Disillusion „Gloria“ / VÖ 20.10.2006

 

 

Von Zeit zu Zeit gelingt es Künstlern ganz unverhofft aus dem Dickicht der mal besseren, mal mäßigeren Veröffentlichung heraus zu brechen und ein wahres Ausrufezeichen zu setzten. Brandaktuelles Beispiel: Disillusion. Denn was die Leipziger mit „Gloria“ abliefern ist großes Kino, das zugleich frei von jeglichen Zwängen ist und den Hörer auf einen Trip entführt, den er so schnell nicht vergessen wird.

 

Man möchte kaum glauben, dass dieses Trio mit „Gloria“ erst seinen Zweitling vorlegt, denn um ein derartig ausgereiftes Stück Musik (ich verzichtet hier bewusst auf Begriffe wie „Rock“ oder „Metal“) zu schreiben, warten nicht wenige Musiker viele Jahre lang – die meisten sogar vergebens. Unbeeindruckt von Massentauglichkeit und gängigen Konventionen haben Disillusion unzählige Einflüsse zusammengeworfen, um daraus ein leckeres Süppchen innovativster Sorte zu kochen. Ihr glaubt, dass Metalriffs, dramatische Streicher und mit Chören hinterlegte Refrains nicht mit funkig anmutenden Gitarrenläuften und an die großen System of a Down erinnernde Gesangslinien zusammenpassen? Dann belehren euch Disillusion eines besseren – und das mit nur einem („Dread It“) von insgesamt elf Songs wohlgemerkt. Im weiteren Verlauf von „Gloria“ verschlägt es den Zuhörer dann mal in treibende Industrial-Salven, mal in sphärische Trance-Welten und mal in die groovende Welt des Trip-Hop. Zwischendurch fliegt einem noch ein Helikopter mit lautem Getöse um die Ohren („Don’t go any further“), der schon Sekunden später („Avalanche“) von psychedelisch anmutenden und gegen Ende fast beschwörend werdenden Tonfolgen abgelöst wird. Oder um es kurz zu machen: Wer „Gloria“ in seinen Player wirft, der sollte in der gleichen Bewegung seine Hörgewohnheiten in den nächst beste Abfalleimer werfen. Denn Sänger Andy Schmidt und seine beiden Wegbegleiter liefern mit ihrem neuen Album viele wirklich interessante Ansätze ab, denen ich sogar zutrauen würde, dass sie dem über weite Strecken festgefahrenen Rock- und Metalgenre neue Impulse geben könnten.

 

Man ist erfahrungsgemäß skeptisch, wenn mal wieder eine Neuveröffentlichung vom Label als große Offenbarung angekündigt wird. Schließlich wird dieser Tage regelmäßig versucht einem einen Esel als Rennpferd zu verkaufen. Im Fall von „Gloria“ muss ich den zuständigen Damen und Herren – in diesem Fall Metal Blade – aber ganz offen und ehrlich sagen: „Dieses Album wird alle schwerst überraschen und begeistern“ trifft den Nagel auf den Kopf. „Gloria“ ist vielleicht DIE positive Überraschung des sich langsam dem Ende zuneigenden Jahres 2006. Was für ein Höllenritt muss diese Klangkollage erst in 5.1. Sound sein. Bitte ganz schnell nachreichen!

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de / 17.10.2006