Axel Rudi Pell “Tales Of The Crown” / VÖ 24.10.2008

 

 

Der langhaarigste schnauzbarttragende Wattenscheider der Nation, unser altbekannter Kumpel Axel Rudi Pell, beehrt seine Anhänger in diesen Tagen mit seinem einhundertelften Album seit beinahe zwanzig Jahren. Na gut, nicht ganz, aber beinahe. Die gewohnten Trademarks, welche sich anscheinend bewährt haben, als da wären kristallklare, sehr an die Achtziger erinnernde Soli, die gerne die Tonleitern rauf und runter eilen, Rainbow-artige Leads in nahezu jedem Track, an Dio angelehnter Gesang und der Verzicht auf die geringste Neuerung im Soundgefüge, bestimmen das Hörerlebnis.

 

Das Eingangsriff von „Higher“ wäre 1985 ein Grund gewesen, die LP sofort zu kaufen. Der Gesang ist glatt, stets im Fahrwasser von Dio. Immer gibt es diese Stimmanhebung vor dem Chorus. Refrains sind melodisch, bombastisch, der Abschluss „Yeah, Yeaaah“ tönt ganz nach Art von Black Sabbath der Toni Martin-Phase. Sympathisch, solch unverfrorene altmodische Attitude. Wir haben alles so schon gehört, vom Meister Axel ebenso wie von den Vorbildern, auch das transparente glaszersprengende Solo. Dennoch, unterhaltsam, selbst für einen notorischen Melodic Metal-Hasser wie mich. Und so geht es weiter, „Yeaaah“, Zeilen wie „Shimmering Light“, „Too Blind To See“, „Break The Chain“ und Schlüsselworte wie „Dust“, „Evil“, „Crossfire“ (auch gut), „Arrow“, „Crown“ (der Titelsong „Tales Of The Crown“ ist ein Highlight) und „Soul“ zeigen uns, wo es lang geht: Auf herrlich infantilistisch-regressiv anmutenden altmodischen Pfaden ohne jede Anbiederung an Neues; Grunge, Core, Death Metal hat es im Universum der Krone nie gegeben und wird es auch nicht. Das schafft Sicherheit. Treibende Licks (welche an Chateaux, Saxon, Krokus oder Running Wild erinnern) zimmern sich durch das Unterholz; der doch etwas mainstreammäßige Gesang will unbedingt gefallen und in der Tat, er passt. Beim so außergewöhnlichen Talent Rudis, Notenschlüssel zu Spiralen zu verformen, wünschte ich mir manchmal etwas mehr Hakelei, Speed, härtere Chorusse und Strophenphasen, Steeler-Brachialität, aber gut, das macht Axel nicht (mehr) mit, denn er soliert schon wieder unermüdlich nach Art Michael Schenkers zu seligen UFO-Zeiten. Wir begegnen emotionalen Echoes, Engelsaugen und werden lebendig begraben (betr. das sägende Riff von „Buried Alive“: wer kennt noch „Highly Strung“ von Chateaux?), begleitet stets von frohsinnigem Midtempo, druckvollem Schlagwerk unseres altbekannten Terrana sowie klirrenden Akkorden. Dass „The Mob Rules“ und „Heaven & Hell“ einen Ehrenplatz in Rudis CD-Regal einnehmen, wird stur immer wieder untermauert, wir vergessen das doch nicht, Rudi, wir wissen es! Okay, warum auch nicht... Balladenstoff ist naturgemäß kitschig, Bonfire sind nicht weit, auch frühe RAINBOW stehen Pate. Wir verzeihen, weil es schlimmere Vorbilder und Epigonen gibt. Besonders gut geraten ist das virtuose Instrumental „Emotional Echoes“ mit diesem swingenden, beinahe Red Hot Chili Peppers -artigen Sommer-Groove; an dieser Stelle bin ich begeistert, ganz im Ernst, cool eingespielt, alter Sachse, äh, Axel! Solltest du öfter machen, sowas!   

 

Bleibt noch zu erwähnen, dass der vierjährige Sohnemann von Axel in „Riding On An Arrow“ den letzten Chorus beisteuert; er wird Chris Barnes dereinst bei Six Feet Under mühelos ersetzen, denke ich mal. Kurz: Eine CD mit Nostalgiefaktor, welche im Gegensatz zu solchem Plastikkram wie Metalium, den Fun-Rockern von Helloween oder den Schlager-Heinis von EDGUY echte Freude macht, entspannt, zum Zurücklehnen einlädt, trotz oder gerade wegen des augenzwinkernd eingesetzten überbordenden Kitsches.

 

ME – www.sounds2move.de / 10.11.2008