Atrocity „Werk 80 II“ / VÖ 29.02.2008

 

 

Man darf Atrocity wohl mit Fug und Recht als das Chamäleon der deutschen Death Metal Landschaft bezeichnen. Nach old-schooligen Anfängen („Todessehnsucht“) begab man sich auf einen bis heute andauernden Streifzug durch alle möglichen Subgenres harter Musik und frönte seitdem etwa dem Industrial Metal („Die Liebe“, zusammen mit der Gothic Größe Das Ich), ließ Ethno-Versatzstücke in seiner Musik zu oder Erschuf gar ein umfassendes, historisch angelehntes Konzeptalbum („Atlantis“), für welches sogar eine komplett neue Schrift gestaltet wurde. Und man coverte Pop und Wave-Hits der 80er Jahre. Was mittlerweile gemeinhin nicht mehr als außergewöhnlich aufgefasst wird, war anno 1997 innovativ und mutig zugleich und nicht wenige Fans, Freunde und Kritiker prophezeiten den Schwaben das völlige Desaster – künstlerisch wie kommerziell. Heute weiß man es besser, denn noch immer ist „Werk 80“ das mit Abstand erfolgreichste Werk von Alexander Krull und seinen Mitstreitern.

 

Und die Platte warf nicht zuletzt unzählige, noch immer von jedem guten Rock- und Metal DJ bereit gehaltene Gassenhauer und Clubhits ab. „Shout“, „The Great Commandment“, „Wild Boys“, „Der Mussolini“ – eine dieser Nummern und die Stimmungskurve zeigt nach oben. Und das wohlgemerkt, obwohl Atrocity stets darauf bedacht waren aus ihren Interpretationen keine sinnleeren, bierseeligen Mitgröhlnummern, sondern in jedem Fall einen künstlerisch anspruchsvollen Ansatz zum Dreh- und Angelpunkt zu machte. Dass die Nummern über die Jahre dennoch zum Metal-Partykracher geworden sind, spricht für sich. Heute, 11 Jahre später, verhält es sich ähnlich. Hoch-die-Tassen-Schunkelstoff der Marke Korpiklaani und Co. bietet nämlich auch „Werk 80 II“ nicht. Wo beim ersten Teil noch Elektronika für eine prägnante Nuancierung sorgten, steht dieser Tage die Arbeit eines professionellen Orchesters, welches etwa „People are People“ oder das episch-pompöse, das Album abschließende „Forever Young“ mit einem warmen Gesamtsound bereichert. Auch bei „The Sun always shines on TV“, dem Song zum ersten Video der Band, kommt das Ensemble deutlich hörbar zum Zuge (ebenso wie Liv Kristine bei den Backing Vocals). Zwar zeigt die erste Strophe auf, dass Alex Krull kein Gott des klaren Gesangs ist, aber unabhängig davon wirken die Vocals weder bei diesem, noch bei einem anderen Stück in irgendeiner Form fehlplaziert. Mr. Krull ist eben ein alter Hase hinter den Reglern, was man „Werk 80 II“ zu jeder Sekunde anhört. Am besten kommen (meiner Meinung nach) natürlich die aggressiven Grunts des Stuttgarters (siehe 2. Hälfte von „Hey Little Girl“), dessen Bandkollegen „Werk 80 II“ stets greifbar für den Zuhörer halten und dabei den Härtegrad fließend variieren, welcher auch mal richtig schön ruppig aufs Tempo drückt – etwa in „Keine Heimat“. Womit sich unter dem Strich wieder der Kreis zu „Werk 80“ schließt, denn auch dessen 2008er Bruder vereint das enorme Hitpotential der ursprünglichen Songs mit der Würze ihrer Atrocity-Interpretation, einer stimmigen Produktion und einem angenehmen Maß an künstlerischem Anspruch. Da müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn diese Platte nicht erneut die Charts stürmt und in Auszügen auch noch in einigen Jahre immer wieder im Rock Club eures Vertrauens ertönt. Diese Nummern sind eben schon heute einfach unverwüstlich. Genauso wie Atrocity.


Markus Rutten – www.sounds2move.de / 15.02.2008