Interview mit Sharon den Adel von WITHIN TEMPTATION

 

 

 

Sharon, ihr habt das neue Album “The Unforgiving” mit einem enorm umfangreichen Konzept versehen. So wird es nicht nur parallel eine Comicserie geben mit den diversen Charakteren eurer Geschichte, sondern auch die Videos werden dem Konzept folgen und vorab gab es bereits den mehrminütigen Trailer „Mother Maiden“ zur Einstimmung. Alles in allem dürften wir es da mit eurem bisher ambitioniertesten Projekt zu tun haben, was angesichts der bereits zurückliegenden Großprojekte durchaus bemerkenswert ist.

 

Das denke ich auch, wobei die Live-Show für „Black Symphony“ ebenfalls ein echtes Mammutprojekt war, wie man auf der letzten DVD sehen kann. Aber musikalisch und inhaltlich hast du sicherlich recht, da haben wir wirklich einen immensen Aufwand betrieben, auch mit dem ganzen Drumherum.

 

Insgesamt sind inzwischen vier Jahre vergangen seit ihr „The Heart of Everything“ vorgelegt habt. War es euch wichtig nach der langen Zeit, inklusive Babypause, mit einem großen Knall zurück zu kommen und den Fans nachhaltig zu zeigen, worauf sie so lange warten mussten?

 

In erster Linie hat die lange Wartezeit mit dem Erfolg von „The Heart of Everything“ zu tun, denn das Album lief gut und hat einige neue Länder auf unseren Tourplan gerufen, die es zu bedienen galt, weshalb wir am Ende über zwei Jahre auf Tour verbracht haben. Als wir wieder zu Hause waren, stellten wir fest, dass wir mit dieser Scheibe unseren Sound innerhalb unserer eigenen Vorgaben perfektioniert hatten, wir waren sozusagen auf dem Gipfel unserer Evolution auf diesem Terrain. Uns wurde klar, dass wir neue Inspiration brauchten, eine neue Richtung einschlagen mussten, um die Sache spannend zu halten. Deshalb klingt „The Unforgiving“ auch so anders als unsere vorherigen Alben.

 

Ihr habt also auch eure Art zu komponieren umgestellt?

 

Ja, denn ganz am Anfang des Songwritings fassten wir den Entschluss, alle musikalischen Grenzen und Vorgaben einfach hinter uns zu lassen und auch Ideen weiter zu verfolgen, die nach dem ersten Eindruck noch überhaupt nicht nach Within Temptation klangen. Es galt am Ball zu bleiben und zu sehen wo uns das alles möglicherweise hinführen kann. Wenn in der Vergangenheit ein Song zu stark nach den 80s klang, haben wir den Ansatz verworfen und sind wieder auf Anfang gegangen, nach dem Motto „das können wir nicht machen“, haha. Jetzt haben wir uns aber mit der Idee angefreundet und vertreten die Meinung, so einen erfrischenden Sound gefunden zu haben. Unsere Helden von früher, als wir noch Kids waren und wir noch gar keine eigene Band hatten, haben uns dieses Mal stark beeinflusst. Die Kombination mag komisch klingen, aber von Iron Maiden und sogar ein bisschen Metallica, bis Frankie Goes To Hollywood zu Zeiten von „The Power of Love“ und auch Sinéad O Connor hat alles irgendwo seine Spuren hinterlassen, hehe. Wir waren selbst überrascht was dabei am Ende heraus kam, aber wir haben die Songs längst ins Herz geschlossen und lieben die Vielseitigkeit des Materials.

 

Stimmt, die Vielfalt an Stimmung ist beachtlich und egal ob hart oder zart, die Songs sind stets eingängig.

 

Der Chorus ist bei jedem Song catchy geraten, da bin ich absolut deiner Meinung. Zugleich haben wir einige harte Metalsongs parat, die wie zum Beispiel „In the Middle of the Night“ trotzdem schnell ins Ohr gehen. Darin könnte auch der Grund für unsere Vorliebe für die 80er Jahre liegen: Es war eine sehr melodische Epoche, in der sogar die harten und düsteren Songs nie ohne eine gute Melodie daher kamen.

 

Wenn man sich jetzt „The Unforgiving“ anhört, dann fragt man sich warum ihr diese Einflüsse zuvor so gut versteckt habt. Das Ergebnis spricht ohne Zweifel für sich.

 

Früher hatten wir einfach ein konkretes Ziel vor Augen, wir kannten unsere musikalische Ausrichtung und haben auf eben dieses Ziel hingearbeitet. Nach „The Heart of Everything“, das unbestritten unser bestes Album war, gab es in dieser Richtung allerdings nichts mehr zu sagen, denn von den Songs bis zum Sound war unserer Meinung nach alles perfekt. Wir brauchten neue Ufer, ein neues Ziel und diese Kombination aus alt und neu hat uns letztlich sehr gut getan.

