Ayreon „01011001“ / VÖ 25.01.2008

 

 

Würde es Arjen Lucassen möglich sein, qualitativ an seine letzte Rockoper "The Human Equation" anzuknüpfen? Vermutlich hat sich diese Frage so ziemlich jeder Fan des holländischen Hünen gestellt und zumindest meines Erachtens muss man sie nach dem Genuss von „01011001“ mit einem klaren "Ja" beantworten. Vielleicht, auch wenn ich mich nach so kurzer Zeit nicht ganz festlegen möchte, hat Lucassen seine letzte Großtat mit dem neuen Werk sogar übertroffen.

 

Schon die ersten Minuten nach dem Einlegen der ersten CD brachten genau jene wohligen Schauer mit sich, die ich auch verspürte, als ich vor fast zehn Jahren die erste Berührung mit Ayreon in Form von "Into The Electric Castle" hatte. Dahin war jede Sorge, dass die schweren Zeiten, die der Multi-Instumentalist in den letzten Jahren durch zu machen hatte, seine kreativen Säfte zum Versiegen gebracht haben könnten. Im Gegenteil scheinen diese  bedauernswerten Ereignisse im Leben des ehemaligen Vengeance-Gitarristen nicht ganz unschuldig daran zu sein, dass „01011001“ sich als das bislang düsterste und intensivste Album der ganzen Ayreon-Discographie präsentiert. Dazu trägt auch die weiter ausgebaute Rolle der Synthesizer und elektronischen Spielereien bei, die den kühlen Unterton der Songs an die Oberfläche kehren. Offensichtlich hatte Arjen wieder richtig Lust auf seine Keyboards, nachdem er bei der Produktion des "Stream Of Passion"-Debüts "Embrace The Storm" bewusst auf deren Einsatz verzichtet hat. Das heißt aber natürlich noch lange nicht, dass man deshalb auf die anderen lieb gewonnenen Elemente des Ayreon-Stils verzichten müsste. Auch „01011001“ bietet selbstverständlich mächtige Gitarrenriffs (u.a. "The Fifth Extinction"), wunderbare Folk-Passagen mit authentischer Instrumentierung (u.a. "Web Of Lies") und Referenzen an all die vielgestaltigen Einflüsse des Herrn Lucassen. Vielseitigkeit wird aber nicht nur durch das Songwriting, sondern auch durch die beträchtliche Anzahl der beteiligten Sänger garantiert. Zu den Highlights gehören dabei die mächtige Stimme von Jorn Lande, die gewohnt facettenreiche Darbietung von Floor Jansen (After Forever) und vor allem die unglaublich intensiven Passagen, die Katatonia-Frontmelancholiker Jonas Renkse beigesteuert hat. Das Zusammenspiel seiner Stimme mit der Anneke Van Giersbergens, die natürlich auch wunderbar singt, macht den Song-im-Song "We Are Forever" zu einem der absoluten Glanzpunkte dieses ohnehin schon phantastischen Albums.

 

Überhaupt liegen die allergrößten Momente dieses Werks in den eher schwermütigen Passagen, wie dem traumhaften "Comatose", dem atmosphärischen Mittelteil von "Liquid Eternity" oder dem stimmungsvollen "Waking Dreams", die aber auch gerade deshalb so bezaubernd wirken, weil sie von den vielschichtig arrangierten rockig-bombastischen Passagen so großartig kontrastiert werden. Kurzum: Eine rundum gelungene, vielseitige, intensive, mitreißende Rockoper und - wenn nicht noch ein Wunder geschieht - schon jetzt die vermutlich größte musikalische Offenbarung des Jahres.

 

Florian Gothe – www.sounds2move.de / 31.01.2008