Leaves’ Eyes „Meredead“ / VÖ 22.04.2011


 

 

Eigentlich hätten Leaves’ Eyes nach dem Volltreffer „Njord“ ein Akustikalbum veröffentlichen sollen, stattdessen steht nun mit „Meredead“ ein normales neues Album in den Startlöchern. Wobei „normal“ immer eine Frage des Blickwinkels ist. Gerade angesichts der involvierten Musiker, die bisher kein Leaves’ Eyes Album wie seinen Vorgänger haben klingen lassen (von den chamäleonartigen Sound- und Kurswechseln bei Atrocity ganz zu schweigen), ist nur schwerlich eine Prognose abzugeben, in welche Richtung ein neues Album gehen mag.

So überrascht auch „Meredead“ in vielerlei Hinsicht. Wer ein weiteres hochklassiges Gothic / Symphonic Metal Album erwartet hat, wird sich erst einmal wundern. Wobei: Symphonisch ist das Album definitiv, genau genommen verweben Leaves’ Eyes gekonnt opulente Epik und Bombast (breite Orchestrierung, haufenweise pompöse Chöre) mit den typischen Instrumenten und Klänge der Folklore, deren Einfluss schon auf „Njord“ überdeutlich herauszuhören war. Das Ergebnis klingt erst einmal exotisch, definitiv experimentell, aber auch eigenständig und wurde kompositorisch mit einem geschulten Händchen umgesetzt. Was mich stört ist, dass diese Liaison aus traditioneller Folklore und cineastischer Orchestrierung unter dem Strich zu Ungunsten der Riffs und allgemein der Härte ging. Wer zum Beispiel die Grunts von Hüne Alex Krull sucht, muss bis zu „Sigrlinn“ warten, Gitarrist Tosso darf sich nur selten – etwa im Titelstück – mit einem schönen Solo richtig auszeichnen und arbeitet sich ansonsten durch eine Vielzahl der unterschiedlichsten Saiteninstrumente. All das darf man als einigermaßen überraschend bezeichnen, vor allem wenn man bedenkt, dass gerade die treibenden Nummern wie „Take the Devil in Me“, „Emerald Island“ und „Njord“ den gleichnamigen Vorgänger zu einem absoluten Volltreffer machten. Diesmal verfolgen die Schwaben allerdings ein anderes Ziel, dem sich sogar Goldkehlchen Liv Kristine unterzuordnen scheint, deren Stimme verhältnismäßig selten allein im Rampenlicht steht, sondern sich an vielen Stellen entweder mit den Chören duelliert oder diesen gleich den Vortritt lässt. An anderer Stelle („Tell-Tale Eyes“) haben sowohl Chor als auch Orchester dann mal Pause, sodass der frei gewordene Raum von John Kelly genutzt wird, um mit Liv gemeinsam einen Exkurs in irischer Folklore zu präsentieren. Überwiegend wird die glockenklare Gesangsstimme der norwegischen Frontfrau aber mindestens gedoppelt, sodass man technisch gesehen mehr, gefühlt aber doch weniger Liv Kristine geboten bekommt. Natürlich ist das Rock / Metal-Fundament nicht gänzlich verschwunden, selbst wenn sich meine Ausführungen möglicherweise danach anhören. Es wird noch gerockt, allerdings zumeist eher im Hintergrund, was vor allem beim Drumming mit einem gewissen Druckverlust einhergeht.

Aus künstlerischer Sicht kann man Leaves’ Eyes absolut keinen Vorwurf machen, kompositorisch ist „Meredead“ einwandfrei, ausgeklügelt und voll von Details. Gleiches gilt für die lyrische Seite, die den Anspruch von „Njord“ noch einmal übertrifft und nur noch in Ausnahmefällen in allseits verständlichem englisch dargeboten wird. Linguistikerin Liv fordert den Hörer auf diese Weise unbestritten heraus, muss aber aufpassen, dass ungeduldige Zeitgenossen nicht voreilig die Flinte ins Korn werfen, weil es mitunter schwer fällt einen Bezug zum gesungenen Wort herzustellen. Das alles macht „Meredead“ zu einem gleichermaßen eigenständigen wie mutigen Album, das vermutlich vielerorts missverstanden werden wird – nicht nur wegen der vielen außergewöhnlichen Sprachen, die auf dem Album vertreten sind.

 

Markus Ruttenwww.sounds2move.de

 

 

„Njord“ hat gerade einmal zwei Jahre auf dem Buckel, da haben Leaves´ Eyes schon ihren Nachfolger „Meredead“ eingespielt. Wer angesichts des hohen Veröffentlichungstempos der Mannen um Liv Kristine einen kreativen Stillstand oder Stagnation erwartet, ist hier vollends schief gewickelt. Fakt ist, dass „Meredead“ einmal mehr eine Weiterentwicklung des Leaves´ Eyes-schen Klangspektrums markiert, bei dem Folklore-Elementen mehr Spielraum denn je eingeräumt wird. Also eigentlich alles super, oder?

 

Mitnichten, denn auch nach zig Hördurchläufen fällt es mir schwer, das Album zu greifen und zu fassen. Die Musik wirkt hier im Gegensatz zu den sehr guten Vorgängeralben zu überladen, zu viele Wendungen, es passiert in zu wenig Zeit zu viel. Der Opener „Spirit´s Masquerade“ beinhaltet alle relevanten stilistischen Merkmale, die Leaves´ Eyes für die Musikwelt so wertvoll machen. Das Metalfundament ist kräftig und stark, die Melodieführung gewohnt gut, Liv präsentiert sich bei bester Stimme – aber dennoch ist das Stück von Breaks zerfleddert, so dass ich das Gefühl habe, mehreren Segmenten zu lauschen, aber keinem in sich geschlossenen Song. „Velvet Heart“ hat eine nette, kitschige Melodieführung und wäre eigentlich eine ideale Singleauskopplung. Mit „To France“ gibt es eine Coverversion zu hören, zu der auch ein obligatorisches Video gedreht wurde. Der Song offenbart sich als träges Stückwerk ohne zusammenhängenden Charakter, bei dem ein härterer Part am Ende des Songs dafür Sorge trägt, dass auch die Metaller unter den Fans zufrieden gestellt werden. Nein, hier wäre mehr drin gewesen. Glücklicherweise liefert die Band mit „Sigrlinn“ wirklich gute Arbeit ab, denn hier offenbart sich das Leaves´ Eves Feeling vergangener Alben – jenes Gefühl, welches ich auf „Meredead“ größtenteils vermisse. Axel Krull gibt sich ebenfalls die Ehre und darf ein paar Grunts beisteuern, das Stück ist spannend und intensiv arrangiert.

 

„Meredead“ packt mich also bei weitem nicht so intensiv wie die Vorgängeralben. Sicherlich bietet es mehr oder weniger typische Leaves´ Eyes Musik, aber im Gesamtzusammenhang erscheint mir „Meredead“ zu zerfahren und zu überladen, sodass die Hörfreude etwas auf der Strecke bleibt.

 

Christian Stiewewww.sounds2move.de