 

Apropos neue Ufer: Der von euch gewählt Weg, der beim von dir erwähnten „In the Middle of the Night“ etwa in Richtung Whitesnake geht, könnte auch in den USA gut ankommen. Gibt es Pläne eurerseits auch dort auf den finalen Durchbruch hinzuarbeiten?

 

Wir waren ja schon mit den vorherigen Alben dort, aber wir haben nie unser Hauptaugenmerk darauf gelegt. Viele Kollegen sehen Amerika als das Paradies an, aber dort zu touren ist etwas völlig anderes als hier in Europa. Daran kann eine kleine Band innerhalb kürzester Zeit zerbrechen. Es war nie unser Ziel dort drüben groß raus zu kommen, aber natürlich werden wir auch da wieder Konzerte spielen, denn es ist ein tolles Land. Den Traum in den USA große Stars zu werden, hatten wir allerdings nie.

 

Ich denke es ist für euch auch gar nicht wirklich möglich, dort wie manch andere Band drei Monate ununterbrochen auf Tour zu sein, immerhin hast du bereits zwei Kinder und ein drittes ist unterwegs. Zudem seid ihr in Europa ebenfalls sehr gefragt und rein wirtschaftlich betrachtet ist es weitaus rentabler, euch auf den hiesigen Markt zu konzentrieren, was bereits aufwändig genug ist.

 

Während wir für das letzte Album unterwegs waren, mussten wir eine bittere Lektion lernen… (~Sharon ordnet erst einmal für einen Moment ihre Worte~) …denn es gab eine Phase, in der die Band beinahe zerbrochen wäre. Das lag nicht nur an Amerika, sondern auch an den Tourstrapazen hier in Europa. Lass es mich so ausdrücken: Dieser massive Tourplan hat nicht all zu gut für uns funktioniert.

Kinder oder nicht, wir werden unsere Auftritte zukünftig anders planen, das steht seit geraumer Zeit fest. Zum Glück haben wir mittlerweile den Status, dass wir uns das auch leisten können. Es wird wohl zwar ein finanziell größerer Aufwand werden, aber dafür bleibt uns der Spaß an der Sache erhalten. Das war bei der letzten großen Tour zum Schluss leider nicht mehr so der Fall, denn wir hatten einen Punkt erreicht, an dem es für jeden von uns wirklich hart war und wo wir uns aufreiben mussten, um alles durchzuziehen. Das war eine ziemlich verrückte Phase, in der ich nachts auch schon mal geweint habe und nicht mehr so recht weiter wusste. Wenn du dann am nächsten Tag auf die Bühne gehen und eine gute Show abliefern musst, dann nagt das natürlich an einem. Spätestens da war uns klar, dass sich ein paar Dinger ändern mussten, wenn wir als Band weiterhin bestehen wollen. Das lag nicht mal so sehr an unseren Familien, sondern einfach an der Tatsache, dass wir wieder gemeinsam Spaß haben wollten. Wir machen Musik mit Hingabe und Herzblut, aber wenn du es mit dem touren übertreibst und dann vielleicht auch noch zu unkomfortabel reist, dann verlierst du das irgendwann.

 

 

Unter euren Fans gab es ebenfalls bereits einige, die sich kleine Horrorszenarien zurecht gesponnen haben, als bekannt wurde, dass du zum dritten mal Mutter wirst. Das verursachte hier und da wohl ein mulmiges Gefühl, ob man drei Kinder und die Verpflichtungen die hinter einer erfolgreichen, gefragten Band stecken noch unter einen Hut bekommen würde. Da gab es vereinzelt schon gewisse Ängste, ihr könntet euch deswegen auflösen. Persönlich bin ich der Meinung, dass das alles eine Frage der Planung ist, denn bis jetzt habt ihr auch alles parallel gemeistert und ich bin mir sicher, dass ihr die Sache auch zukünftig im Griff haben werdet.

 

Das stimmt, Planung ist alles. Natürlich ist der logistische Aufwand noch mal ein Stückchen gestiegen, aber mit der Hilfe von unseren Familien und der richtigen Herangehensweise bekommen wir das auf jeden Fall hin. Wie du richtig sagst haben wir es bisher ja auch geschafft und meiner Erfahrung nach kommt es weniger auf die Anzahl der Kinder an, als vielmehr auf ihr Alter, ob sie zur Schule oder in den Kindergarten gehen und so weiter.

 

Zurück zum neuen Album und dem dazugehörigen Konzept: Ihr seid bekannt dafür bei euren Shows immer eine große Produktion zu fahren und mit Effekten wird auch nicht gegeizt. Wisst ihr schon wie ihr das Konzept von „The Unforgiving“ in einem angemessenen Rahmen umsetzen werdet? Entsprechend dem Comic-Konzept würden sich unter anderem Video-Screens anbieten.

