Leaves’ Eyes „Njord“ / VÖ 28.08.2009

 

 

 

Manchmal ist mehr eben einfach doch mehr. Etwa im Falle von Leaves’ Eyes, die sich für ihr drittes Album zwar vier Jahre Zeit gelassen haben, dafür aber mit Victor Smolskis weißrussischem „Lingua Mortis“-Orchester aufwarten und bei manchen Stücken auch schon mal die Marke von 130 Tonspuren düpiert haben. Klingt nach überladenem Bombast-Geklimper? Von wegen!

 

Klar, manche Ecken fallen bei einem solchen Breitbandsound sehr episch aus. Aber einen gewissen majestätischen Charme sind wir doch alle von Leaves’ Eyes gewöhnt und nicht wenige Fans lieben genau das an den Schwaben. Und mit dieser Direktive fährt man gut, was sofort der druckvolle, mächtige Opener „Njord“ beweist, der sich erst lieblich anpirscht, um dann mit mächtigen Gitarren zum Angriff überzugehen. Chöre flankieren von Liv sirenenhaft dargebotene Passagen, während Grunter Alex Krull immer mal wieder ein kehliges „Njord!“ dazwischen pfeffert – groß! Ebenfalls ein Volltreffer ist „Take the Devil in Me“, das sich zwar konstant im Midtempo bewegt, mit seiner griffigen Struktur jedoch nicht nur ein echter Ohrwurm ist, sondern auch live prima funktionieren wird. „Ragnarök“, dessen chorlastiger Beginn ein bisschen was von Hans Zimmer hat, pendelt gekonnt zwischen Livs überwiegend hohem, bezirzendem Gesang und rassigem Epic Metal Brecher. Klingt anfangs etwas ungewöhnlich für Leaves’ Eyes, da man sich von ähnlich gelagerten Nummer der ersten beiden Alben wie etwa „Farewell Proud Men“ deutlich hörbar weg entwickelt hat, dokumentiert aber den kompositorischen Reifeprozess, den man über die letzten Jahre vollzogen hat. Überhaupt klingt „Njord“ nicht nur sehr reif und rund, sondern auch das Gesamtniveau des dritten Longplayers des Sextetts ist bemerkenswert, da weder das temporeiche „Emerald Island“, noch das verträumte „The Holy Bond“, „Irish Rain“ (der Bruder im Geiste hört auf den Namen „Mourning Tree“) oder das bandtypische „Through our Veins“ wirklich qualitativ zurückfallen. Einzig „Scarborough Fair“ – bezeichnenderweise eine Coverversion - ist meiner Meinung nach nicht ganz auf Augenhöhe mit dem restlichen Material. Für diesen Hänger entschädigt jedoch das beeindruckende „Frøya's Theme“ – knapp achteinhalb opulente Minuten, die zu keinem Zeitpunkt langweilen und sowohl schlüssig wie auch spannend die Lauscher im Sturm erobern.

 

Im Sturm werden Leaves’ Eyes mit „Njord“ sicher auch wieder einige neue Fans für sich gewinnen können. Für dieses Album würde ich sogar noch mal den Speicher entrümpeln und die alte Drehleier mit der „in Sachen Songwriting reifstes und musikalischstes Album“-Melodie anwerfen. Denn was zu den wohl abgegriffendsten Musikerfloskeln überhaupt zählt, ist hier tatsächlich Fakt. Bombast, Härte, Melodien, Anspruch und Eingängigkeit: Der dritte Dreher von Liv Kristine und ihren Wikingern hat einfach alles, was ich in diesem Genre hören will. Gothic Metal-Champions League!

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de / 15.08.2009