ASP "Verfallen (Folge 1: Astoria)" / VÖ 16.10.2015

 

 

Wer im Duden "Arbeitstier" nachschlägt, wird vermutlich auch auf ein Foto von ASP-Mainman Alex Speng stoßen. Und vielleicht ein wenig erschrecken, denn der gothische Märchenonkel trägt neuerdings... äh, Haar. Erstmals seit so ziemlich genau immer, womit wir schon mal die erste, wenn auch trivialste Neuigkeit parat hätten. Wesentlich interessanter ist natürlich das neue Album "Verfallen", ein weiteres Herzensprojekt des Frankfurters, der für die Umsetzung sogar seinen "Fremd"-Zyklus unterbrochen hat.

 

Statt also wie zunächst geplant den "Maskenhaft"-Nachfolger zu präsentieren, wird nun erst einmal das gemeinsame Kind des Gothic Novel Rockers und des deutschen Autors Kai Meyer in die Tat umgesetzt. Dieser hat extra für seinen langjährigen Freund eine (gar nicht so kurze) Kurzgeschichte geschrieben, die ASP nun in Noten und Musik umgesetzt und auf ihre ureigene Weise interpretiert haben. Dabei muss nicht nur die phantastische, sich um das tatsächlich existierende Hotel Astoria in Leipzig drehende Geschichte und deren Handlung berücksichtigt werden, sondern diese soll und muss auch für den Hörer greifbar bleiben. Somit müssen sich ASP vom hin und her springen innerhalb der Geschichte und auch von all zu vagen Erzählsträngen weitestgehend verabschieden, um der Sache auch wirklich zu dienen und ihr gerecht zu werden. Gleichzeitig ist so alles für den Zuhörer inhaltlich nachvollziehbar, wobei man "Verfallen", das mit dem Zusatz "Folge 1: Astoria" versehen ist, da es sich um einen Mehrteiler handelt, dennoch kaum auf die Schnelle nebenbei erkunden kann. Aber das war schon immer einer der großen Pluspunkte des ASP‘schen Universums, nämlich dass die Musik zwischen den ungezählten Hits stets von willkommener Substanz war und ist. Ohne inhaltlich zu viel zu verraten sei gesagt, dass etwa die Hauptfigur in "Zwischentöne: Ich nenne mich Paul" vorgestellt wird, das musikalisch passend die inhaltlich thematisierte Zugfahrt repräsentiert. Ebenso gibt "Dro(eh)nen aus dem rostigen Kellerherzen" seinen Teil der Erzählung überaus passend und düster wieder, wobei die Nummer mit knapp zehn Minuten auch mehr als genug Zeit eingeräumt bekommt, um sich zu entfalten. Facettenreich wie die Texte präsentiert sich auch deren Klanggewand, das mal von locker marschierenden Toms ("Zwischentöne: Luft") getragen wird, sich an anderer Stelle aber in Form eines mechanisch-angehauchten Grooves manifestiert, der mit lässig geklopfter Bassarbeit daherkommt ("Souvenir, Souvenir"). Neben balladesken bis dramatischen Momenten ("Mach's gut, Berlin", "Alles, nur das nicht!") weiß ASP natürlich auch um die Notwenigkeit von Hits und Hooks, die den ganzen Komplex zusammen und den Fan bei der Stange halten. Denn zwischen all dem Geschichtenerzählen darf auch die Unterhaltung nicht zu kurz kommen, der besonders mit "Astoria verfallen" und "Fortsetzung folgt" genüge getan wird. Letzteres bewirbt sich mit Nachdruck um den Posten des zukünftigen Standardwerks vor den Zugaben bei Live-Shows. Wer mit solchen klassischen ASP-Hymnen aufwartet, darf sich auch eine zwölfminütige Geschichte wie die Tragödie "Loreley" erlauben, ein Lied über eine käufliche Blume der Nacht, die am Tag Hannelore heißt und nach Anbruch der Dunkelheit als Loreley im viel besungenen Hotel Astoria ihre Dienste anbietet. Ein Bezug zu Kai Meyers gleichnamigem Roman von 1998 besteht übrigens nicht, dieser befasst sich nämlich mit der tatsächlichen Loreley in St. Goarshausen und den dazugehörigen Mythen und Legenden. "Verfallen (Folge 1 - Astoria)" hingegen schreibt seine eigene Geschichte und sorgt selbst für die Mythen, die in Zukunft von ASP noch weiter behandelt werden und durch den realen Bezug zum titelgebenden, seit geraumer Zeit leer stehenden Hotel noch greifbarer werden. Die limitierte A5 Mediabook-Version des Albums kommt übrigens samt Bonus CD daher und enthält außerdem die Kai Meyer Geschichte "Das Fleisch der Vielen", die diesem Longplayer zu Grunde liegt. Es ist also angerichtet und wer mag, kann sich intensiv in "Verfallen" hineinhören und -lesen. Wie immer kann man sich aber auch einfach nur auf die Musik konzentrieren - wer in der Vergangenheit etwas mit ASP anfangen konnte, macht also auch mit dieser Scheibe rein gar nichts falsch.

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de