 

Ja und mit diesem Gedanken werden wir uns auch auseinandersetzen. Allerdings müssen wir uns mit dem ganzen Thema erst noch befassen, was jetzt in Kürze geschehen soll. Durch die Verschiebung der Tour haben wir jetzt sogar mehr Zeit als uns ursprünglich lieb war, hehe. Wir werden diese Zeit aber nutzen, um uns die verschiedenen Möglichkeiten anzusehen und dann abzuwägen was für uns am besten ist. Zudem muss man natürlich berücksichtigen, dass man sich für Festivals mit einem alternativen Setting den kürzeren Umbaupausen und generell den Vorgaben anpassen muss. Die Filme und Clips, die wir bereits haben, wollen wir aber auf jeden Fall irgendwie einbinden, hinzu könnten auch visuelle Effekte wie Projektionen kommen, ähnlich denen auf der Theatertour.

 

Apropos Theater: Durch die verschiedenen Rollen innerhalb eurer Geschichte, dem ganzen Drumherum und der dazu passenden Musik, könnte man auch über eine Art Musical-Umsetzung nachdenken. Vielleicht als eine Special-Show, bei der auch Schauspieler eingebunden werden und man das komplette Album spielt. Das entspricht zwar nicht dem gängigen Vorgehen einer Rockband, aber umsetzbar wäre es wohl.

 

Auch mit dieser Idee haben wir uns schon mal kurz befasst und darüber diskutiert, wir wissen bloß noch nicht was wir davon halten sollen. Das Konzept wäre es bestimmt wert, nur machen wir uns ein bisschen Sorgen, ob das Ergebnis dann auch auf Dauer unterhaltsam ist. Die Geschichte ist zudem fließend, mit wechselnden Szenarien und dem müsste man dann mit einem universellen Bühnenbild entsprechen. Eine andere Frage ist, ob man das Album direkt komplett durchspielt und danach auf das frühere Material eingeht, oder zwischendurch schon auch ältere Songs berücksichtigt. Du siehst: Da gibt es noch Diskussionsbedarf, haha.

 

 

Kürzlich habt ihr das erste Video zu „Faster“ veröffentlicht und darin die Thematik der neuen Scheibe schon einmal aufgezeigt. Werden die folgenden Clips die begonnene Geschichte inhaltlich fortführen?

 

Mehr oder weniger, gleichzeitig kann jedes Video aber auch für sich selbst stehen. Es werden noch zwei weitere dieser Kurzfilme folgen, die jeweils auch einen der Hauptcharaktere etwas genauer beleuchten. Es ist auch so, dass auf diesem Weg die Brücke zum Comic geschlagen wird, denn die Videos erklären auch was den Protagonisten geschehen ist, bevor „Mother Maiden“ sie von den Toten zurückgeholt hat. Das wird im Comic nämlich nicht erklärt und auch wenn das jetzt noch etwas verwirrend klingt, ergibt am Ende alles einen Sinn, sobald man das Album kennt und das Booklet und die Filme gesehen hat, die übrigens alle drei auf der DVD der Limited Edition zu finden sein werden. Irgendwann machen wir vielleicht mal einen längeren Konzeptfilm, der dann das komplette Album abdeckt und es bildlich umsetzt. Konkrete Pläne haben wir da aber noch nicht, vielleicht machen wir als nächstes auch etwas vollkommen anderes. Wir konzentrieren uns jetzt erst mal nur auf „The Unforgiving“, hehe.

 

Nach eurem letzten Album war zu lesen, dass ihr die nächste Albumproduktion gern komplett alleine bewältigen wollt. Trotzdem arbeitet ihr erneut mit Produzent Daniel Gibson zusammen. War es einfach zu verlockend nach dem großen Erfolg von „The Heart of Everything“ – sowohl musikalisch als auch kommerziell – erneut gemeinsame Sache zu machen?

 

Der Grund ist vor allem, dass wir als Band immer sehr stark in alles eingebunden sind was irgendwie mit Within Temptation zu tun hat. So ist dann auch die Albumproduktion eine Gemeinschaftsarbeit und Daniel ist dann derjenige, der unserem Durcheinander eine Richtung gibt und der alles stimmig arrangiert. Während der Produktion reden und diskutieren wir immer auch sehr viel und wie wir immer wieder feststellen, liegt er mit uns absolut auf einer Wellenlänge und versteht zudem stets was uns vorschwebt und wie man es am besten umsetzt. Über die Jahre ist er zum besten Freund von Robert (Westerholt, Gitarrist und Lebengefährte von Sharon – MR) geworden und die beiden arbeiten wirklich ausgezeichnet zusammen und auch ich arbeite gerne mit Daniel. Wir kennen einander sehr gut, aber weil er neben uns auch noch mit anderen Künstlern arbeitet, verliert er nie den Überblick und eine gesunde Distanz, die uns nach einiger Zeit manchmal vielleicht fehlt. Warum also etwas ändern, das so gut funktioniert, hehe?

