And Then She Came „And then she came“ / VÖ 24.06.2016



Man möge es mir verzeihen, aber die in der Presse-Info angepriesenen Parallelen zu Evanescene erschließen sich mir nicht, auch wenn deren neue Gitarristin Jen Majura (Equilibirum, Knorkator) auf dem Debüt von And Then She Came ein Stelldichein bei „Spit it out“ gibt. Auch die ebenfalls genannten 30 Seconds to Mars und Linkin Park wollen nur mit großen Einwänden wirklich als Orientierungspunkte taugen. Dabei lässt sich das Pferdchen doch viel einfacher aufzäumen.

Zu aller erst sind And Then She Came nämlich so etwas wie die Erben von Krypteria, die 2012 bekanntlich eine Pause auf unbestimmte Zeit ankündigten. Deren Line-Up wagt jetzt fast komplett (es fehlt nur Gründungsmitglied Chris Siemons) den Neustart unter neuem Namen und mit veränderter Ausrichtung. Für die neue Band lässt man den Symphonic Metal hinter sich und wendet sich stattdessen dem Modern Rock mit Electro- und Industrial-Schlagseite zu. Auf die Spitze getrieben entsteht dabei ein Song wie „Public Enemy #1“, bei dem vor allem ein kalter EBM-Beat und ein mehrsprachiger Zählreim in Erinnerung bleiben. Diesen scharfen Kontrast hat man vermutlich bewusst weit vorne auf „And then she came“ platziert, um dem Unterschied zu Krypteria noch mehr Nachdruck zu verleihen. Bei „Five Billion Lies“ mit seinen tiefen New Metal-Gitarren und den Gast-Grunts von Alissa White-Gluz (wie viele Features hat die Gute in den letzten zwölf Monaten eigentlich gehabt?) ist die Nummer durchaus in guter Gesellschaft - „Symphonie war gestern“ rufen uns And Then She Came gewissermaßen zu. Zumindest eine kann allerdings nicht so recht aus ihrer Haut: Damals wie heute ist nämlich Sängerin Ji-In Cho das Zünglein an der Waage und der größte Trumpf im Ärmel des Quartetts. Die Musikhochschulabsolventin überzeugt durchgehend mit Ausdruck und Vielseitigkeit und hebt damit nicht nur das schwungvolle „Hellfire Halo“, sondern auch die Power-Ballade „I carry on“ und das harmonische Album-Highlight „Why so serious“ im Handumdrehen auf eine höhere Stufe. Die beiden Letztgenannten kommen zurückliegenden Krypteria-Zeiten übrigens am nächsten und werden alten Fans am schnellsten im Gedächtnis bleiben. Doch „And then she came“ hat auch ein paar schwächelnde Momente, in denen die Band und ihr neuer Sound noch nicht hundertprozentig rund laufen, man sich etwas zu sehr aus dem Baukasten bedient und wo es einzig der Verdienst des Gesangs ist, dass man den imaginären Kopf über Wasser halten kann. Es liegt in der Natur von Debüts, dass sie in aller Regel noch nicht perfekt sind und Luft nach oben lassen, da sind And Then She Came keine Ausnahme, auch wenn vier so gestandene Musiker am Werk sind. Einige Herzen werden Ji-In, Olli Singer, Frank Sturmvoll und S.C. Kuschnerus mit dem Erstling ihrer neu ausgerichteten Band aber garantiert erobern. Nicht nur weil mit jedem Durchlauf mehr hängen bleibt, sondern auch weil man ihnen die nötige Erfahrung anmerkt, die es braucht, um Songs zu schreiben, die im Ohr bleiben. Auf das nächste Album darf man sich jetzt schon freuen.

Markus Rutten - www.sounds2move.de