Dritte Wahl „Kinder, wie die Zeit vergeht“ / VÖ 15.12.2008

 

 

Den Punk-Urgesteinen Dritte Wahl liegt ihre geschäftliche wie musikalische Unabhängigkeit am Herzen. Aus diesem Grund entschied man sich vor vielen Jahren nicht für einen von mehreren recht gut dotierten Knebelverträgen mit einem Branchenriesen (und den dazugehörigen Forderungen und Verpflichtungen), sondern hob Rausch Records, die mittlerweile in Dritte Wahl Records umbenannte eigene Plattenfirma aus der Taufe. Was tut man nicht alles für die freie Wahl (jaja, ultra flacher Kalauer)...

 

Doch die Sache scheint zu funktionieren, denn die Rostocker sind nach wie vor im Geschäft, die Fans halten ihnen nach wie vor die Treue und auch die Nachfrage nach den Politpunkern mit dem Hang zur musikalischen Experimentierfreudigkeit scheint ungebrochen. Mit „Kinder, wie die Zeit vergeht“ blickt das Trio nun auf die ersten 20 Jahre zurück und kredenzt dem Publikum einen netten Rückblick in Form einer gut gefüllten Doppel-DVD. Gut in Szene gesetzt und mit satten 23 Songs, darunter sehr gutes wie „Schaum auf der Ostsee“, „Tobias“, „Halt mich fest“ und „Sonne & Meer“,  ausgestattet wird hier das Jubiläumskonzert der Band vom 2008er Force Attack Festival präsentiert, das sinnvolle Schnitte und eine Band in Topform zeigt. Vor allem aber auch eine optisch dieser Tage mit schwarzen Hemden und weißen Krawatten deutlich geschmackssichere Band, als noch in den Anfangsjahren. Dies macht die Bandhistory auf DVD 1 mehr als deutlich, wo die Rostocker nicht selten nach einem wilden optischen Mix aus Grunge-Kid, Metalhead, Punk und Herumstreuner aussehen. Selbige History offeriert auch die vielleicht größte Schwäche des DIY-Aspekts der Dritten Wahl. Denn dieser Blick in die Bandarchive, der durchaus interessantes und sehenswertes Material aus der Geschichte des Trios zeigt, wirkt in seiner Gesamtheit auf mich ziemlich abgehakt, gestückelt und ohne wirklichen Fluss. Die aktuellen Live-Clips aus dem Rostocker Mau Club, das Bandinterview, die Fanbefragungen und allerlei anderer Wahnsinn; das alles unterhält und wird den Fans gefallen. Nur stört es mich massiv, dass häufig nach einem nur einminütigen Auszug ein Sprung zu etwas völlig anderem vollzogen wird, worunter nicht nur die Nachvollziehbarkeit der Interviewsequenz leidet. Wenn dann noch der ewig gleiche „Uhrwerk-Überbrückungscreen“ zum 20. Mal auftaucht, zuckt der Finger endgültig in Richtung der Skiptaste. Eine Frage des Budgets wird es hier wohl gewesen sein, die es verhindert hat aus einer Ansammlung von netten Schnipseln eine richtig gute (und standesgemäße) Retrospektive des bisherigen DW-Werdegangs zu machen. Hier war sicher mehr drin. Zum Glück holt der Konzertmitschnitt auf DVD 2 die Kohlen aus dem Feuer und beschwichtigt auch kritische Zeitgenossen wie den Autor dieses Artikels. Und ein zumindest solides Geburtstagsgeschenk hat die Dritte Wahl, die schon mehrfach auch Ska und sogar Metal Elemente unter ihren melodischen Punkrock gemischt hat, auch verdient.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de / 17.01.2009