Evanescence „Evanescence“ / VÖ 07.10.2011


 

 

Evanescence kennen das alte Lied von der Krux mit dem Überdebüt wie kaum eine andere Band der letzten zehn Jahre. „Fallen“ (2003) war groß, gigantisch um genau zu sein, vor allem in kommerzieller Hinsicht. Während New Metal im Sterben lag, sorgte die bis dato völlig unbekannte Truppe aus Little Rock für einen echten Paukenschlag – eine ganze Reihe an Hitsingles inklusive.

Noch im selben Jahr folgte der Ausstieg von Gitarrist Ben Moody (mittlerweile bei We are the Fallen wieder in ähnlichen Fahrwassern unterwegs),dem zweiten Songwriter neben Amy Lee, und mit ihm verabschiedete sich auch ein nicht geringer Prozentsatz der kreativen Kompetenzen. Dem Erfolg tat dies für wahr keinen Abbruch, trotz weiterer Besetzungswechsel und einer öffentlichen Schlammschlacht zwischen dem einstigen Liebespaar. Das Nachfolgeralbum „The Open Door“ (2006) brauchte danach drei Jahre bis zur Veröffentlichung, konnte die astronomischen Erwartungen (natürlich) nicht erfüllen und erlitttrotz immer noch zumindest passabler Verkaufserfolge ziemlichen Schiffbruch, was leider auch für die Songs gilt. Sicher, der eine oder andere Hit findet sich noch auf der Scheibe(„Lithium“, „Sweet Sacrifice“), aber eben nicht ansatzweise das Feuerwerk des Erstlings. Es folgten die üblichen Touraktivitäten, bevor Evanescence für ein paar Jahre quasi komplett von der Bildfläche verschwanden. Auflösungsgerüchten zum Trotz ließ Amy Lee vor ca. zwei Jahren erstmals wissen, dass wieder kreativ gearbeitet würde. Jetzt, fünf (!)Jahre nach dem letzten Langspieler kommt also „Evanescence“ auf dem Markt und mit der Scheibe die Hoffnung auf alte Erfolge. Ungeachtet der langen Pause, die man sich heutzutage als Künstlerin den meisten Fällen eigentlich gar nicht erlauben darf, stimmen die Rahmenbedingungen auf den ersten Blick schon mal: Es gibt 12 neue Songs, man veröffentlicht immer noch auf einem Majorlabel und hat darüber hinaus mit Nick Raskulinecz (Foo Fighters, Stone Sour, Trivium) einen überaus kompetenten Produzenten für sich gewinnen können, der als Hitgarant im modernen Rock / Metal-Bereich betrachtet werden darf. Viel wichtiger ist jedoch, dass man in musikalischer Hinsicht keine halben Sachen macht. Die erste Single „What you want“, zugleich auch der Opener, macht direkt einen guten Anfang und darf mit Fug und Recht als Ohrwurm bezeichnet werden. Die Düsternis des Debüts bleibt hier noch etwas auf der Strecke, dafür hält bei „Lost in Paradise“, einer als Pianoschmachtfetzen beginnenden Rockballade, ein schwermütiger Unterton Einzug, der von Streicherflächen begleitet wird. „My Immortal“ Bandversion, anyone? Wer etwas mehr Wums suchtund Pianos, die sich mit harten Riffs einen flotten Schlagabtausch liefern, der wird sich an dem eingängigen „Erase this“ erfreuen können, das durchaus an „Fallen“ erinnert, was auch auf „Made of Stone“ zutrifft. Betrachtet man „Evanescence“ als großes Ganzes, so drängt sich der Eindruck auf, dass das Quintett überraschend selten auf balladeske Schwermut gesetzt hat (der Seelenschmeichler-Rausschmeißer „Swimming Home“ sei ausgeklammert), und dafür rockige Klänge und forsches Tempo die Szenerie bestimmen. Eine Entscheidung, die man angesichts von Hits wie „Oceans“ definitiv nachvollziehen kann.Somit wird „Evanescence“ wohl viele Fans versöhnen können, die schon gar nicht mehr an ein drittes Album geglaubt haben oder sich nach der zweiten Scheibe von der Band abgewandt haben.Sollte man jetzt noch im Herbst an der Live-Front überzeugen, darf von einer gelungenen Rückkehr und positiven Überraschung gesprochen werden.

 

Markus Ruttenwww.sounds2move.de