Kamelot „Silverthrone“ / VÖ 26.10.2012

 

 

 

Für Kamelot ist die Veröffentlichung ihres neuen Albums „Silverthrone“ die zweite Stunde Null der Bandgeschichte. Nach vierzehn Jahren hatte Aushängeschild und Ausnahmesänger Roy Khan die Progressive/Power Metaller 2011 verlassen und eine Lücke hinterlassen, die zu schließen unmöglich erschien. Wie es nur die ganz großen Frontmänner können, hatte Roy Khan, der durchaus ein gewisses Maß an Exzentrik mitbrachte, klar im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden und der Band durch sein Charisma und seine überragende Stimme seit jeher das gewisse Etwas verliehen. Sein Ausstieg kam also einem Schlag ins Kontor gleich. Seitdem fragten sich Fans und Fachpublikum wie es nun weitergehen sollte mit den Amis und ihrem deutschen Keyboarder, wie sie zukünftig klingen würden und welcher arme Tropf mit seinen Füßchen derartige Fußstapfen zu füllen versuchen würde. Klar, vor allem in Europa hat man eine eingeschworene Fangemeinde, aber was, wenn Kamelot 2.0 die Erwartungen nicht erfüllen können?

 

Wenn in Kürze nun mit „Silverthrone“ Licht ins Dunkel der Spekulationen und Befürchtungen kommt, wird man allerorts erleichtert durchatmen. In Sachen Optik und Ästhetik hatte sich bereits angekündigt, dass man vom eingeschlagenen, künstlerisch anspruchsvollen Weg nicht abrücken würde – dazu genügt ein Blick auf das wieder einmal gelungene Artwork (wobei das alternative Cover der Limited Edition sogar noch besser kommt). Sobald nach dem bombastischen Intro „Manus Dei“ dann erstmals die Stimme des neuen Sängers Tommy Karevik erklingt, verfliegen schnell alle Zweifel und man glaubt, die Steine, die vielen Fans vom Herzen fallen, beinahe hören zu können. Mit ihrem neuen schwedischen Frontmann gehen Kamelot sicher kein all zu großes Risiko ein, schließlich ist dieser stimmlich nicht all zu weit von seinem Vorgänger entfernt. Beschweren möchte man sich darüber aber keinesfalls, denn der Schuss kann auch nach hinten losgehen, wenn man aus falschem Trotz eine gänzlich neue Gesangskomponente einbringt. Schuster bleib bei deinen Leisten könnte man sagen, und Kamelot fahren damit auch außerordentlich gut. Denn bereits „Sacrimony (Angel of Afterlife)“ klingt vertraut, bombastisch und kraftvoll – eben einfach nach Kamelot. Somit ist es wenig verwunderlich, dass man auch musikalisch nicht vom eingeschlagenen Weg abgerückt ist, sondern immer noch detailversessen mit einem Hang zur Perfektion komponiert. Stichwort Perfektion: Wie man gekonnt auf dem Drahtseil zwischen bombastischer Opulenz und druckvoller Härte balanciert, beherrscht das amerikanisch-deutsch-schwedische Kollektiv wie kaum ein anderer Act, wiegen sich Metal-Faktor und große Epik doch nach wie vor wunderbar gegenseitig auf. Aus ihren Stärken und Fähigkeiten haben Kamelot jetzt auch in der neuen Besetzung Perlen geformt, für die andere Kapellen ihr linkes Ei verkaufen würden. Man höre sich nur „Solitaire“ an (ja, das Intro von „Ghost Opera“ trug den gleichen Namen), einen Brecher aus der „When the Lights are down“/„Centre of the Universe“-Kategorie. Dieser Vergleich unterstreicht im übrigen den Eindruck, dass auf „Silverthrone“ wieder etwas stärker auf donnernde Double-Bass gesetzt wird als bei den beiden Vorgängeralben. Auf balladeske Seelenschmeichler muss natürlich trotzdem niemand verzichten, siehe „Song for Jolee“. Traditionell wird zudem dosiert auch mit eingestreutem Frauengesang gearbeitet, der diesmal unter anderem von Elize Ryd (Amaranthe) und Alissa White-Gluz (The Agonist) beigesteuert wird.

 

So gesehen ist das hier vielleicht der am vertrautesten klingende Neuanfang einer Band seit langer Zeit. Was nicht nur daran liegt, dass Kamelot ihrem einzigartigen Sound treu geblieben sind, sondern auch damit zu begründen ist, dass Neuzugang Karevik mit ganz ähnlichen Phrasierungen und Akzentuierungen seines Gesangs arbeitet wie sein Vorgänger. Das mag der eine oder andere als nicht besonders mutig kritisieren, derjenige verwechselt im vorliegenden Fall aber offenkundig Mut mit Leichtsinn. Warum umwerfen was sich bewährt hat? Zumal das Ergebnis eindeutig für sich spricht, denn das hier ist definitiv ein Album für die Bestenlisten dieses Metal-Jahres. Und die Spitzenposition im Genre sowieso.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de