Blue October „Any Man in America“ / VÖ 05.08.2011


 

 

Scheidung, Sorgerechtsstreit - Alpträume für jedes Elternteil, und auch Rockstars werden von derlei Abgründen nicht verschont. So wie Blue October Frontmann Justin Furstenfeld, der diese schwierige, emotionale Zeit jetzt in den Texten von „Any Man in America“ verarbeitet. Entsprechend nachdenklich und düster klingt das sechste Album des Quintetts dann auch.

War „Approaching Normal“ schon ein eher ruhiges Album, so ist dessen Nachfolger noch eine ganze Ecke schwermütiger. Vor allem zu Beginn ist die Scheibe richtig zurückhaltend, wobei die melancholische Atmosphäre sich auch durch eine gewisse Wärme auszeichnet. Textlich wird es ein ums andere mal emotional: „Worry List“ macht seinem Namen alle Ehre und wird wehleidig, aber nicht weinerlich dargeboten. Überhaupt steht der Gesang oft im Zentrum der Aufmerksamkeit, alle anderen Instrumente rücken bereitwillig ins zweite Glied. Ihre Auftritte haben die anderen Musiker natürlich trotzdem immer mal wieder, wie in „The Chills“, wenn das Album auch mal Fahrt aufnimmt und die Riffs mit dem Piano an einem Strang ziehen, bevor sich ein Kinderchor dazugesellt. „The Flight: Lincoln to Minneapolis“ lässt sogar Singalong-Passagen zu, was eine durchaus überraschende Wendung in einem anfangs eher minimalistischen, von einem schlichten Beat begleiteten Rap (!) dominierten Song darstellt. Wer anfänglich noch irritiert ist, wird mit dem zweiten, dritten Durchgang zugeben müssen, dass diese kleine Herausforderung an den Hörer nicht uninteressant ist und einige Wendungen bereithält. Zumal nicht nur mit „For the Love“ noch genug eingängiges Material enthalten ist, das einen gleich beim ersten Hören anspricht. Trotz des überwiegend düsteren Kontextes beenden Blue October „Any Man in America“ mit einem positiven Gefühl, einem Lichtblick in Form des Duetts „The Followthru“, bei dem Furstenfeld Unterstützung von Patricia Lynn (The Soldier Thread) erhält und mit deren Hilfe er die Welt wissen lässt, dass es da draußen immer noch Liebe gibt. Klingt schmalzig ohne Ende, wird aber überzeugend und vor allem entwaffnend ehrlich erzählt, und das macht zu großen Teilen den Reiz dieser Scheibe aus. Viel authentischer kann ein modernes Rockalbum kaum sein.

 

Markus Ruttenwww.sounds2move.de