Lacrimosa "Lichtgestalt" - Plattenkritik / VÖ 02.05.2005

Am 2. Mai ist es soweit: Lacrimosa veröffentlichen mit Lichtgestalt ihr nunmehr neuntes Studioalbum. Nach dem musikalischen Ausbruch mit Snakeskin, konnte Tilo Wolff (mit Band) befreit sich der Arbeit zum neuen Album widmen und auf Lichtgestalt konsequent fortführen, was Anfang der 90erJahre mit dem Demo-Tape Clamor begann, wofür Lacrimosa seit nunmehr 15 Jahren stehen: Orchestrale Instrumentierungen, klassische Einflüsse in Verbindung mit harten Metalbeats, melodiöse Refrains, tiefsinnige Texte, Weltschmerz, Melancholie und, stellenweise, Pathos.

In diesem Sinne und auch konzeptionell ist das Jubiläumsalbum zum 15-jährigen Bandbestehen Lichtgestalt ein klassisches Lacrimosa-Album: Der erste Song beginnt mit der Melodie des letzten aus dem Vorgängeralbum Echos, es gibt acht Songs, deutsche wie auch englische Texte, ein anspruchsvolles in schwarz-weiß gehaltenes Artwork, für das wie alle Cover Stelio Diamontopoulus verantwortlich zeichnet. Thematisch widmen sich Lacrimosa einmal mehr der Liebe, wobei die Songs ähnlich wie bei IEchos einzeln betrachtet oder in Zusammenhang zueinander gesehen werden können Aussagen, die in einem Song gemacht werden, werden an anderer Stelle aufgegriffen, fortgeführt und oder von einer anderer Seite aus betrachtet.

Mit getragenen Kammermusikarrangements führt der erste Song Sapphire den Hörer von Echos zu Lichtgestalt, um ihn dann in einem überraschenden Spannungsbogen mit verzerrten Gitarren und einer Laut-Leise-Dynamik in das neue Album zu katapultieren. Der Kelch der Liebe ist – wie auch der Titeltrack Lichtgestalt und Letzte Ausfahrt: Leben – ein potentieller Singlehit im Stile von Alleine zu zweit oder Durch Nacht und Flut, um nur zwei zu nennen: Streicherarrangements im Kontrast zu oder in Verbindung mit Gothic-Metal, Gitarrensoli, harmonische Melodien und ein eingängiger Refrain. Deutlich orchestraler arrangiert sind dagegen Nachschatten und my last goodbye, bei dem Anne Nurmi gesanglich in den Vordergrund tritt und das nicht nur durch den Zwiegesang mit Tilo Wolff stark an Alleine zu zweit aus dem Elodia-Album erinnert.

Das mit Abstand melancholischste und sanfteste Lied des ganzen Albums ist eindeutig the party is over, wohingegen Letzte Ausfahrt: Leben wiederum mit einem melodiösem Gesang überzeugt. Letzter Song des Albums ist die symphonische Vertonung eines biblischen Textes: das Hohelied der Liebe, eine Variation des Liebesgedichts der Bibel schlechthin (vonPaulus, 1. Korinther 13, 13. Und nicht wie an anderer Stelle im Internet zu lesen war: das hocherotische Gedicht von Salomon.) In diesem scheint sich musikalisch und inhaltlich alles zu verdichten, was auf Lichtgestalt über die Liebe bis dahin vorgetragen wurde: Die Liebe ist und bleibt das stärkste Element, sie ist der Ursprung aller menschlichen Gefühle.

Lichtgestalt besticht zweifelsohne durch seine musikalische Vielfalt und inhaltliche Ausdrucksstärke, in der dann allerdings Textzeilen wie "Ich bin der Schmerz zwischen deinen Beinen" qualitativ stark abfallen. Kompositorisch ist Lichtgestalt entgegen dem Vorgängeralbum Echos ein dynamisches, melancholisches Album mit eingängigen Refrains und Melodien, einer opulent inszenierten Symbiose aus notwendiger Härte und wehklagendem Gesang. Die Verbindung zu Elodia ist nicht nur bei einem Song wie my last goodbye unüberhörbar und gründet, wie Tilo Wolff im Interview erläuterte, unter anderem auch aus seiner Arbeitsweise. So lassen sich alle bisher erschienen Lacrimosa-Alben in Zyklen kategorisieren, nach denen Lichtgestalt in der Tradition von Satura und Elodia zu sehen ist. Dennoch ist Lichtgestalt bei weitem kein Elodia-Part II oder –Abklatsch: Musikalisch dichter, verbindet Lichtgestalt die Höhepunkte bisheriger Alben und markiert insofern den würdigen Höhepunkt zum 15-jährigen Bandbestehen.

Christine Schams - www.sounds2move.de / 15.04.2005