Jennifer Rostock „Mit Haut und Haaren“ / VÖ 29.07.2011


 

 

Zugegeben: Mit unserer vor wenigen Wochen getätigten Schlagzeile „Jennifer Rostock entdecken den Metal“ haben wir euch ein wenig aufs Glatteis geführt. Natürlich ist „Mit Haut und Haaren“ kein typischer Stoff für harte Headbanger, nicht der Treibstoff für den Circle Pit und auch kein Nackenbrecher vor dem Herren. Trotzdem ist diese Band deutlich hörenswerter als ihr vielleicht glaubt – und hat ehrlich gesagt auch mehr zu bieten als der Autor es erwartet hätte.

Reine Studi-Bespaßung ist dieses Quintett nämlich mitnichten. Hier wird gerockt, gepunkt, dem Alternative Rock gefrönt, ja auch der Pop ist omnipräsent, und als Herausstellungsmerkmal setzt die Band aus Berlin zudem auf stimmig eingebundene Elektronika. Das passt ins Radio, aber auch ins Auto oder in die Rock-Clubs. Und quasi durchgängig ins Ohr, denn dieser Longplayer greift direkt und ganz unverfroren das Langzeitgedächtnis an. So erwischt sich auch ein harter Rocker früher oder später dabei, wie er die eine oder andere kurz zuvor auf „Mit Haut und Haaren“ aufgeschnappte Melodie vor sich hin trällert. Prädestiniert sind hierfür nicht nur „Der Horizont“ und „Es war nicht alles schlecht“. „Der Kapitän“ hat ebenfalls Charme und wird in zwei Minuten punkig runtergezockt. Sängerin Jennifer Weist (nicht Rostock) zeigt hier aber noch nicht alles. Dafür braucht es schon eher das wild eskalierende, ungeniert laute und raue „Fuchsteufelswild“ oder den völligen Kontrast mit dem lieblich dargebotenen „Ich kann nicht mehr“. Man möchte ganz grob von einem Organ sprechen, das Fans von Marta Jandova (Die Happy) und Judith Holofernes (Wir sind Helden), mit der Weist die markant schrillen, aber passenden Ausreißer im höheren Stimmbereich gemeinsam hat, gleichermaßen anspricht. Apropos Helden: Klar sind Vergleiche mit verwandten Bands gemein, aber Jennifer Rostock werden zugeben müssen, dass „Wasser bis zum Hals“ auch von den ebenfalls aus Berlin stammenden Kollegen geschrieben worden sein könnte. „Mit Haut uns Haaren“ ist trotzdem unbestritten eine positive Überraschung und bietet nicht nur eingängige, abwechslungsreiche Hits, sondern auch fast durchgängig gehobenes Textniveau. Der Rausschmeißer „Hier werde ich nicht alt“ fasst das Ganze noch einmal gekonnt zusammen: Alternative und Punk Rock, anfangs noch wie auf Speed und mit Tanzfaktor 100 dahin gebrettert, kommt es urplötzlich zum Break, das wiederum in schrammelige Epik übergeht, die beinahe als Post-Rock durchgeht. Ein kleines Highlight also, oder das Tüpfelchen auf dem i, je nach dem.

 

Markus Ruttenwww.sounds2move.de