Jennifer Rostock „Live in Berlin“ / VÖ 10.08.2012

 

 

 

Nach drei Alben und bei größer werdenden Hallen kann man schon mal seine erste DVD raus hauen. So sehen es auch Jennifer Rostock und kredenzen uns zur besten Freibadsaison einen Live-Mitschnitt der besonderen Art. So eigen wie die Band an sich ist, so speziell ist auch das gewählte Ambiente von „Live in Berlin“: Jennifer Rostock haben dieses Heimspiel kurzerhand in ein stillgelegtes Hallenbad verfrachtet und rocken ein paar Hundert auserwählte Fans zu allem Überfluss auch noch in einem der großen (natürlich leeren) Schwimmbecken, welches eigens für die Show mit einer Bühne und einem abgefahrenen Bühnenbild aus alten Berliner Fenstern und Türen versehen wurde.

Als wäre das des Guten nicht schon genug, gönnte man sich als Sahnehäubchen auch noch eine Bar samt Barkeeper, natürlich ebenfalls auf der Bühne, wo sich die Musiker und ihre Gästeschar während des Auftrittes mit Bier, Shots und Cocktails bewirten lassen konnten. Klingt feucht fröhlich? Ist es auch, was besonders in den launigen Outtakes überdeutlich wird (repräsentativer O-Ton von Sängerin Jennifer Weist: „Dieses Durcheinandergesaufe macht mich total fertig“). Als Extra gibt es auch noch die unterhaltsame Shoutbox, in der mehr oder minder verstrahlte Konzertgänger nach dem Konzert, und häufig auch dem einen oder anderen Gerstensaft, ihre Lobeshymnen und andere Kommentare in die Kamera schmettern. Dass dabei die Grenzen zwischen Amüsement und dezenten Anflügen von Fremdschämen verschwimmen, liegt in der Natur der Sache. Ganz und gar nicht schämen müssen sich Jennifer Rostock für den gebotenen Live-Mitschnitt, der nun wirklich alle Register zieht. Neben haufenweise Gästen (darunter prominente Hochkaräter wie Jupiter Jones und sogar Ex-Maskenmann Sido), präsentieren auch die Stars des Abends einen tollen Querschnitt ihrer bisherigen drei Alben, hauen mal richtig auf den Putz („Hier werd ich nicht alt“, „Feuer“, „Meine besser Hälfte“ oder „Der Kapitän“ mit Frau Potz), zeigen aber auch noch deutlich mehr ihrer Facetten. Etwa eine Unplugged-Version von „Wo willst du hin“ oder den Schmachtfetzen „Irgendwo anders“, bei dem ein Fan aus dem Publikum auf der Bühne sitzend überaus offensiv von Fräulein Weist umgarnt wird. Schweinecool ist aber auch vor allem die mit fettem Beat daher kommende neue Version von „Du willst mir an die Wäsche“, bei der Sido einige gerappte Zeilen beitragen darf. Dass das Ergebnis entgegen eventueller Befürchtungen eines der Highlights des Albums ist, spricht für das Qualitätsbewusstsein und die Weitsicht von Jennifer Rostock. Hingegen bekam das Bläser-Trio, das „Der Kapitän“ untermalen darf, ganz klare Anweisungen zur Umsetzung an die Hand – nämlich bloß nicht nach Ska zu klingen. Bei aller Offenheit für andere Genres wird man im Making-of nämlich unerwartet deutlich aufgeklärt: „Ska ist echt Scheiße!“. Kann man denke ich so stehen lassen, genau wie „Live in Berlin“, denn obwohl nur wenige Monate zwischen Aufnahme und Veröffentlichung liegen, macht dieses Package aus CD und DVD richtig Spaß und wirkt zu keinem Zeitpunkt wie ein Schnellschuss. Einziger winziger Makel ist vielleicht, dass das Konzert bei vereinzelten Übergängen noch etwas feinfühliger hätte geschnitten werden können. An der liebevollen Umsetzung gibt es ansonsten nichts auszusetzen, und der Ton sowie die Bilder wissen zu gefallen, egal ob „Ich kann nicht mehr“ mitten im Publikum intoniert wird oder bei „Meine bessere Hälfte“ stylische Taschenlampenhandschuhe aus dem imaginären Hut gezaubert werden. Kurzum: Ein feines Zeitdokument einer Band, die sich über die Jahre nicht zuletzt aufgrund überzeugender Livequalitäten ein zusehends größer und breiter werdendes Publikum erspielt hat.

Markus Rutten - www.sounds2move.de