Die Kassierer “Physik“ / VÖ 24.09.2010

 

 

Du hältst Arbeit für eine sinnvolle Erfindung, um den Lebensunterhalt zu bestreiten? Für dich ist Alkoholismus in erster Linie eine gefährliche Suchterkrankung? Sexualität ist ein Thema, das lieber in der Privatsphäre verborgen bleiben sollte? Dann kannst du folgende Plattenkritik getrost überspringen.

 

Du  hältst Arbeit für reine Zeitverschwendung? Alkohol ist für dich eine interessante Freizeitbeschäftigung? Keine Obszönität ist zu pervers, als dass man nicht einen Song daraus machen könnte? Dann willkommen in der wunderbaren Welt der mächtigen Kassierer!

 

Die Asi-Punks aus Wattenscheid haben ihr lang erwartetes neues Album veröffentlicht. Es nennt sich „Physik“ und gibt sich den Anstrich der Seriosität: ein Konzeptalbum rund um Quantentheorie, Radioaktivität und die Phänomene des Universums. Doch keine Angst: Neben den Naturwissenschaften, kommen die philosophischen Betrachtungen nicht zu kurz. Gleich der Eröffnungstrack „Nieder mit die Arbeit“ fährt gleich die volle Breitseite gegen die stupide werktätige Bevölkerung: „Arbeit ist die größte Dummheit, die ein Mensch wohl je erdacht, denn wer arbeitet, der ist dämlich, hab mir nie was draus gemacht“. So sieht´s aus! Natürlich bleibt auch Freund Alkohol nicht unbesungen (u.a. „Verliebt in Whisky, Bier und Wein“, „Erfindungen“, „Schönes Universum“). Lediglich der Sex kommt ein wenig zu kurz. „Ich fick dich durch die ganze Wohnung“ ist hier die kurze und schmerzlose Ausnahme. Vielleicht liegt es daran, dass Wölfi Wendland und seine Kumpane, die ja nun auch schon seit Mitte der 80er aktiv sind, etwas in die Jahre gekommen sind und der Testosteronspiegel dementsprechend gesunken ist. Nicht zu alt sind die Vier dagegen für Albernheiten jeder Art. Beispiele hierfür sind das sechs Minuten Epos „Der Mann, der rückwärts spricht“, der Akustik-Track “Im Sauerland kann man teleportieren“ oder das maritime „Zitronenhai“. Auch dürfen die Reminiszenzen an andere große Sprachkünstler nicht fehlen. So wird mit „Was für ein Ticker ist ein Politiker“ erneut Georg Kreisler gehuldigt, so wird Rolf Zuckowskis „Weihnachtsbäckerei“ mal eben zur großen „Wirtshausschlägerei“ umfunktioniert. Ein anderer Großer gibt sich auf „Physik“ höchst selbst die Ehre. Mambo Kurt ist am Start und sorgt mit der Heimorgel-Gangsta-Rap Nummer „No Future, das war gestern“ für eines der echten Highlights des Albums. Überhaupt fällt die musikalische Vielschichtigkeit der Scheibe auf. Neben den üblichen Punk- und Ska-Wurzeln gibt es auch allerhand anderes geboten wie Elektrosounds („Das Lied vom Kot“), Militärisches („Drillinstructor-Song) oder Zither-Musik („Zitronenhai“). Wo da nun eigentlich die Physik bleibt, mag manch kritischer Leser fragen. Diese ist natürlich auch präsent. Zum Beispiel in „Schönes Universum“: „Schwarze Löcher, Rote Riesen, Mariacron, du seist gepriesen.“ In diesem Sinne, Prost!

 

Alexander Dontscheff - www.sounds2move.de / 23.09.2010