Dir En Grey „It withers and withers – Tour 05“ DVD / VÖ 13.06.2006

 

 

 

Die weitläufige Meinung ist, dass Japaner ein freundliches und eher zurückhaltendes Völkchen von Elektronik- und Foto-Fetischisten sind, die zum Beispiel so sinnvolle Erfindungen wie einen Automaten entwickelt haben, aus dem man sich gebrauchte Tangas nebst Foto der angeblichen ehemaligen Trägerin ziehen kann. Zumindest mit dem Gerücht der Zurückhaltung wird durch die Live-DVD „It withers and Withers – Tour 05“ aus dem Hause Dir En Grey jetzt aufgeräumt.

 

Die Tourimpressionen des Quintetts könnten auch problemlos auf den Namen „Irgendwo in Asien“ hören, denn wo genau die DVD aufgezeichnet wurde, ist nirgends dokumentiert. Eigentlich auch egal, denn auch sonst ist diese DVD eher puristisch gehalten. Jegliches Bonusmaterial fehlt und die einzige „Spielerei“ bleibt die Auswahl zwischen Stereo- und 5.1.-Ton. Damit musste man allerdings rechnen, denn über keinen der Herren gibt es weitläufige Hintergrundinformation oder gar seitenweise Anekdoten über das Privatleben. Angesichts der musikalischen Ausrichtung ihrer Band kann man lediglich auf eine Vorliebe für die VK-Urväter X Japan und deren Gitarristen Hide schließen. Mit ihrem eigenwilligen Sound, der häufig auch Ausflüge in Richtung Death Metal macht, hat sich die Band zum Häuptling der VK-Bands dieser Tage gemausert, was der Band mittlerweile eine weltweite Fanbasis geschaffen hat. Besonders in der Heimat dreht die Jugend regelmäßig kollektiv durch, wenn die schmucken Jungs in der Stadt sind. Wie dies in etwa ausschaut, lässt sich durch die aktuelle DVD vorzüglich aufzeigen. Wenn Dir En Grey die Bretter besteigen, ist Schluss mit freundlicher Zurückhaltung beim Publikum. Dann wird geklatscht und geschrieen bis der Arzt kommt. Auf der Bühne übernimmt das Schreien Sänger Kyo, der eigentlich Nishimura Tooru heißt und deutlich im Mittelpunkt des Geschehens steht. Auch wenn man als Laie kein Wort von seinen Ansagen versteht, macht der Mann doch unmissverständlich klar, dass er nicht mehr alle Reiskörner auf dem Stäbchen hat. Auf der Bühne rastet der blonde Wuschelkopf mitunter vollkommen aus, was in einer Art Selbstgeißelung gipfelt, wenn der Gute z.B. das Bedürfnis verspürt, sich so lange selbst mit dem Mikrofon oder der Faust ins Gesicht zu schlagen bis er blutet wie eine abgestochene Sau beim Metzger um die Ecke. Ob es sich dabei allerdings um puren Ernst oder kalkulierte Show inkl. Kunstblut handelt, ist eines der ungeklärten Mysterien, die diese Band umgeben.

 

Wenn der Sänger nach knapp 100 Minuten völlig ausgepowert und nass geschwitzt auf der Bühne liegt und als „Outro“ eine ohrenbetäubende Luftalarmsirene ertönt, ist man gleichermaßen beeindruckt ob dieser Intensität als auch ein wenig froh dass dieser Trip ein Ende gefunden hat. Über das musikalische Programm, das eigentlich zur Nebensache deklariert wird, braucht man wohl keine großen Worte zu verlieren. Die Fans der Band kennen die einschlägigen Stücke ohnehin und wer nicht schon Fan ist, wird kaum mit einer DVD wie dieser anfangen. Wahrscheinlich auch besser so, denn die Gefahr ist groß, dass man Dir En Grey als Wahnsinnige abtut und fluchtartig das Weite sucht. Auf der anderen Seite steht die globale Begeisterung für eine zumindest in Europa mehr als exotische Truppe, die bei ihren Konzerten bis in die hinteren Reihen für feuchte Höschen bei den größtenteils jungen, weiblichen Fans sorgt. Einige davon kann man vielleicht schon bald verschweißt und durch irgendein Foto ergänzt aus einem der eingangs erwähnten Automaten ziehen.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de / 04.07.2006