Between The Buried And Me „The Great Misdirect“ / VÖ 30.10.2009
Beim Hören von „The Great Misdirect“ habe ich irgendwie die ganze Zeit Bilder im Kopf, die sich durchaus zu einem interessanten Kurzfilm zusammenschneiden ließen. Die Protagonisten dieses Films wären: Der erste Gitarrist ist seiner Ansicht nach und auch nach der von Außenstehenden der unumstrittene Bandleader. Er hat schon mit fünf Jahren zu Papis Pink Floyd Platten geschwelgt, hört heute Bands wie Opeth, Cult Of Luna oder Porcupine Tree und sucht ein Label für sein Solodebüt, auf dem er eine Stunde lang seine Gitarren-Märchen erzählen lässt.
Der Drummer ist das einzige Bandmitglied, das dem Gitarristen zumindest manchmal Paroli bietet. Mit Schlagzeugern ist es wie mit Torhütern. Sie stehen beziehungsweise sitzen meistens hinten herum und wenn sie nicht als austauschbar gelten wollen, müssen sie ihr Handicap durch ein riesiges Ego ausgleichen und dabei möglichst noch ein wenig anders sein. Der Junge hier lebt in meinem Film in seiner eigenen Welt, sammelt irgendwelche seltsamen Sachen und hört Musik, welche die Anderen oftmals nicht als solche bezeichnen. Der Sänger hört am liebsten Death Metal (oder das, was er dafür hält) und möchte diesen auch gerne spielen, muss aber ständig von den Kollegen in seinen Ausbrüchen aufgehalten und in ruhigere Bahnen gelenkt werden. Das gefällt ihm sichtlich nicht, sodass er dann seine Hammond Orgel auspackt um den Sound zu bereichern. Der Bassist ist der typische Mann am Tieftöner. Er schnappt schnell neue Ideen auf, verdelt diese an den passenden Stellen und von ihm stammen die meisten der spontan wirkenden, aber doch durchdachten Breaks. Der zweite Gitarrist liefert ein paar zündende Leads, ist aber ansonsten im Bandgefüge eher untergeordnet, spielt aber eine nicht unwichtige Rolle als Diskussionsleiter, speziell zwischen dem anderen Gitarristen und dem Drummer.
Das Entwickeln der Stücke könnte in etwa folgendermaßen ablaufen: Gitarrist eins kommt mit einem unverzerrten Riff an, der nach seiner Meinung absolut großartig ist und erst einmal eine Minute für sich stehen sollte. Nach und nach steigen dann Bassist und Gitarrist zwei ein, bis es dem Drummer zuviel wird und er das Ganze mit einem drölf Tausendstel Beat vorantreiben möchte. Jetzt ist der Bassist gefragt, das soeben Gespielte anzupassen. Mittlerweile sind fast drei Minuten vergangen, bis der erste Gitarrist sagt, man müsse jetzt etwas völlig anderes machen um die Spannung aufrechtzuerhalten. Gesagt, getan, Between The Buried And Me starten abrupt ein feinstes Frickeldeath Massaker und der Sänger darf endlich mal zum Einsatz kommen. Aber erst auf der dritten Zählzeit anfangen zu schreien, denn das wirke spontaner, wie der Chef meint. Nach weiteren zwei Minuten werden die Herrschaften des Geballers überdrüssig und man fährt das Tempo herunter, um in Hardcoremanier einen Breakdown zu spielen, der wiederum in das stark veränderte Anfangsthema hineingleitet. Da der Sangesmensch nicht so gern clean singt, macht er dies nur ganz kurz um daraufhin mit seinem Keyboard einen Battle mit den beiden Gitarristen auszutragen, der nach einiger Zeit plötzlich wieder in den aggressiven Part umschlägt, der schon ein paar Minuten zuvor zum Besten gegeben wurde. Danach klingen die Instrumente aus und Gitarrist eins startet einen neuen, entspannten Moment. Später fällt Between The Buried And Me auf, dass an dieser Stelle schon über zehn Minuten vergangen sind, sodass man einen Cut zum nächsten Song einfügt.
Wie herauszulesen sein dürfte, funktioniert „The Great Misdirect“ ausschließlich als Gesamtwerk, in dem immer wieder spannende Stellen zu entdecken sind und für dessen Konsum man keine Scheuklappen tragen darf. Die Band bezeichnet sich in ihrem MySpace Profil als „Metalcore/Mathcore/Progressive Metal“, das sagt schon vieles aus. Für Fans von technisch und kompositorisch anspruchsvoller Musik, die auch nicht vor modernen oder brachialen Elementen zurückschrecken, dürfte diese Scheibe ein echter Leckerbissen sein!
Nils Obergöker – www.sounds2move.de / 24.10.2009