Alter Bridge „The last Hero“ / VÖ 07.10.2016
Mittlerweile laufen Alter Bridge wie eine gut geölte Maschine, eine, die ihren
Protagonisten den gewünschten Freiraum für andere Aktivitäten lässt. Heißt im
Klartext: Myles Kennedy hat genug Zeit, sich an der Seite von Slash zu
präsentieren, und Mark Tremonti kann währenddessen seine Ambitionen als
Solokünstler ausleben. So lange die Terminkalender entsprechend abgestimmt
werden können, ist dagegen überhaupt nichts zu sagen. Tonangebend sollen aber
weiterhin Alter Bridge sein - aus gutem Grund, denn das Quartett hat sich mit
seinen bisher vier Alben einen exzellenten Ruf und eine große Fangemeinde
erspielt, besonders in Europa.
Entsprechend groß war der Jubel, als „The last Hero“ angekündigt wurde, das
mittlerweile vorliegt. Was soll schon schief gehen, wenn die Herren Kennedy,
Tremonti, Marshall und Philipps ein gemeinsames Album aufnehmen? Eigentlich gar
nichts und so kann man an der neue Platte weder songschreiberisch noch
handwerklich etwas aussetzen. Trotzdem schwingt hier ein „aber“ mit, denn
irgendwie ist es den Amis diesmal nicht so recht gelungen, ihr gewaltiges
Potential vollends zu entfalten. Woran das liegen mag, darüber lässt sich
vortrefflich spekulieren. Denkbar ist, dass die Schlagzahl der letzten Jahre
einfach zu hoch war und sich jetzt erste Verschleißerscheinungen einstellen. Was
durchaus menschlich und nachvollziehbar wäre: Wo man früher nach Album und Tour
eine Auszeit eingelegt hat und dann mit frischem Geist an eine Scheibe wie „AB
III“ gehen konnte, standen zuletzt zeitaufwändige und kräftezehrende Projekte
des kreativen Kern-Duos, mehrmonatige Tourneen inklusive. Vielleicht ist dieses
Phänomen den Musikern selbst sogar verborgen geblieben, aber als neutraler
Beobachter und Fan hat man auf „The last Hero“ hin und wieder das Gefühl, dass
einfach der letzte Punch und die nötige Frische fehlt. Dabei ist es keinesfalls
so, dass dieses Album nichts zu bieten hätte: „Poison in my Vein“ beispielsweise
ist ein klassischer Alter Bridge-Stampfer allererster Kajüte, „My Champion“ ein
warmer Hit und „You will be remembered“ eine starke Powerballade. Auch „Cradle
to the Grave“ überzeugt, selbst wenn man das Schema mit ruhiger Strophe und
rockigem Chorus natürlich kennt, wogegen nichts einzuwenden ist, so lange das
Spiel mit der Dynamik wie in diesem Fall funktioniert. Wenn man es etwas
philosophischer ausdrücken möchte, dann kann man sagen, dass „The last Hero“ ein
bisschen die Magie abhanden gekommen ist, die sich bisher noch auf jedem
Langspieler des Quartetts ausmachen ließ. Außerdem weiß man, dass Alter Bridge
es schlichtweg noch besser können, als sie es hier zeigen und die eigenen
Möglichkeiten diesmal nicht vollends ausreizen. Warum zum Beispiel hat man nicht
wie bei „Water rising“ vom Vorgänger „Fortress“ auch mal Mark Tremonti ein paar
Vocals überlassen? Eine Frage, die man sich stellen lassen muss und die ein
Indikator dafür ist, dass der fünfte Longplayer der Amis „nur“ ein gutes, aber
kein überragendes oder gar geniales Album geworden ist. Es sei aber darauf
hingewiesen, dass man dieses Fazit in einer gewissen Relation sehen sollte,
nämlich weil sich eine Band wie Alter Bridge an der eigenen Vita messen lassen
muss und somit diesmal an einer Latte scheitert, die sie sich selbst unglaublich
hoch gelegt hat. Da kann man wohl mit Fug und Recht vom Fluch der guten Tat
sprechen.
Markus Rutten - www.sounds2move.de