 

Anderweitige Unterstützung von außen habt ihr euch hingegen nicht gegönnt. Für „An Acoustic Night at the Theatre“ habt ihr euch den Singer-Songwriter Chris Jones ins Boot geholt, der mit dir zusammen das Duett „Utopia“ eingesungen hat. Davor habt ihr Keith Caputo für die Single „What have you done“ verpflichtet. Bleiben diese Kooperationen trotzdem die Ausnahme?

 

Ich denke schon. Es war toll mit ihnen zu arbeiten, aber jetzt war es wieder an der Zeit, die Dinge komplett selbst in die Hand zu nehmen. Wir brauchten auch niemanden von außerhalb, denn es gab kein Stück, das sich für einen Gastbeitrag angeboten hätte. Unserer Meinung nach ist alles gut so wie es ist, wobei ich eine Kollaboration irgendwann in der Zukunft nicht kategorisch ausschließen würde. Es muss aber passen und dem Song dienlich sein, sonst macht es keinen Sinn.

 

Sharon den Adels Top 3 der Comic-Verfilmungen:

 

1. X-Men (Trilogie)

2. Sin City

3. Iron Man

Um euren neuen Schlagzeuger macht ihr seit geraumer Zeit ein ziemliches Mysterium. Etwa auf den neuen Promofotos sieht man euch nur als Quintett, als ihr kürzlich bei "Vrienden van Amstel", einer Veranstaltung in den Niederlanden aufgetreten seid, war der dort beteiligte Drummer ebenso maskiert wie auch im Video zu „Faster“. Ziemlich geheimnisvoll, hehe.

 

Markus, du bist wirklich gut informiert, haha. Wir wollen das Geheimnis erst noch einmal für uns behalten. Bezüglich des Videos war es einfach so, dass wir zu dem Zeitpunkt noch keinen neuen festen Drummer hatten. Inzwischen glauben wir aber den Richtigen für uns gefunden zu haben und werden in Kürze mit der Sprache rausrücken.

 

Ohne eine Antwort zu erwarten halte ich Mike Coolen, der euch bereits auf der Theatertour begleitet hat, für eine gute Option.

 

Das liegt leider alles im Dunkeln und ich werde darauf wirklich nicht antworten. Guter Versuch, aber ich lasse mich nicht austricksen, haha.

 

Mike Portnoy hat im Moment übrigens mehr Freizeit als ihm lieb ist.

 

Der ist natürlich wirklich gut, aber er ist es nicht – damit verrate ich nicht zu viel. Aber er ist im Moment wirklich frei, also wer weiß… hehe.

 

(Mittlerweile ist die Entscheidung auch offiziell gefallen und Mike Coolen wurde jüngst tatsächlich als neues Bandmitglied vorgestellt – MR).

 

Eure „Black Symphony“ DVD zeigt einen Auftritt mit gigantischem Aufwand und einer furiosen Show. Mit diesem Mitschnitt habt ihr den Vorgänger, welcher auf Java Eisland bei Amsterdam aufgezeichnet wurde, locker in die Tasche gesteckt. Trotzdem stellt sich mir die Frage womit ihr das noch toppen wollt und was ihr als nächstes machen werdet. Nach oben ist nicht mehr so viel Luft, ein Stadionkonzert wäre wohl die letzte Stufe. Oder man geht den umgekehrten Weg und spielt eine kleine, intime Clubshow, die dann aufgezeichnet wird.

 

Die Frage ist berechtigt und im Grunde haben wir beides schon gemacht, wenn man die Ahoy Arena, wo die „Black Symphony“ entstand, einem Stadion gleichsetzt. Den Club-Gedanken haben wir mit der Akustik-CD bedient, selbst wenn das kein DVD-Mitschnitt war. Gemacht haben wir somit im Prinzip schon alles, aber ein anderer wichtiger Punkt ist, dass wir einen neuen Ansatz brauchen und die Sache anders aufziehen müssen als wir es bisher getan haben. Am wichtigsten ist, dass ein kommendes DVD-Projekt spannend und interessant wird, unabhängig von der Größe des Rahmens. Feuer, Pyro, Orchester, Balletttänzer, Artisten auf Stelzen, Hologramme… wir hatten eigentlich schon alles, langsam wird es eng – und eine Zirkusaufführung oder Freakshow soll es nach Möglichkeit nicht werden, haha.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.within-temptation.com