Dream Theater „A Dramatic Turn of Events“ / VÖ 09.09.2011


 

 

In den letzten Monaten gab es viel Line-Up bedingten Wirbel um die New Yorker Progressive Metal Band Dream Theater. Ich möchte auch gar nicht im Detail darauf eingehen oder mich an irgendwelchen Spekulationen beteiligen, aber Fakt ist für mich im allerersten Schritt, dass der neue Drummer Mike Mangini frischen Wind in die Musik gebracht hat, ohne dass ich Mike Portnoys Drumming irgendwie vermissen würde. Blicken wir aber erst einmal zurück:

Im Jahre 2009 erschien ein beklemmendes, teilweise heftig metallisches, melancholisches, düsteres Dream Theater Album, wie ich es in dieser Form vor allem im genialen Opener „A Nightmare to remember“ noch nicht gehört hatte. „Black Clouds & silver Linings“ ist seitdem auch – ich weiß, dass ich mit dieser Meinung ziemlich alleine da stehe – mein liebstes Dream Theater Album. Jene beklemmende, traurige aber zugleich aggressive Grundstimmung zog sich durch das ganze Album.

Und nun ist alles irgendwie anders. Natürlich scheint der Albumtitel „A Dramatic Turn of Events“ mit den Geschehnissen rund um die Band im Zusammenhang zu stehen, aber „A Dramatic Turn of Events“ klingt allen voran im Vergleich zum erwähnten Vorgänger trotz nicht unbedingt positiver Lyrics irgendwie frischer und lebendiger. Die Aggression wurde zugunsten einer gewaltigen Portion Eingängigkeit zurückgefahren. Lieder wie „Build me up, break me down“ überzeugen mit schönen Melodielinien, verhältnismäßig reduzierten Songstrukturen und einprägsamen Refrains. Progressives Gefrickel im üblichen Sinne findet hier nicht statt. Dream Theater agieren für ihre Verhältnisse geradeaus. Nichtsdestotrotz präsentieren sich alle Mitglieder der Band – ja, auch James LaBrie – in guter Form und schütteln mit diesem Stück einen kleinen Hit aus dem Ärmel. Ganz im Gegensatz dazu ist „Lost not forgotten“ von sehr viel mehr Wendungen durchzogen, Dynamik spielt in dem zehnminütigem Stück eine große Rolle. Von aggressiven, geradezu minimalistischen Momenten bis hin zum Pianopart und zur progressiven Dudelorgie ist alles vorhanden. Das Bewundernswerte für mich ist, dass dieses Stück dennoch wie aus einem Guss wirkt. Dream Theater gelingt es außerordentlich hervorragend, die vielen einzelnen Parts zu einem Song zu formen. Dies liegt sicherlich auch an dem eingängigen Refrain – dennoch große Kunst. Die obligatorischen Balladen dürfen auch auf dem neuen Album nicht fehlen und runden es eigentlich perfekt ab.

„A Dramatic Turn of Events“ ist für mich ein äußerst gelungenes Statement einer intakten und nach wie vor innovativen Band, die ihre Musik mit Hingabe zelebriert, ohne sich in musikalische Egomanien zu verlieren. „A Dramatic Turn of Events“ ist im Vergleich zum Vorgänger leichte Kost, beinhaltet aber viele spannende Momente, die ich als Hörer echt zu schätzen weiß. Tolles Album!

 

Christian Stiewewww.sounds2move.de

 

 

Sachen gibt's: Da schaut man nichtsahnend in das Booklet der neuen Dream Theater CD und stellt dann überrascht fest: Drummer/Gründungsmitglied/Außenminister Mike Portnoy muss irgendwann zwischen dem letzten Album "Black Clouds & Silver Linings" und dem neuen Werk ganz klammheimlich und ohne viel Aufhebens die Band verlassen haben! Das hätte man der Welt aber auch wirklich mal vorher kommunizieren können.

Spaß beiseite, natürlich werden nicht nur ausgewiesene Dream-Theater-Fans mit Interesse auf die erste Platte nach Portnoy gewartet haben, nachdem der Ausstieg des Starschlagzeugers und die Neubesetzung des Postens hinter den Kesseln mit dem "neuen Mike" (Mangini) nicht nur Gegenstand zahlreicher Newsmeldungen/Artikel in einschlägigen Fachzeitschriften und Webzines war, sondern auch im Rahmen der etwas reißerisch geratenen Dokumentation "The Spirit Carries On" (die der Special-Edition des Albums auf DVD beiliegt) verwertet wurde.

Als erstes darf man feststellen: Dream Theater klingen auf dem nicht gerade griffig betitelten neuen Werk "A dramatic Turn of Events" auch in der neuen Besetzung unzweifelhaft nach Dream Theater und haben ein unter dem Strich starkes Album produziert, das sich stilistisch in der Nähe der letzten Platte positioniert, aber auch wieder einen erfrischenden Hauch der Frühzeit in sich trägt (warum die gefühlten Parallelen zum Meilenstein "Images And Words" nicht rein zufälliger Natur sind, kann der geneigte Fan - so viel sei hier verraten - mittlerweile im Internet recherchieren). Wenn man genau darauf achtet, merkt man natürlich, dass das Drumming sich geändert hat und weniger in den Vordergrund drängt, sondern sich mehr an den Riffs zu orientieren scheint. Dies könnte daran liegen, dass Manginis Spiel hier (noch) auf zunächst von Gitarrist John Petrucci vorprogrammierten Drumcomputer-Demos basiert. Was die Songs betrifft, so sei das Negative voran gestellt: Die Balladen können, wie auch schon auf den letzten Alben, am Ausdruck und am Gefühl der dahin gehenden Klassiker nicht einmal kratzen. Dies gilt selbst dann, wenn man nicht so unfair ist, sie an der von Kevin Moores Abschieds-Monument "Space Dye Vest" fast unüberwindlich hoch angesetzten Latte zu messen. Denn auch so verliert "This is the Life" trotz schöner Gitarren-Momente um Längen gegen "Another Day", von "Far from Heaven" will nichts so richtig hängen bleiben und "Beneath the Surface" ist zwar deutlich besser als der Langweiler "Wither" von "Black Clouds & Silver Linings", zumal der Song mit einem interessanten Keyboard-Solo aufwarten kann, stellt im Ergebnis aber doch nicht mehr als nette Hintergrundbeschallung dar.

Dafür aber sind die anderen Titel überaus gelungen. Obwohl hier nach Herzenslust gefrickelt wird, macht die Band nicht mehr die Fehler, die sie dahin gehend auf den letzten Alben machte: Petrucci ordnet das melodiöse Element seines Spiels nicht gänzlich dem schnellen Skalengeschredder unter, Jordan Rudess verzichtet, ohne die Wiedererkennbarkeit seines Stils einzubüßen, auf allzu schräge Soundspielereien und John Myungs Bass wird im Mix nicht mehr gnadenlos erstickt. In Punkto Gesang ist mit Portnoys oft unpassenden Backing-Vocals ebenfalls das störende Element verschwunden, so dass nun ausschließlich James LaBrie seine angenehme Stimme präsentiert. Die Gesangslinien hätten allerdings dennoch ein wenig mehr Feuer vertragen können. Trotzdem machen die Songs viel Spaß und überzeugen mit spielerischem Können sowie gewitztem Arrangement. Der Einstand in den neuen Karriereabschnitt der New Yorker kann also getrost als Erfolg bezeichnet werden.

 

Florian Gothewww.sounds2move.de