The Dresden Dolls "Coin-Operated Boy" - Plattenkritik / VÖ 13.12.2004

Wenn im vergangenen Jahr eine Band die Musikwelt durcheinander wirbelte, dann waren dies zweifelsohne The Dresden Dolls. Zwei Amerikaner, Amanda Palmer (Gesang, Piano) und Brian Viglione (Schlagzeug), die die goldenen Jahre der Weimarer Republik mit ihren verruchten Cabaretbühnen und das Brechtsche Kabarett mit den unvergleichlichen Kompositionen Kurt Weills mit Elementen der moderner Musik verbanden. Widmete sich Marilyn Manson mit seinem Golden Age Of Grotesque thematisch den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, so scheinen The Dresden Dolls diesem förmlich entsprungen zu sein. Die ungewöhnliche Besetzung mit Schlagzeug, Klavier und Gesang, das einzigartige Crossover von Kabarett, Punk und moderner Rockmusik sowie ihre theatralische Performance faszinierte, begeisterte, aber irritierte zuweilen auch Kritiker wie Publikum zugleich.

Aus ihrem gleichnamigen Album The Dresden Dolls veröffentlichte das Duo nun die Single Coin-Operated Boy. Verspielte Pianotöne erklingen, ehe Amanda Palmer unschuldig-naiver Gesang einsetzt und sie mit warmer Stimme von einem "coin-operated boy, sitting on the shelf, he is just a toy, but I turn him on, and he comes to life, automatic joy, that is why I want, a coin-operated boy" träumt. Mit Rhytmuswechseln und einem Gesang, der mal verträumt, mal kraftvoll, dann wieder ironisch-distanziert und verspielt ist, baut dieser einen ganz eigenen Spannungsbogen auf und brennt sich dabei unweigerlich ins Ohr.


Die Livefassung von Coin-Operated Boy lässt erahnen, wie The Dresden Dolls auf der Bühne agieren: Theatralisch, musikalisch versiert und vor allem energiegeladen. Die Vocals von Amanda Palmer erscheinen hier noch markanter und charismatischer, die abrupten Wechsel noch intensiver. Ein leckerer Vorgeschmack auf die kommende Deutschlandtour.

Als dritten Song haben The Dresden Dolls ein wahres Schmankerl auf die CD gepresst, für alleine diesen sich der Kauf der Single bereits lohnt: Baby One More Time. Jawohl, genug die Augen gerieben, ganz richtig gelesen, er ist es: The Dresden Dolls haben sich dem Hit schlechthin von Teenie-Star Britney Spears angenommen und interpretieren ihn auf eine Art, die die Schizophrenie von The Dresden Dolls wohl am besten darlegt: Sie verstören wie sie zugleich faszinieren. Einerseits kann man den Song nicht mehr hören, andererseits kriegt man von ihm in dieser Version nicht genug, einerseits mag man sich nicht zu Britney Spears bekennen, andererseits... – schizophren eben. Amanda Palmers süffisanter Gesang allein ist es, der den soften Popsong und das klebrige Lolita-Image einer Britney Spears ins ironisch-sarkastische verkehrt ohne dabei musikalisch vom Original abzuweichen und Baby One More Time so zu einem echten Ohrwurm macht. Wer’s nicht glaubt: Anhören!

Coin-Operated Boy und auch Baby One More Time sind, wie alle Songs von The Dresden Dolls, anders als alles bis dato gehörte und werden daher viele zuerst eher verstören denn anziehen. Nach mehrmaligem Hören aber werden sicherlich nicht wenige der frischen und anspruchsvollen Musik der beiden amerikanischen Künstler hemmungslos verfallen.

Christine Schams - www.sounds2move.de / 09.01.2005