Madina Lake „World War III“ / VÖ 07.10.2011


 

 

Dass mit “World War III” überhaupt ein drittesMadina Lake-Album erscheint, grenzt im Grunde an ein kleines Wunder. Vor etwas über einem Jahr wurde Bassist Matthew Leone, Zwillingsbruder von Sänger Nathan, in Chicago zum Opfer seiner Zivilcourage, als er versuchte einer Frau zu helfen, die von ihrem Freund auf offener Straße verprügelt wurde. Der Tieftöner machte sich damit selbst zur Zielscheibe und musste nach einer brutalen Attackemit schwersten Verletzungen (Schädel- und Kieferbruch, Hämatome, Flüssigkeitsansammlungen und Anschwellen des Gehirns) ins Krankenhaus eingeliefert werden. Leone, der wie viele Amerikaner nicht krankenversichert ist, verdankt sein Leben auch dem unermüdlichen Einsatz seiner Bandkollegen, die unter anderem einen Hilfsfont, ein Spendenkonto und weitere Initiativen ins Lebenriefen, um Geld für die aufwendigen Behandlungenihres Freundes zu sammeln. Sogar viele namhafte Musikerkollegen beteiligten sich, teilweise mit Auktionen (Green Day, Within Temptation…), teils mit anderen Aktivitäten wie etwa die Smashing Pumpkins, die mit einem kurzfristig anberaumten Konzert satte 80.000 Dollar generieren konnten.

Inzwischen sind Madina Lake wieder zu viert, Matthew, dem zwischenzeitlich ein Drittel der Schädeldecke entfernt worden war, um der Schwellung des Gehirns entgegen zu wirken, ist wieder weitestgehend auf dem Damm und das neue, dritte Langeisen ist im Kasten. Nach vollzogenem Labelwechsel heißt es jetzt wieder angreifen und dabei haben die Sympathen ausIllinois keinen Grund, mit der Geschichte ihres Bassisten Hausieren zu gehen oder sonst irgendwieauf Mitleid zu machen. Künstlerisch haben sieSelbiges nämlich keinesfalls nötig, was einige launige Durchläufe des neuen Tellers beweisen. Anno 2011 trauen sich Madina Lake noch mehr alsfrüher, egal ob nun einen Strobo-Dancebeat („Heroin“), ein kurzes Rap-Intermezzo („Take me or leave me“) oder effektgeschwängerte Pop-Kaskaden („Fireworks“). Das Fundament bleibt bei allem jedoch immer die von den beiden Vorgängern bekannte Legierung aus Alternative Rock, Post-Hardcore und mal dezenten, mal dominanteren Electro-Spielereien. Das Rockertum bleibt also selbstredend nicht auf der Strecke, was „Imagineer“ (hier hat Billy Cogan von den Smashing Pumpkins mitgeschrieben), das mit flirrendem Refrain versehene „What it is to wonder“ und „Blood Red Flags“ ebenso beweisen wie „Hey Superstar“, ein Song, der mit einem astreinen und sicher gewollten Selbstzitat als Querverweis an den Vorgänger „Attics to Eden“ beginnt und mit einem schönen Ohrwurm-Chorus gesegnet ist. Fällt das Stichwort Ohrwurm, muss auch über „Across 5 Oceans“ gesprochen werden, denn den hier präsentierten Singalong wird man nur schwer wieder los. Bei „World War III“ steht ganz klar der Hörspaß imVordergrund und davon gibt es reichlich, zumal die bereits erwähnten, aber stets sinnig erscheinenden Experimente dafür sorgen, dass man manche Hooks und Melodien erst nach einiger Zeit richtigwahrnimmt, dann aber nicht wieder so schnell von ihnen los kommt. Hart und laut sind Madina Lake nur dosiert, aber ihre musikalische wie emotionale Achterbahnfahrt zieht offene Hörer schnell in ihren Bann. Diese Jungs haben das Herz am rechten Fleck, also gebt diesem coolen Scheibchen eine Chance.

 

Markus Ruttenwww.sounds2move.de