Wanderung“ hat sich aufgrund einiger Streitereien bis in das Jahr 2008 hinausgeschoben. Als ich die Promoversion des Albums erhalten habe, wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Nach „Nektar II“ war ich ein wenig skeptisch, wie die Band diesen Meilenstein toppen möchte. Nach mehreren Hördurchläufen war mir klar, dass sie jenen Meilenstein getoppt haben. „Sequenzen einer Wanderung“ ist der krönende und zugleich traurige Abschluss einer einzigartigen Band. Ein neuer Fels in der Brandung, der alle relevanten Entwicklungsphasen der Band Revue passieren lässt und in einem stilistisch offenen Gesamtwerk endet, wie wir es von den ohnehin entwicklungsfreudigen Nocte Obducta noch nie gehört haben.

„Sequenzen einer Wanderung“ hat eine Spielzeit von knapp 44 Minuten. Diese 44 Minuten verteilen sich auf 2 Lieder. Die Grundstimmung ist düster, traurig, energisch kraftvoll und erhaben. Zeitweise lodert schwarzmetallisches Feuer, welches Hand in Hand mit sehr ruhigen Elementen einher geht. Jene ruhigen Elemente weisen massive Parallelen zur „Stille“-EP auf, sind jedoch in ihrer Wirkung konzentrierter und gefühlsvoller, weil das Songwriting deutlich verfeinert wurde und effektiver auf den Punkt kommt. Ich glaube, einer hoch entwickelten musikalischen Umsetzung der Geschichte Nocte Obductas zu folgen; zahlreiche integrierte Textpassagen aus dem Leben der Band, aus Telefonanrufen und dergleichen festigen diesen Eindruck. Überhaupt  taucht auf „Sequenzen einer Wanderung“ insgesamt nur sehr wenig Lyrik auf. Dies ist in so fern nicht weiter tragisch, als dass die Musik die Botschaft und Atmosphäre hervorragend zu transportieren vermag. Aber wenn Texte auftauchen, dann mit Gänsehautgarantie. Die stilistische Bandbreite der Vocals erstreckt sich von harmonisch finsteren cleanen Vocals bis zum typischen Geschrei, wobei letzteres exakt einmal auftaucht – nämlich dann, wenn sich der letzte Song mit einem genialen Riffing zu einem schwarzmetallischen Monster aufbläht und mit jenem Riffing unglaublich viel Energie transportiert – damit steht dieser Part im krassen Gegensatz zum Rest des Albums und stellt für mich das letzte Aufbäumen einer der besten Bands Deutschlands dar. Nocte Obducta sind Geschichte, Dinner auf Uranos die Nachfolger. Ich bin  gespannt, was folgt.

„Sequenzen einer Wanderung“ ist für mich zweifellos das Album des Jahres 2008 sowie das beste und entwickelungsfreudigste Album in der Geschichte Nocte Obductas. Genial, aber auch schade.

Christian Stiewe – www.sounds2move.de / 01.12.2008